RS Vfgh 1988/6/30 G241/87, G242/87, G243/87, G244/87, G245/87, G246/87, G250/87

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 30.06.1988
beobachten
merken

Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z6 idF BGBl 27/1969
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art15 Abs9
B-VG-Nov 1974 ArtVII
Tir GVG 1983 §3 Abs2 lita

Leitsatz

"Ausländergrundverkehr" umfaßt nur Rechtserwerbe unter Lebenden; Teilbereich des Zivilrechtswesens, der mit der B-VGNov. 1969 den Ländern zugewiesen wurde - intrasystematische Fortentwicklung des Kompetenztatbestandes hinsichtlich des Rechtserwerbes von Todes wegen nicht möglich; Art15 Abs9 B-VG kommt für eine Erweiterung der durch die B-VGNov. 1969 von der Kompetenz des Bundes abgegrenzten Landeskompetenz nicht in Frage Aufhebung des zweiten Halbsatzes in §3 Abs2 lita - kompetenzwidrig erlassen

Rechtssatz

Im Erkenntnis VfSlg. 9580/1982 hat der Verfassungsgerichtshof aufgezeigt, daß er zwar an der im Rechtssatz des Jahres 1954 festgestellten Zuständigkeit der Länder im Bereich des land- und forstwirtschaftlichen Grundverkehrs festhalte, auf dessen Begründung seither aber nicht wieder zurückgreife, sondern den im Rechtssatz den Ländern zugeordneten Bereich wie einen namentlich umschriebenen Kompetenztatbestand behandle und den Umfang dieses Tatbestandes im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kompetenzartikel für maßgeblich erachte, andere Beschränkungen des Liegenschaftsverkehrs aber grundsätzlich als Angelegenheiten des Zivilrechts ansehe.

Steht aber fest, daß (bereits) mit Inkrafttreten der Kompetenzartikel am 01.10.25 Maßnahmen, die - welcher Art immer - den Rechtserwerb von Ausländern an inländischen Liegenschaften betreffen, dem Kompetenztatbestand "Zivilrechtswesen" zuzurechnen waren, dann kommt es nicht mehr darauf an, ob und inwieweit der Bundesgesetzgeber von der ihm zustehenden Kompetenz Gebrauch gemacht hat; die Auffassung der Tiroler Landesregierung, daß erst zu untersuchen sei, ob der Bund vor der B-VG-Novelle 1969, BGBl. Nr. 27, Regelungen für Ausländer überhaupt getroffen hatte, ist offenkundig verfehlt, gleichgültig ob sie - ungeachtet der wiederholten Aussagen des Verfassungsgerichtshofes - davon ausgeht, daß beschränkende Maßnahmen für den Rechtserwerb an inländischen Liegenschaften von Todes wegen durch Ausländer seit jeher in die Kompetenz der Länder fielen und ein solcher Rechtserwerb nur unter Lebenden dem Zivilrechtswesen zuzuzählen sei, oder ob sie auf der Ansicht beruht, daß die ursprüngliche Zugehörigkeit zum Zivilrechtswesen dem Bund abhanden gekommen sei, weil er solche Regelungen nicht erlassen habe (siehe auch: VfSlg. 2658/1954, 5521/1967, 5534/1967, 6682/1972, 7014/1973).

Für die Auslegung einer Norm kommt ihrer Entstehungsgeschichte jedenfalls dann Bedeutung zu, wenn ihr Wortlaut allein zur Sinnermittlung nicht ausreicht; dies ist beim Terminus "Grundstücksverkehr" der Fall. Daß mit diesem Wort jede Art des Rechtserwerbes - auch die gesetzliche Erbfolge - erfaßt wäre, trifft nach dem allgemeinen Sprachgebrauch offenkundig nicht zu (vgl. hiezu auch VfSlg. 9088/1981 S 296).

Zur Klärung der Frage, was der Verfassungsgesetzgeber unter "Grundstücksverkehr für Ausländer" im BVG BGBl. 27/1969 gemeint hat, bedarf es daher auch des Rückgriffes auf die Materialien, insbesondere auf die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, 884 BlgNR XI. GP (siehe auch VfSlg. 7703/1975, 9088/1981).

Nach dem Wortlaut der Verfassungsbestimmung im Lichte der Materialien und der Entstehungsgeschichte steht nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes fest, daß nach Absicht des Gesetzgebers der B-VG-Novelle 1969 nur Rechtserwerbe unter Lebenden dem Tatbestand "Ausländergrundverkehr" zu unterstellen waren.

Hier: "Grundstücksverkehr für Ausländer"

Die Tiroler Landesregierung übersieht, daß es sich bei den von ihr zitierten Erkenntnissen, mit denen der Verfassungsgerichtshof das Vorliegen einer systemimmanenten Weiterentwicklung akzeptiert hat, um verwaltungsbehördliche Beschränkungen von Rechtserwerben handelte, die die systematischen Grenzen der vom Zivilrechtswesen durch das BVG BGBl. 27/1969 ausgeklammerten Materie nicht überschritten (vgl. VfSlg. 7703/1975 und die dort zitierte Vorjudikatur). Für die in Prüfung gezogene Regelung des §3 Abs2 lita Tir. GVG 1983 kann Gleiches nicht gesagt werden.

Es handelt sich nämlich beim sogenannten "Ausländergrundverkehr" um einen Teilbereich des bis zur Neuregelung gemäß Art10 Abs1 Z6 B-VG dem Bund zugestandenen Kompetenzbereiches des Zivilrechtswesens, der mit dem BVG BGBl. 27/1969 den Ländern zugewiesen wurde; insoweit ist die Frage, was "versteinert" von der Materie "Ausländergrundverkehr" erfaßt und intrasystematisch fortentwickelt werden kann, aufwerfbar und einer Beurteilung zugänglich. Die Grenzen einer intrasystematischen Fortentwicklung des "Ausländergrundverkehrs" sind im Hinblick auf die Verzahnung der damit den Ländern übertragenen Kompetenz und des beim Bund verbleibenden Kompetenztatbestandes Zivilrechtswesen freilich relativ eng. Eine intrasystematische Fortentwicklung, durch die der Rechtserwerb von Todes wegen zusätzlich erfaßt würde, ist aber nicht mehr denkbar, weil die Absicht des Verfassungsgesetzgebers erkennbar darauf gerichtet war, daß Regelungen, die den Rechtserwerb von Todes wegen betreffen, in den Bereich, der vom Zivilrechtswesen aus der Kompetenz des Bundes den Ländern übertragen wurde, nicht einbezogen werden sollten. Der Verfassungsgesetzgeber hätte dann, wenn er verwaltungsbehördliche Beschränkungen für Ausländer beim Rechtserwerb an Liegenschaften von Todes wegen ebenfalls in die Kompetenz der Länder übertragen hätte wollen, dies ausdrücklich sagen müssen.

Der zweite Halbsatz in §3 Abs2 lita des GVG 1983, LGBl. für Tirol Nr. 69/1983, lautend "bei Rechtsnachfolgern, die dem Personenkreis nach §1 Abs1 Z2 angehören, jedoch nur dann, wenn die Rechtsnachfolge zwischen Ehegatten oder Blutsverwandten oder Verschwägerten in gerader Linie stattfindet;" wird als verfassungswidrig aufgehoben.

"Regelungen, die den Grundstücksverkehr für Ausländer verwaltungsbehördlichen Beschränkungen unterwerfen"

Wenn in Art10 Abs1 Z6 B-VG nämlich von einem Verkehr mit Grundstücken die Rede ist, so ist darunter offenbar ein rechtsgeschäftlicher Verkehr zu verstehen. Der rechtsgeschäftliche Verkehr ist aber grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, daß das Rechtsgeschäft von den Beteiligten in freier Selbstbestimmung vereinbart wird. Als Erwerber kommt hier jeder Interessent auf dem Grundstücksmarkt in Frage. Das erklärte Ziel der Regelung, einer Erhöhung der Grundstückspreise entgegenzuwirken, legt eine enge, nur Rechtsgeschäfte unter Lebenden erfassende Auslegung der B-VG-Novelle 1969 durchaus nahe.

Der zweite Halbsatz in §3 Abs2 lita Tir. GVG 1983 kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, daß Umgehungshandlungen hintangehalten werden sollen, da die Regelung auch Rechtserwerbe auf Grund gesetzlicher Erbfolge erfaßt, die mit Umgehungshandlungen gar nichts zu tun haben können. Wenn aber die Tiroler Landesregierung weiters meint, die drohende Überfremdung des Grundbesitzes durch Ausländer rechtfertige an sich, daß der Landesgesetzgeber eine kompetenzrechtlich ihm nicht zugängliche Regelung erlassen hätte dürfen, verkennt sie die Grenzen des Art15 Abs9 B-VG. Für eine Erweiterung der durch die B-VG-Novelle 1969 von der Kompetenz des Bundes abgegrenzten Landeskompetenz kommt Art15 Abs9 B-VG schon der Sache nach nicht in Frage.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Kompetenz Bund - Länder, Grundverkehrsrecht, Zivilrecht, Ausländergrunderwerbsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:G241.1987

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2008
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten