RS Vfgh 1989/12/7 G237/89, G238/89, G239/89, G240/89

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Veröffentlicht am 07.12.1989
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Index

55 Wirtschaftslenkung
55/01 Wirtschaftslenkung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Parteirechte
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
StGG Art5 / Eingriff
AVG 1950 §8
BAO §78 Abs3
MOG 1985 §71 Abs5 idF BGBl 291/1985. 138/1987

Leitsatz

Keine verfassungsmäßige Garantie von Parteirechten in einem Verfahren schlechthin; Parteistellung der Milcherzeuger im Verfahren über die Entrichtung von Absatzförderungsbeiträgen infolge verfassungskonformer Auslegung des MOG und der BAO im Hinblick auf das Gleichheitsgebot; Aufhebung des §71 Abs5 MOG 1985 wegen Verhängung einer überschießenden Sanktion unabhängig vom Unrechtsgehalt des Verstoßes

Rechtssatz

§71 Abs5 Marktordnungsgesetz 1985 - MOG, BGBl. 210 idF der Novelle BGBl. 291/1985 und 138/1987 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

§71 Abs5 MOG 1985 sieht für die Verletzung von Pflichten, die im Zusammenhang mit der Begünstigung der Lieferung von auf Almen erzeugter Milch (di. der Entfall des zusätzlichen Absatzförderungsbeitrags) bestehen, zwingend den Verlust dieser Begünstigung für einen Zeitraum von drei Jahren vor. Der Sache nach bewirkt der Verlust der Begünstigung eine gravierende Abgabenerhöhung.

§71 Abs5 MOG 1985 ist wegen Widerspruchs zum verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot als verfassungswidrig aufzuheben, weil er unabhängig vom Unrechtsgehalt des Verstoßes eine gravierende Sanktion vorsieht, und zwar eine für die Verwirklichung von Tatbeständen stark verschiedenen Unrechtsgehaltes stets zwingend gleiche Sanktion. Durch diese Gleichheitswidrigkeit ist der gesamte §71 Abs5 mit Verfassungswidrigkeit belastet.

Der Verfassungsgerichtshof hat im E v 13.12.88, B639/87, seine ständige Rechtsprechung (Hinweis auf VfSlg. 8279/1978 und die dort genannte Vorjudikatur, ferner VfSlg. 8397/1978, 9451/1982) zur Frage der verfassungsmäßigen Garantie der Parteistellung dahingehend zusammengefaßt, daß mit Ausnahme von Einzelfällen wie Art119a Abs9 B-VG keine Verfassungsnorm bestehe, die Parteirechte in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantieren würde. Jedenfalls scheide das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter als Maßstab für den Gesetzgeber aus, weil eben die durch das Gesetz bestimmte Behörde gegenüber den durch das Gesetz mit Parteirechten ausgestatteten Personen der "gesetzliche Richter" sei. Damit sei die Zuerkennung von Parteirechten freilich nicht in das Belieben des Gesetzgebers gestellt. Das die Parteirechte bestimmende Gesetz unterliege nämlich auch dem aus dem Gleichheitssatz (Art7 B-VG, Art2 StGG) abzuleitenden Sachlichkeitsgebot (Hinweis auf VfSlg. 7182/1973, 8328/1978, 9094/1981 und 10692/1985). In aller Regel werde danach die Zuerkennung subjektiver Rechte auch die Zuerkennung von Parteirechten erfordern. Je nach dem Zweck des Verfahrens und der Eigenart und Bedeutung der berührten Rechtsposition könne aber auch die Versagung einer Parteistellung sachgerecht sein, wenn das Verfahren in der Hauptsache die Interessen eines anderen wahren soll.

Der Gleichheitssatz gebietet es, den Milcherzeugern im Verfahren über die Entrichtung von Absatzförderungsbeiträgen für von den Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieben von ihnen übernommene Milch subjektive öffentliche Rechte und damit Parteistellung zu gewähren.

Der Absatzförderungsbeitrag gemäß dem MOG 1985 greift hauptsächlich in das Eigentumsrecht des Milcherzeugers ein, da es sich beim formell abgabepflichtigen Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb bloß um durchlaufende Posten handelt. Es verstieße daher gegen den Gleichheitssatz, bloß dem Bearbeitungs- und Verarbeitungsbetrieb Parteistellung und damit Rechtsschutz zu gewähren, nicht aber dem milcherzeugenden Landwirt und damit den Eingriff in subjektive Rechte des Milcherzeugers zu verneinen. Anders als die Bundesregierung meint wird durch die Bestimmungen des Marktordnungsgesetz bei verfassungskonformer Interpretation das wirtschaftliche Interesse der Milcherzeuger auch rechtlich geschützt, sodaß die angefochtenen Bescheide (auch) in die Rechtssphäre der Milcherzeuger selbst eingreifen.

Die Milcherzeuger haben im Verfahren über die Entrichtung von Absatzförderungsbeiträgen Parteistellung.

Folglich sind auch die von ihnen erhobenen Beschwerden zulässig.

(Anlaßfälle: E v 07.12.89, B1333/88, B1352-1354/88 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide)

Entscheidungstexte

  • G 237-240/89
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 07.12.1989 G 237-240/89

Schlagworte

Marktordnung, Parteistellung, Auslegung verfassungskonforme, VfGH / Legitimation, Abgabenverkürzung Sanktion, Finanzverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G237.1989

Dokumentnummer

JFR_10108793_89G00237_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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