RS Vfgh 1988/10/8 B281/88

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Veröffentlicht am 08.10.1988
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Index

10 Verfassungsrecht
10/11 Vereins- und Versammlungsrecht

Norm

StGG Art12 / Versammlungsrecht
VersammlungsG §2 Abs1
VStG §6
StVO 1960 §24 Abs1 liti iVm §76a Abs1
VersammlungsG §6, §16
StVO 1960 §86

Leitsatz

VersammlungsG; StVO 1960; zur Beurteilung einer Veranstaltung als Versammlung; ausreichende Konkretisierung der Versammlungsanzeige insbesondere dann erforderlich, wenn ein rechtswidriges Verhalten als notwendige Begleiterscheinung der Versammlung gemäß §6 VStG gerechtfertigt werden soll; keine Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe infolge Parkens eines KFZ in einer Fußgängerzone - die in der Anzeige gewählte Formulierung der "Verwendung technischer Hilfsmitttel" ist wegen ihrer Unbestimmtheit vom Veranstalter zu vertreten

Rechtssatz

Veranstaltung einer wahlwerbenden Partei für die bevorstehende Nationalratswahl.

Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß die Veranstaltung zu jener Zeit, als Ansprachen und Diskussionen erfolgten - anders als das bloße Verteilen von Werbematerial (vgl. zB VfGH 21.06.88 B74/88 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur) - als Versammlung iS des VersammlungsG zu qualifizieren ist.

Im Hinblick auf die verfassungsgesetzlich gewährleistete Versammlungsfreiheit ist anzunehmen, daß ein Verhalten, das an sich dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, von der Rechtsordnung erlaubt und damit gemäß §6 VStG 1950 dann gerechtfertigt sein kann, wenn es unbedingt notwendig ist, um die Versammlung in der beabsichtigten Weise durchzuführen (vgl. Stolzlechner, Demonstrationsfreiheit und Straßenpolizeirecht, ZfV 1987, 389, insbesondere 394). Das geht allerdings nur so weit, als das tatsächliche Verhalten der erstatteten Anzeige über die beabsichtigte Abhaltung der Versammlung - die von der Versammlungsbehörde nicht untersagt wurde - entspricht. Käme die Versammlungsbehörde (allenfalls nach Klärung offener Fragen durch Rücksprache mit dem Veranstalter) zur Ansicht, daß die angezeigte Versammlung mit allen daraus erkennbaren Modalitäten dem §6 VersammlungsG widerspricht, hätte sie die Versammlung zu untersagen. Unterläßt sie die Untersagung, so ist die Abhaltung der Versammlung auf die in der Anzeige angegebene Weise vom Gesetz erlaubt.

Eine Versammlungsanzeige muß ausreichend präzisiert werden, um der Behörde einerseits die Beurteilung zu ermöglichen, ob ein Untersagungsgrund nach §6 VersammlungsG vorliegt, und um andererseits zu gewährleisten, daß die Behörde die allenfalls erforderlichen Vorkehrungen (etwa Verkehrsumleitungen, Schutz vor Gegendemonstrationen) treffen kann. Sind die in einer Eingabe enthaltenen Angaben derart unbestimmt, daß ihnen solche Informationen schlechterdings nicht entnommen werden können, so ist die Eingabe nicht als mangelhafte, sondern überhaupt nicht als Versammlungsanzeige zu qualifizieren (vgl. hiezu die neuere Judikatur des VfGH - zB VfSlg. 10443/1985; VfGH 01.12.86 B106/86, B373/86, 25.09.86 B44/85, 16.10.86 B91/85, 12.06.87 B84/85 -, wonach das Unterlassen einer Versammlungsanzeige allein noch nicht die Auflösung der Versammlung rechtfertigt). Enthält die Eingabe aber (bloß) mangelhafte, die einzelnen Umstände der beabsichtigten Versammlung nicht ausreichend konkretisierende Angaben, so ist die Versammlungsanzeige zurückzuweisen oder allenfalls die Versammlung zu untersagen (vgl. VfSlg. 9103/1981).

Das Erfordernis der ausreichenden Konkretisierung gilt insbesondere dann, wenn die Versammlung auf eine Weise durchgeführt werden soll, die an sich rechtswidrig wäre und nur als unbedingt notwendige Begleiterscheinung einer Versammlung rechtmäßig würde.

Die Formulierung in der Versammlungsanzeige, daß "technische Hilfsmittel" verwendet würden, ist derart unbestimmt, daß die Behörde daraus nicht schließen konnte, es werde ein PKW in die Fußgängerzone einfahren.

Wenngleich die Annahme nahelag, bei der unter freiem Himmel abgehaltenen Versammlung würden auch stimmenverstärkende technische Mittel (etwa Megaphone) verwendet werden, so war es keineswegs selbstverständlich, daß eine für den Fahrzeugverkehr allgemein gesperrte Verkehrsfläche mit einem Kraftfahrzeug befahren werde. In der Anzeige fehlt jeglicher Hinweis auf ein solches Vorgehen; sie enthält daher auch keine näheren Angaben darüber, wann, wo, mit welchen und mit wievielen Fahrzeugen die Fußgängerzone zu befahren beabsichtigt war. Diese Unvollständigkeit der Versammlungsanzeige hat der Versammlungsveranstalter zu vertreten, weil eindeutig feststehen muß, welches Verhalten als notwendige Begleiterscheinung einer Versammlung gemäß §6 VStG gerechtfertigt werden soll.

Das - an sich strafbare - Abstellen des PKW in der Fußgängerzone war daher nicht deshalb nach §6 VStG gerechtfertigt, weil es im Rahmen einer Versammlung stattfand.

Der Beschwerdeführer wurde also durch den angefochtenen Strafbescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt.

Die Unvollständigkeit der Versammlungsanzeige hat der Versammlungsveranstalter zu vertreten, weil eindeutig feststehen muß, welches Verhalten als notwendige Begleiterscheinung einer Versammlung gemäß §6 VStG gerechtfertigt werden soll.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Versammlungsrecht, Verwaltungsstrafrecht, Straßenpolizei

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B281.1988

Dokumentnummer

JFR_10118992_88B00281_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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