RS Vfgh 1989/3/4 G232/88, G233/88

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Veröffentlicht am 04.03.1989
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Index

63 Allgemeines Dienst- und Besoldungsrecht
63/02 Gehaltsgesetz 1956

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 dritter Satz
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
GehG 1956 §26 Abs3 Z3 idF BGBl 656/1983

Leitsatz

Feststellung der Gleichheitswidrigkeit der Abfertigungsregelung für weibliche Beamte nach §26 Abs3 Z3 GehaltsG 1956 idF BGBl. 656/1983 soweit durch den Begriff "Annahme eines Kindes" ein Zeitpunkt festgelegt wird sowie aus den in VfSlg. 11155/1986 genannten Gründen; Abgrenzung des Umfanges der Feststellung der Verfassungswidrigkeit mit Rücksicht auf die Auswirkung in den Anlaßfällen

Rechtssatz

Eine Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes wirkt sich, wenn nicht gleichzeitig iS des Art140 Abs7 zweiter Satz zweiter Halbsatz B-VG ausgesprochen wird, daß die Gesetzesstelle auch auf die vor der Feststellung verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist, nur auf die Anlaßfälle aus. Da der Verfassungsgerichtshof in den vorliegenden Verfahren keinen Anlaß für einen Ausspruch über eine allgemeine Nichtanwendung der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen sieht, die Entscheidung demnach nur auf die Anlaßfälle wirkt, muß, wie der Verfassungsgerichtshof im Erk. VfSlg. 10834/1986 dargelegt hat, anders als sonst auf die Auswirkung in den Anlaßfällen gesehen werden, weil jede andere Vorgangsweise den Sinn der Abwägung verfehlen würde.

Eine Feststellung, daß die gesamte in Prüfung stehende Vorschrift verfassungswidrig war, würde die Beschwerde, die den Anlaß zur Einleitung der Gesetzesprüfungsverfahren gaben, um jeden Erfolg bringen, weil bei Fehlen einer dem §26 Abs3 Z3 GehG 1956 (idF der 41. GehG-Novelle) entsprechenden Vorschrift gemäß §26 Abs2 litb GehG 1956 ein Anspruch der Beschwerdeführerinnen auf Gewährung einer Abfertigung im Fall des freiwilligen - wenngleich wegen der Annahme eines Kindes an Kindes Statt oder der Übernahme eines Kindes in unentgeltliche Pflege erfolgenden - Austrittes aus dem Dienstverhältnis nicht besteht.

Unter diesen besonderen Umständen kann entgegen der vorläufigen Annahme im Beschluß über die Einleitung der Gesetzesprüfungsverfahren die Feststellung der Verfassungswidrigkeit auf die im Spruch genannten Wortfolgen und das dort genannte Wort der in Prüfung gezogenen Z3 des §26 Abs3 GehG 1956 beschränkt werden.

Kein untrennbarer Zusammenhang der gesamten Z3 des §26 Abs3 GehG 1956.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei der Auffassung, daß der letzte Absatz des Schreibens des Präsidiums des Bundeskanzleramtes vom 29.10.1987 der - für sich genommen - geeignet ist, Inhalt des Spruches eines Bescheides zu sein, als ein den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung einer Abfertigung abweisender Bescheid (siehe dazu etwa VwGH 30.10.1969, 1444/69) anzusehen ist, wenngleich die Erledigung weder als Bescheid bezeichnet, noch in Spruch und Begründung gegliedert ist und auch keine Rechtsmittelbelehrung enthält (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VwGH 14.02.1979, 2854/77).

Der Vefassungsgerichtshof hat, da gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die angefochtenen Bescheide an den im Zeitpunkt ihrer Erlassung in Geltung gestandenen Rechtsvorschriften zu messen (vgl. etwa VfSlg. 7416/1974, 8804/1980). Er hat daher bei der Entscheidung über die vorliegenden Beschwerden den §26 Abs3 Z3 GehG 1956 in dem Umfang, in dem ihn die belangte Behörde angewendet haben bzw. zu seiner Anwendung verpflichtet waren (vgl. dazu VfSlg. 5373/1966, 8647/1979, 10617/1985) - wenngleich die Begründung des angefochtenen Bescheides erkennen läßt, daß die Behörde ihre abweisende Entscheidung auf §26 Abs2 litb iVm. §26 Abs3 Z2 GehG 1956 stützen zu können glaubte -, ungeachtet dessen anzuwenden, daß diese Vorschrift seit dem 01.06.1988 nicht mehr dem Rechtsbestand angehört (siehe dazu VfSlg. 4920/1965, 8253/1978).

In der Z3 im §26 Abs3 des GehG 1956, BGBl. 54, idF der 41. GehG-Novelle, BGBl. 656/1983, waren die erste der beiden Wortfolgen "innerhalb von sechs Monaten", die Wortfolge "das das erste Lebenjahr noch nicht vollendet hat und" sowie das Wort "solchen" verfassungswidrig.

Die Regelung der Abfertigung im Fall des freiwilligen Austritts einer Beamtin aus dem Dienstverhältnis in §26 Abs3 Z3 GehG 1956 widerspricht, soweit sie sich auf die Annahme an Kindes Statt bezieht und durch den Begriff 'Annahme eines Kindes' einen Zeitpunkt festlegt, dem aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließenden Sachlichkeitsgebot (mit Hinweis auf E v 03.12.1986, G178/86).

Die Grenzen der Aufhebung einer in Prüfung stehenden Gesetzesbestimmung müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (siehe etwa VfSlg. 8004/1977, 8701/1979 und 8719/1979) derart gezogen werden, daß einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlaßfall ist, daß aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele niemals vollständig erreicht werden können, hat der Verfassungsgerichtshof in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (vgl. VfSlg. 8461/1978 mwH.). Das gilt grundsätzlich auch für den Fall der bloßen Feststellung, daß ein Gesetz verfassungswidrig war (VfSlg. 10834/1986).

(Anlaßfälle B1452/87 und B1098/88, beide vom 4. März 1989 - Aufhebung der Bescheide wegen Verletzung des Gleichheitsrechtes)

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsmaßstab, Dienstrecht, Abfertigung, VfGH / Prüfungsumfang Verwerfungsumfang, VfGH / Aufhebung Wirkung, Gleichheitsrecht Frau - Mann, Bescheidbegriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G232.1988

Dokumentnummer

JFR_10109696_88G00232_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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