RS Vfgh 1988/12/7 B1289/88

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Veröffentlicht am 07.12.1988
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Index

L1 Gemeinderecht
L1010 Stadtrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art118 Abs3 Z8
B-VG Art118 Abs6
B-VG Art130 Abs2
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
ProstitutionsV Villach
MRK Art8
Villacher Stadtrecht 1965 §9

Leitsatz

ProstitutionsV Villach vom 4. September 1987; ortspolizeiliche V iS des Art118 Abs6 B-VG; in der Öffentlichkeit in Erscheinung tretende Formen der Prostitution gehören zur Materie Sittlichkeitspolizei (Art118 Abs3 Z8 B-VG); kein Verstoß gegen Art8 MRK; ausreichende Determinierung iS des Art18 B-VG; Beschränkung der Ausübung der Prostitution auf Betriebe unter Verbot des "Gassenstrichs" adäquates Mittel zur Abwehr von Mißständen

Rechtssatz

Die ProstitutionsV Villach ist keine DurchführungsV iSd Art18 Abs2 B-VG, sondern eine - selbständige (verfassungsunmittelbare), gesetzesergänzende - ortspolizeil Verordnung nach Art118 Abs6 B-VG und der gleichlautenden Vorschrift des §9 des Villacher Stadtstatuts.

Die "Sittlichkeitspolizei" gehört dem Art118 Abs3 Z8 B-VG zufolge zu den den Gemeinde gewährleisteten Selbstverwaltungsaufgaben; die Ordnung und Überwachung der Prostitution zählt zur Sittlichkeitspolizei, sofern es darum geht, Gefahren abzuwehren, die der Sittlichkeit durch die Ausübung der Prostitution drohen; der Sittlichkeit drohende Gefahren können zumindest von einigen Erscheinungsformen der Prostitution (etwa vom sogenannten "Gassenstrich") ausgehen; insoweit gehört die Regelung der Prostitution zum Tatbestand "Sittlichkeitspolizei"; damit im Zusammenhang stehende behördliche Aufgaben sind gemäß Art118 Abs3 Z8 B-VG der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich gewährleistet; lediglich solche Formen der Prostitution, die der Öffentlichkeit gegenüber nicht in Erscheinung treten (die Sittlichkeit also nicht bedrohen), fallen nicht unter Art118 Abs3 Z8 B-VG (vgl. zB VfSlg. 10274/1984 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur, insbesondere VfSlg. 7960/1976 und 8734/1980).

§1 ProstitutionsV Villach verbietet den (der Öffentlichkeit gegenüber in Erscheinung tretenden) "Gassenstrich". Die Erlassung eines solchen Verbotes gehört gemäß Art118 Abs3 Z8 B-VG zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.

Nach dem Sprachgebrauch ist unter "Prostitution" nur die gewerbsmäßige Unzucht gemeint. Die Verordnung regelt also nur die gewerbsmäßige Unzucht. Auch das Postulat der verfassungskonformen Auslegung führt zu diesem Ergebnis. Die gewerbsmäßige Unzucht tritt nun aber - wie der Verfassungsgerichtshof etwa im Erk. VfSlg. 8272/1978 dargetan hat - der Öffentlichkeit gegenüber notwendig in Erscheinung; daher zählt auch die Regelung der in den §§2 ff ProstitutionsV Villach angeführten Tätigkeiten zur Sittlichkeitspolizei und damit zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.

Es widerspräche tatsächlich dem die Privatsphäre schützenden Art8 MRK, wenn die ProstitutionsV Villach die in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung tretende geschlechtliche Hingabe (auch wenn sie um einer Entlohnung wegen erfolgt) regeln würde (vgl. VfSlg. 8272/1978). Die ProstitutionsV Villach erfaßt aber nur den "Gassenstrich" (der von der Öffentlichkeit nicht unbemerkt bleibt) und die in Häusern stattfindende gewerbsmäßige Prostitution (die der Öffentlichkeit gegenüber notwendig in Erscheinung tritt - vgl. zB VfSlg. 8272/1978).

Das in Art18 B-VG für Gesetz postulierte Determinierungsgebot gilt auch für gesetzesergänzende Verordnungen (vgl. VfSlg. 4572/1963, 5637/1967).

Ausreichende Determinierung der ProstitutionsV Villach; freies Ermessen widerspricht nicht Art130 Abs2 B-VG; unbestimmte Rechtsbegriffe - insbesondere der Begriff "Lärm" - sind auslegbar; auch die Übergangsregel des §9 der Verordnung ist hinreichend klar.

Eine ortspolizeiliche Verordnung muß zur Zielerreichung tauglich und adäquat sein.

Im Hinblick auf die bestehenden oder zu erwartenden Mißstände war es nicht unangemessen, den "Gassenstrich" überhaupt zu verbieten und die Prostitution auf Bordelle und "bordellähnliche Betriebe" zu beschränken. Dann aber ist es nahezu unvermeidlich, hiefür nähere Reglementierungen zu treffen, so über die "Betriebsstätte" und die persönlichen Voraussetzungen des Verantwortlichen.

Der Verfassungsgerichtshof kann dem Gemeinderat nicht entgegentreten, wenn er davon ausgegangen ist, es sei durch die bisher geübten Formen der Prostitution ein Mißstand eingetreten oder zumindest zu erwarten, den es zu beseitigen oder abzuwehren gelte.

Kein Verstoß der ProstitutionsV Villach gegen Gleichheitssatz und Erwerbsausübungsfreiheit.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Gemeinderecht, Verordnung (Gemeinde-), Wirkungsbereich eigener, Sittlichkeitspolizei, Prostitution, Rechtsbegriffe unbestimmte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B1289.1988

Dokumentnummer

JFR_10118793_88B01289_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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