RS Vfgh 1990/6/11 B947/89, B1006/89

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Veröffentlicht am 11.06.1990
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb Ausübung nicht erfolgte B-VG Art144 Abs1 / Vollstreckungshandlung B-VG Art144 Abs1 / Anhaltung StGG Art8 AsylG §5 FremdenpolizeiG §11 Abs2 VStG §35 lita VStG §36 Abs1 VStG §53b Abs1

Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerde gegen die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft; keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit durch die Festnahme wegen des Verdachtes des illegalen Aufenthaltes in Österreich und durch den Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe ohne Aufforderung zum Strafantritt

Rechtssatz

Weder die aufgrund eines vollstreckbaren Schubhaftbescheides erfolgte Festnahme und Anhaltung noch die Abschiebung stellen (etwa bescheidmäßig zu treffende) Vollstreckungsverfügungen dar; sie sind Maßnahmen, die der Vollstreckung der vorangegangenen Bescheide dienen. Derartige Verwaltungsakte, die bloß als Maßnahmen zur Vollstreckung vorangegangener Bescheide anzusehen sind, können nicht als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt qualifiziert werden, die nach Art144 Abs1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar sind (vgl. die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, zB VfSlg. 10978/1986).

Die Anhaltung des Beschwerdeführers vom 23. April bis 4. Juli 1989 war also durch diese (vollstreckbaren) Bescheide gedeckt.

Der Umstand, daß der Beschwerdeführer am 3. Mai 1989 einen Asylantrag einbrachte, ändert daran nichts; denn ein solcher Antrag beseitigt weder kraft Gesetzes einen Schubhaftbescheid aus der Rechtsordnung noch hemmt er dessen Vollstreckbarkeit.

Die Beschwerde war daher, soweit sie sich gegen die Anhaltung nach Zustellung des Schubhaftbescheides - also gegen die Haft nach dem 23. April 1989, 12,50 Uhr - bis zur Entlassung aus der Schubhaft am 4. Juli 1989, 15,00 Uhr, wendet, mangels Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen.

Keine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit.

Die hier einschreitenden Sicherheitsorgane durften mit gutem Grund - und damit vertretbar - zur Auffassung gelangen, daß der Beschwerdeführer sich die Übertretungen nach dem MeldeG, dem PaßG und dem FrPG zu Schulden kommen ließ (hier: Einreise nach Österreich unter Umgehung der Grenzkontrolle ohne Reisedokumente; Wohnen ohne ordnungsgemäße Meldung; Vorweisung verschiedener, auf andere Personen lautender, teilweise nachträglich veränderter Dokumente) und deshalb lag - weil der Beschwerdeführer auf frischer Tat (zumindest in Ansehung des illegalen Aufenthaltes in Österreich) betreten worden war, seine Identität der einschreitenden Beamten unbekannt war und er sich nicht ausweisen konnte - der Festnahmegrund nach §35 lita VStG 1950 vor.

Der Beschwerdeführer wurde - dem §36 Abs1 VStG 1950 entsprechend - unverzüglich der "nächsten sachlich zuständigen Behörde" übergeben. Die auf §35 lita iVm §36 VStG 1950 gestützte Anhaltung dauerte lediglich eine Stunde. Sie währte also nicht gesetzwidrig lang.

Die Behörde konnte beim gegebenen Sachverhalt davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer über keinerlei Einkommen oder Vermögen verfügt. Sie durfte daher die - rechtskräftig verhängten - Ersatzfreiheitsstrafen in Vollzug setzen, ohne zuvor versuchen zu müssen, die Geldstrafen im Wege einer Exekution einzutreiben (vgl. VfSlg. 8642/1979, 101 f., 8679/1979, 256).

Seit der Änderung der Rechtslage durch §53b Abs1 VStG 1950 besteht bezüglich Bestrafter, die sich bereits in (Verwaltungs-)Haft befinden, seither - wie sich aus einem Umkehrschluß unter Beachtung des Sinnes der Regelung ergibt - die Aufforderungspflicht jedenfalls dann nicht, wenn sie zu Recht in Verwaltungshaft angehalten werden und wenn die Aufforderung, die Freiheitsstrafe binnen einer angemessen Frist anzutreten, dazu führt, daß der Bestrafte im Augenblick der Entlassung aus der bisherigen Haft rechtmäßig neuerlich in Haft (diesmal zum Vollzug der Freiheitsstrafe) genommen werden dürfte.

Die Anhaltung des Beschwerdeführers während des Zeitraumes zwecks Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafen entsprach daher dem Gesetz.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung, Grenzkontrolle, Fremdenpolizei, Schubhaft, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Asylrecht, Strafe, Vollzug Strafe, Vollstreckungshandlung, Vorführung Strafantritt, Ersatzfreiheitsstrafe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B947.1989

Dokumentnummer

JFR_10099389_89B00947_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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