RS Vfgh 1990/3/1 B933/88, B195/89

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 01.03.1990
beobachten
merken

Index

59 Völkerrechtliche Verträge
59/10 Handelsabkommen

Norm

B-VG Art9 Abs2 B-VG Art10 Abs1 Z2 B-VG Art18 Abs2 B-VG Art50 Abs2 B-VG Art83 Abs2 B-VG Art102 Abs2 B-VG Art102 Abs3 B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung F-VG 1948 BAO §291 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Art31 Abs3 litb Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Italien über die Regelung des erleichterten Warenaustausches zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino-Alto Adige ."Accordino", Art3, Art6

Leitsatz

Verfassungsrang und unmittelbare Anwendbarkeit des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Italien über die Regelung des erleichterten Warenaustausches zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino-Alto Adige ("Accordino"); Rechtscharakter der Beschlüsse der Gemischten Kommission; kein Instanzenzug gegen Bescheide des Landeshauptmannes von Vorarlberg als von der Finanzlandesdirektion in Innsbruck delegierte Behörde bei Vollziehung des Accordino; verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der Delegation von der Finanzlandesdirektion in Innsbruck an den Landeshauptmann von Vorarlberg; rechtsstaatlichen Erfordernissen entsprechende Kundmachung der Delegationsverordnung; kein Widerspruch des im Verfassungsrang stehenden Accordino zu Art18 B-VG; keine Durchbrechung des rechtsstaatlichen Prinzips; kein willkürliches Vorgehen der Behörde

Rechtssatz

Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Italien über die Regelung des erleichterten Warenaustausches zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino-Alto Adige wurde durch ArtII Z4 des BVG BGBl. 59/1964 zur Gänze in den Verfassungsrang gehoben (mit Literatur).

Bei den Beschlüssen der gemäß Art6 Abs1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Italien über die Regelung des erleichterten Warenaustausches zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino-Alto Adige gebildeten Gemischten Kommission, mit denen die Kontingentlisten geändert bzw. ergänzt werden, handelt es sich um Rechtsetzungsakte eines zwischenstaatlichen Gemeinschaftsorganes, die mit ihrer Kundmachung im Bundesgesetzblatt Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung werden. Die Übertragung dieser - die Änderung bestimmter Vorschriften eines im Verfassungsrang stehenden Staatsvertrages betreffenden - Rechtsetzungsbefugnis erweist sich schon angesichts des Verfassungsranges des ihre Grundlage bildenden Art6 des Accordino als verfassungsrechtlich unbedenklich und zwar ungeachtet dessen, daß das Accordino bereits vor dem Inkrafttreten des durch das BVG BGBl. 350/1981 (mit 1. August 1981) eingefügten, die Übertragung einzelner Hoheitsrechte des Bundes auf zwischenstaatliche Einrichtungen und ihre Organe ermöglichenden Art9 Abs2 B-VG abgeschlossen wurde (mit Literatur).

Die in den Beschwerdefällen maßgeblichen Vorschriften des Accordino (Art3 Abs2 zweiter und dritter Satz, Art6) sind unmittelbar anwendbar.

Für die unmittelbare Anwendbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrages kommt es zum einen darauf an, ob der Wille der Vertragsparteien auf die Anwendung des Vertrages durch Gerichte und Verwaltungsbehörden ohne Einschaltung staatlicher Rechtsetzung gerichtet ist. Und ob seine Regelungen die objektive Eignung zur innerstaatlichen Anwendung aufweisen, wobei es auf die Bestimmbarkeit des zuständigen Vollzugsorgans, des Adressatenkreises und der bei der Durchsetzung des Anspruches einzuhaltenden Vorgangsweise sowie auf eine ausreichende inhaltliche Bestimmtheit der Regelung ankommt.

Nach Art31 Abs3 litb des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, BGBl. 40/1980, ist für die Auslegung zwischenstaatlicher Verträge (auch) jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht, zu berücksichtigen. Diese Übung, insbesondere die Tätigkeit der nach Art6 des Accordino gebildeten Gemischten Kommission zeigt, daß beide Vertragsstaaten die Vorschriften des Accordino in ständiger Praxis als unmittelbar anwendbar handhabten.

Schließlich sind auch bisher sowohl der Verfassungsgerichtshof als auch der Verwaltungsgerichtshof und der Oberste Gerichtshof wenngleich ohne sich ausdrücklich mit der Frage auseinanderzusetzen - von der unmittelbaren Anwendbarkeit des Accordino ausgegangen.

Demgegenüber kann aus dem Umstand, daß die Genehmigung des Accordino durch den Nationalrat nicht unter einem "Erfüllungsvorbehalt" erfolgte, für die Beantwortung der Frage nach seiner unmittelbaren Anwendbarkeit schon deshalb nichts abgeleitet werden, weil das Accordino vom Nationalrat zu einem Zeitpunkt genehmigt wurde, als diese durch Art50 Abs2 B-VG dem Nationalrat eröffnete Möglichkeit noch nicht bestanden hatte (mit Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung).

Der Landeshauptmann von Vorarlberg wird bei der Besorgung dieser Angelegenheiten (Art3 Abs2 zweiter Satz des Accordino: "Bewilligung der Inanspruchnahme der . . . Einfuhr-Kontingente") als von der Finanzlandesdirektion in Innsbruck delegierte Behörde tätig. In solchen Fällen richtet sich der Instanzenzug nach den für die delegierende Behörde maßgebenden Vorschriften (VfSlg. Anh. 9/1956). Die Finanzlandesdirektion hat bei der Vollziehung des Accordino - einer zollrechtlichen Vorschrift (vgl. VwGH 16.10.1986, 86/16/0109) - die Vorschriften der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, in der hier maßgeblichen Fassung, anzuwenden (§1 lita BAO). Nach §291 BAO ist - unter anderem - gegen Bescheide der Abgabenbehörden zweiter Instanz (d.s. gemäß §74 BAO die Finanzlandesdirektionen) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Die angefochtenen Bescheide unterliegen mithin keinem Instanzenzug.

Gegen die Verordnung der Finanzlandesdirektion in Innsbruck vom 12. Feber 1958, soweit sie die Delegierung an den Landeshauptmann von Vorarlberg zum Inhalt hat bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gegen die diese Delegierung ermöglichende Vorschrift des Art3 Abs2 zweiter Satz des Accordino besteht angesichts ihres Verfassungsranges nicht das Bedenken, daß es sich um eine - verfassungswidrige - formalgesetzliche Delegation handle.

Daß die Finanzlandesdirektion von der ihr mit Art3 Abs2 zweiter Satz des Accordino erteilten Ermächtigung, die ihr durch eben diese Vorschrift eingeräumte Zuständigkeit (generell) einer anderen Behörde zu übertragen ("die von ihr delegierte Stelle"), durch Erlassung einer Verordnung Gebrauch gemacht hat, ist im Lichte der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verfassungsrechtlich unbedenklich. In der allgemeinen Übertragung einer Zuständigkeit liegt nämlich die Erlassung einer Rechtsverordnung.

Auch der Umstand, daß mit der in Rede stehenden Verordnung eine Zuständigkeit der Finanzlandesdirektion nicht auf ein Organ der Bundesfinanzverwaltung übertragen wurde, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die den Gegenstand dieser Übertragung bildende Zuständigkeit der "Finanzlandesdirektion in Innsbruck" beruht nicht (mittelbar) auf §11 Abs1 F-VG 1948 sondern (unmittelbar) auf Art3 Abs2 zweiter Satz des Accordino.

Die Vollziehung des Accordino ist auf Grund des Kompetenztatbestandes "Zollwesen" (Art10 Abs1 Z2 B-VG) Bundessache. Ungeachtet der aus Art102 Abs2 B-VG folgenden Zulässigkeit der Vollziehung zollrechtlicher Vorschriften in unmittelbarer Bundesverwaltung ist die Übertragung von Zuständigkeiten in solchen Angelegenheiten auf den Landeshauptmann als Träger der mittelbaren Bundesverwaltung (Art102 Abs1 B-VG) und damit - funktionell gesehen - als Bundesbehörde (vgl. VfSlg. 5681/1968) keineswegs ausgeschlossen. Vielmehr läßt Art102 Abs3 B-VG derartiges ausdrücklich zu. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die durch diese Vorschrift dem einfachen (Bundes-)Gesetzgeber erteilte Ermächtigung (s. etwa VfSlg. 4591/1963) durch eine unmittelbar auf einer Verfassungsnorm beruhende Verordnung ausgeübt wird.

Außerdem kann unbedenklicherweise angenommen werden, daß die auf Grund des Art3 Abs2 zweiter Satz des Accordino erfolgte Delegierung der Landeshauptmänner von Tirol und von Vorarlberg vom Willen der Vertragsparteien umfaßt war.

In der allgemeinen Übertragung einer Zuständigkeit liegt die Erlassung einer Rechtsverordnung.

Es besteht keine gesetzliche Vorschrift, die generell die Kundmachung von Verordnungen der Finanzlandesdirektionen regelt. Ebenso fehlt eine spezielle gesetzliche Regelung über die Form der Kundmachung der hier in Rede stehenden Verordnung. Es ist daher eine Kundmachung als ausreichend anzusehen, die dieser Verordnung jenes Maß an Publizität verschafft, das nach dem in der Bundesverfassung verankerten rechtsstaatlichen Prinzip geboten ist.

Die Verordnung wurde nicht nur im Amtsblatt zur Wiener Zeitung, sondern auch im Boten für Tirol und im Amtsblatt für das Land Vorarlberg verlautbart. Überdies wurde mit Kundmachung des Bundesministers für Finanzen, die Erlassung der Verordnung unter Angabe der Fundstelle ihrer Verlautbarung im Boten für Tirol und im Amtsblatt für das Land Vorarlberg bekanntgemacht.

Die Kundmachung der Verordnung erfolgte somit in amtlichen Verlautbarungsorganen, die im (hier maßgeblichen) Zeitpunkt der Kundmachung jedenfalls auch für die Verlautbarung von Verordnungen bestimmt waren.

Der Verfassungsgerichtshof hegt unter diesen Umständen keinen Zweifel, daß die Kundmachung dieser Verordnung in einer Weise erfolgt ist, die dem aus dem rechtsstaatlichen Prinzip abzuleitenden Gebot einer ausreichenden Kundmachung von Rechtsverordnungen entspricht.

Das Accordino steht mit Art4 B-VG und Art18 B-VG auf derselben Stufe und kann somit auch nicht an Art18 B-VG gemessen werden. Angesichts des Verfassungsranges sämtlicher Vorschriften des Accordino vermag das Fehlen von Kriterien für die Aufteilung der Einfuhr-Kontingente auf eine Mehrheit von Bewilligungswerbern von vornherein nicht die Verfassungswidrigkeit des Art3 Abs2 oder einer anderen Vorschrift des Accordino wegen eines Widerspruches zu Art18 B-VG zu bewirken. Die relative Unbestimmtheit der hier relevanten Normen bedeutet angesichts ihres Verfassungsranges und des verhältnismäßig geringen Umfanges ihres (sachlichen) Geltungsbereiches auch weder eine Beseitigung noch eine entscheidende Durchbrechung des in der Bundesverfassung verankerten rechtsstaatlichen Prinzips.

Es liegt auf der Hand, daß die Aufteilung des Einfuhr-Kontingentes zu (betragsmäßig) gleichen Teilen auf sämtliche Antragsteller allein schon mit Rücksicht darauf nicht als gleichheitskonform angesehen werden könnte, daß dabei die vom Antragsteller jeweils beantragte Menge völlig unbeachtet bliebe, unter Umständen daher mehr zugesprochen würde als beantragt wurde. Auch die von der Beschwerdeführerin als (noch) mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar erachtete prozentuelle Kürzung der beantragten Mengen um jenes Ausmaß, in dem die insgesamt beantragten Mengen das verfügbare Einfuhr-Kontingent übersteigen, stünde in Wahrheit mit dem Gleichheitssatz in Widerspruch, weil in einem solchen Fall die zugeteilte Menge allein von der im jeweiligen Antrag angegebenen, im Belieben des Antragstellers stehenden und jeder Bestimmung nach sachlichen Gesichtspunkten entzogenen Menge abhängig wäre. Die belangte Behörde war offensichtlich bemüht, eine Verteilung nach objektiven, sachgerechten Kriterien vorzunehmen, die eine nicht durch Unterschiede im Bereich des Tatsächlichen begründete Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Bewilligungswerber vermeidet.

Keine Verletzung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter - keine Bedenken gegen die Festlegung der Zuständigkeit des Landeshauptmannes von Vorarlberg durch eine Verordnung gemäß Art3 Abs2 des Accordino.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Instanzenzugserschöpfung, Völkerrecht, Bundesverfassung, Rechtsquellensystem, Staatsvertrag, Anwendbarkeit, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, Finanzverfahren, Rechtsmittel, Zollrecht, Delegierung, Behördenzuständigkeit, Finanzverfassung, Kompetenz Bund - Länder Abgaben, RechtsV, VerwaltungsV

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B933.1988

Dokumentnummer

JFR_10099699_88B00933_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten