RS Vfgh 1988/9/26 B989/86

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Veröffentlicht am 26.09.1988
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8
StPO §177 Abs1 Z1
StPO §177 Abs2

Leitsatz

Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; StPO §§175 bis 177; vertretbare Annahme des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§83, 84 StGB; "Betretung auf frischer Tat" gegeben; Verhaftung gesetzmäßig; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch ungerechtfertigte Dauer der Verwahrung - keine unverzügliche sicherheitsbehördliche Vernehmung

Rechtssatz

Auf dem Boden des festgestellten Sachverhaltes konnte nun jener Wachebeamte, der die Festnahme aussprach, vertretbarerweise annehmen, daß die Beschwerdeführerin ein den Gerichtshöfen erster Instanz zur Aburteilung zugewiesenes Vergehen begangen habe, nämlich das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§83, 84 Abs1 iVm Abs2 Z4 StGB.

Daran ändert nichts, daß ein später gegen die Beschwerdeführerin beim LG für Strafsachen Wien zum AZ 7a E Vr 12.928/86 (auch wegen Verdachtes nach §§83, 84 Abs1 iVm Abs2 Z4 StGB) eingeleitetes Strafverfahren gemäß §412 StPO (mit Rücksicht auf die Rückkehr der Beschuldigten nach Großbritannien) abgebrochen und damit noch nicht beendet wurde, weil es hier nicht auf die Richtigkeit des erhobenen Vorwurfs ankommt; es genügt, wenn das amtshandelnde Sicherheitsorgan aus damaliger Sicht - nach Lage des Falles - mit gutem Grund (di. vertretbar) der - subjektiven - Auffassung sein durfte, daß die in Rede stehende Tat verübt worden sei.

Da diese Amtshandlung auf Grund persönlichen Beobachtungen des einschreitenden (Sicherheitswache-)Beamten an Ort und Stelle stattfand und im engsten zeitlichen Zusammenhang mit der vertretbarerweise bejahten Tat stand, waren die Voraussetzungen für eine Festnehmung (durch Sicherheitsorgane aus Eigenmacht) wegen "Betretung auf frischer Tat" (: Verdacht nach §§83, 84 Abs1 iVm Abs2 Z4 StGB) iS der Bestimmungen der Strafprozeßordnung erfüllt.

Den gesetzlichen Vorschriften des §177 Abs2 StPO wurde hier nicht entsprochen. Vielmehr kam es zu einer unnötigen, durch die Umstände nicht gerechtfertigten Verzögerung der behördlichen Einvernahme und Entlassung der Festgenommenen aus der (Verwaltungs-)Haft.

Die Beschwerdeführerin hätte bei Beobachtung der in Haftsachen gebotenen und unerläßlichen Schnelligkeit - nach Beschaffenheit dieses in einer Großstadt spielenden Falles - bis spätestens Mitternacht (behördlich) einvernommen und danach - da (ersichtlich) kein Grund zu weiterer Verwahrung bestand - sogleich aus der Haft entlassen werden müssen. Es war demnach gesetz- und verfassungswidrig, ihre Enthaftung viele Stunden über diesen Zeitpunkt, und zwar bis 12 Uhr 30 des nächsten Tages hinauszuzögern (VfSlg. 8816/1980, 10448/1985; vgl. auch VfSlg. 7081/1973).

Es geht jedenfalls zu Lasten der belangten Behörde, wenn es im Bereich der BPD Wien an den zur Sicherung einer unverzögerten Behandlung von Haftsachen auch an Wochenenden unerläßlichen organisatorischen und personellen Maßnahmen fehlt.

Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit.

Vertretbare Annahme des Vergehens gem §§83, 84 StGB; Festnehmung aufgrund persönlicher Beobachtungen der einschreitenden Sicherheitswachebeamten gerechtfertigt; jedoch ungerechtfertigte Verzögerung bei Einvernahme und Haftentlassung.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B989.1986

Dokumentnummer

JFR_10119074_86B00989_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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