RS Vfgh 1990/12/14 B103/90

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 14.12.1990
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Verfahrensanordnung
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
MRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
DSt 1872 §2
DSt 1872 §29 Abs3
DSt 1872 §47 Abs1 Z3
DSt 1872 §53 Z2
DSt 1872 §54

Leitsatz

Keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren durch Annahme des Vorliegens einer Berufspflichtenverletzung eines Rechtsanwalts; Möglichkeit der Akteneinsicht und der Erstattung einer Gegenäußerung durch den Beschwerdegegner nach Erhebung einer Beschwerde gegen einen Ablassungsbeschluß zur Sicherung der prozessualen Waffengleichheit; Entzug des gesetzlichen Richters durch Aufhebung eines Ablassungsbeschlusses auch hinsichtlich eines nicht in Beschwerde gezogenen und daher rechtskräftig gewordenen Teils hinsichtlich des Verdachtes eines Disziplinarvergehens

Rechtssatz

Kein Bescheidcharakter eines Einleitungsbeschlusses gemäß §29 Abs3 DSt; bloße Verfahrensanordnung.

Der Spruch des angefochtenen Bescheides ist jedoch als Einheit zu werten, dem zufolge der Beschwerde des Leiters der Oberstaatsanwaltschaft Folge gegeben, des weiteren der Ablassungsbeschluß aufgehoben und "in der Sache selbst" die Einleitung des Disziplinarverfahrens verfügt wurde; im Einleitungsbeschluß kommt nur zum Ausdruck, was sich aus der Aufhebung des Ablassungsbeschlusses mit bindender Wirkung für das in erster Instanz fortzusetzende Verfahren bereits ergibt. Durch Aufhebung des Ablassungsbeschlusses greift das angefochtene Erkenntnis der OBDK jedoch in die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers ein, sodaß die Beschwerdelegitimation vorliegt.

Kein Verstoß des §54 DSt gegen Art6 Abs1 MRK wegen der behaupteten Verletzung des Rechts auf Waffengleichheit.

Es ist wohl richtig, daß - tatsächlich - der Beschwerdegegner in der Bestimmung des §54 Abs2 DSt 1872 nicht genannt ist, die Regelung ist aber sinnvoll nur dahin zu verstehen, daß dem Beschwerdegegner (und seinem allfälligen Bevollmächtigten) die Akteneinsicht gewährleistet wird, weil es sinnwidrig wäre, daß diesem ein solches Recht erst nach der Beschwerdeerhebung (§54 Abs1 DSt) gewährleistet sein sollte. Verfassungskonform kann der Auftrag des §54 Abs2 DSt 1872 nur dahin verstanden werden, daß nach Einlangen einer Beschwerde dem Gegner des Beschwerdeführers die Akteneinsicht offenstehe, und zwar auch schon in einem Zeitpunkt bevor der Akt gemäß Abs3 leg.cit. der OBDK vorzulegen und von dieser über die Beschwerde ohne Anordnung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden ist.

Sinn und Ziel des Rechtes auf Akteneinsicht kann aber nur darin erblickt werden, daß es dem Beschwerdegegner freisteht, eine Gegenäußerung zu erstatten.

Der Generalprokuratur wurde weiters lediglich die Einsicht in den Disziplinarakt (unter Ausschluß eines Entscheidungsentwurfes des Berichterstatters) eingeräumt und die von ihr abgegebene Stellungnahme enthielt keine für das Beschwerdeverfahren relevanten Aussagen (daher keine Verletzung des fair trial durch Nichtanhörung des Beschwerdeführers).

Keine Verletzung des fair trial und des Gleichheitssatzes aufgrund der Annahme des Vorliegens einer Berufspflichtenverletzung durch den beschwerdeführenden Rechtsanwalt.

Soweit die OBDK im angefochtenen Bescheid jedoch auch das Vorliegen des Verdachtes des Disziplinarvergehens einer Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes zum Anlaß einer Aufhebung des Ablassungsbeschlusses und zur Anordnung der Einleitung eines Verfahrens genommen hat, ist davon auszugehen, daß insofern dem Oberstaatsanwalt eine Beschwerdebefugnis gegen die Ablassung gemäß §53 Z2 iVm §47 Abs1 Z3 DSt nicht zustand und damit in diesem Umfang Rechtskraft des Ablassungsbeschlusses eingetreten war. Der Oberstaatsanwalt hat wegen einer Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes eine Beschwerde auch gar nicht erhoben. Die belangte Behörde hat den Ablassungsbeschluß dennoch (auch) wegen des Verdachtes des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes behoben und die Einleitung des Disziplinarverfahrens auch insofern verfügt. Damit hat sich aber die belangte Behörde eine Zuständigkeit angemaßt, die ihr nach dem Gesetz nicht zukam, und damit den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Bescheidbegriff, Verfahrensanordnung, Bescheid Trennbarkeit, Waffengleichheit (Disziplinarverfahren), Auslegung verfassungskonforme, fair trial

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B103.1990

Dokumentnummer

JFR_10098786_90B00103_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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