RS Vfgh 1991/10/3 B554/90

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Veröffentlicht am 03.10.1991
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19 Völkerrechtliche Verträge
19/01 Staatsverträge von St. Germain und Wien

Norm

B-VG Art8
StV Wien 1955 Art7 Z3

Leitsatz

Unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen des StV Wien 1955 über Minderheitensprachen; Eisenstadt kein Verwaltungsbezirk mit "gemischter Bevölkerung"; keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gebrauch von Kroatisch als Amtssprache durch die Versagung der Ausfertigung einer an einen österreichischen Staatsbürger mit kroatischer Sprache gerichteten Strafverfügung in dessen Muttersprache

Rechtssatz

In den in Art7 Z3 StV Wien 1955 bezeichneten Gebieten kann sich jeder österreichische Staatsbürger, der in der Minderheitensprache verhandeln will, ohne Nachweis seiner Zugehörigkeit zur Minderheit dieser Sprache bedienen. Diese Auslegung entspricht dem Grundgedanken des Minderheitenschutzes, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe nicht in jedem einzelnen Verfahren nachweisen zu müssen und dabei unter Umständen in Diskriminierungsgefahr zu geraten (VfSlg. 11.585/1987 (S 750)).

Der Beschwerdeführer kann durch den bekämpften Bescheid (Ablehnung der Ausfertigung einer Strafverfügung in kroatischer Sprache) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art7 Z3 Satz 1 StV Wien 1955 (auf Gebrauch der Minderheitensprache) allein schon deswegen nicht verletzt worden sein, weil sein Wohnort, nämlich die Statutarstadt Eisenstadt, nicht zu den hier maßgebenden "Verwaltungsbezirken" mit "gemischter Bevölkerung" in der Bedeutung des Art7 Z3 Satz 1 StV Wien 1955 zählt, auf deren Gebiet das Kroatische zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache vor Behörden zugelassen ist.

In einem Gebiet mit "gemischter Bevölkerung" muß eine größere Zahl der dort wohnenden Personen zur Minderheit gehören. Dieser Feststellung ist bloß eine "vergröberte statistische Erfassung" zugrundezulegen. Demnach ist ein "Verwaltungsbezirk", in dem lediglich sehr wenige Kroaten wohnen, grundsätzlich noch kein Bezirk mit "gemischter Bevölkerung".

Zu diesem Normverständnis führt vor allem auch Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien 1955, der vorschreibt, daß "in solchen Bezirken", dh. in Verwaltungs- und Gerichtsbezirken mit kroatischer oder gemischter Bevölkerung iSd Art7 Z3 erster Satz StV Wien 1955, die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur in kroatischer Sprache und in Deutsch verfaßt werden. Da topographische Aufschriften der in Rede stehenden Art nach dem Sinn und Zweck der Norm nicht einzelnen Minderheitsangehörigen Erleichterung bringen, vielmehr der Allgemeinheit Kenntnis geben sollen, daß hier eine ins Auge springende - verhältnismäßig größere - Zahl von Minderheitsangehörigen lebt, muß nach der Wortsinnauslegung auch für Art7 Z3 erster Satz StV Wien 1955 ein zumindest nicht ganz unbedeutender (Minderheiten-)Prozentsatz gefordert werden; eine Auslegung, die durch die in VfSlg. 9801/1983 (S 147) enthaltene Aussage gestützt wird, daß nicht etwa nur die Unverständlichkeit der Staatssprache für die Minderheit, sondern die Möglichkeit der Bewahrung und Pflege der eigenen (Minderheiten-)Sprache Grund für die Zulassung des Kroatischen als Amtssprache sei.

Diese Kriterien einer "gemischten Bevölkerung", wie sie Art7 Z3 StV Wien 1955 insgesamt statuiert, sind für Eisenstadt und damit im Fall des Beschwerdeführers nicht erfüllt.

Demgemäß wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gebrauch der kroatischen Sprache vor Behörden nach Art7 Z3 Satz 1 StV Wien 1955 nicht verletzt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Volksgruppen, Verwaltungsstrafrecht, Staatsverträge, Anwendbarkeit Staatsvertrag, Minderheiten, Amtssprache, Rechte subjektive

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:B554.1990

Dokumentnummer

JFR_10088997_90B00554_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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