RS Vfgh 1991/10/4 G345/90, G41/91, G42/91, G125/91, G134/91, G165/91, G166/91, G167/91, G168/91, G16

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Veröffentlicht am 04.10.1991
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Index

L3 Finanzrecht
L3730 Aufenthaltsabgabe, Nächtigungstaxe, Ortstaxe

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art19 Abs1
B-VG Art101 Abs1
B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs3 erster Satz
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
Verordnungen der Tir LReg v 21.04.87. Bote für Tirol 471/1987. Ainet-Schlaiten, sowie v 29.11.88. Bote für Tirol 1091/1988. Ötztal Arena
Verordnungen der Tir LReg v 21.10.86. Bote für Tirol 854/1986. Innerötztal, sowie v 05.06.84. Bote für Tirol 571/1984. Oberlienz
Tir AufenthaltsabgabeG §5
Tir AufenthaltsabgabeG §5 Abs4
F-VG 1948 §6 Z3
F-VG 1948 §8
Tir Landes-VerlautbarungsG §12 Abs1
Tir LandesO Art44 Abs1

Leitsatz

Untrennbarer Zusammenhang der in Prüfung gezogenen Wortfolgen nicht gegeben; verfassungswidrige Bindung der Tiroler Landesregierung bei Erlassung von Verordnungen über Aufenthaltsabgaben an einen Antrag eines Fremdenverkehrsverbandes; keine Einschränkung der Führungs- und Leitungsbefugnis der Tiroler Landesregierung durch Erlassung einer Verordnung nach dem Tir AufenthaltsabgabeG erst nach Antragstellung; Anordnung der Rückwirkung einer Verordnung ohne gesetzliche Ermächtigung; gänzliche Aufhebung der rückwirkend in Kraft gesetzten Verordnungen zur Vermeidung eines offenkundig gesetzwidrigen Ergebnisses

Rechtssatz

Der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluß vorläufig angenommene untrennbare Zusammenhang der dort in Rede stehenden Wortfolgen ist nicht gegeben. Durch die Aufhebung nur der Wortfolgen "eines Fremdenverkehrsverbandes" im ersten Satz des §5 Abs2 Tir AufenthaltsabgabeG bzw. "einem Fremdenverkehrsverband" im ersten Satz des §5 Abs3 leg.cit. kommt dem verbleibenden Wortlaut ein eindeutiger, durch die Aufhebung nicht veränderter Inhalt zu.

Die Wortfolgen "eines Fremdenverkehrsverbandes" im ersten Satz des §5 Abs2 und "einem Fremdenverkehrsverband" im ersten Halbsatz des §5 Abs3 des Tir AufenthaltsabgabeG, LGBl. für Tirol 23/1976, waren verfassungswidrig.

Bei der Aufenthaltsabgabe nach dem Tir AufenthaltsabgabeG handelt es sich gemäß dessen §1 Abs1 iVm. dessen §8 in Übereinstimmung mit §6 Z3 und §8 F-VG 1948 und mit den jeweiligen Regelungen der Finanzausgleichsgesetze um eine ausschließliche Landesabgabe; diese Qualifikation schließt es aus, daß andere Rechtsträger als das Land selbst die diesbezüglichen Interessen an deren Erhöhung (gegebenenfalls auch Herabsetzung) wahrzunehmen haben.

Nach ständiger Rechtsprechung ist für eine öffentliche Abgabe wesentlich, daß nach dem Inhalt der gesetzlichen Regelung die Geldbeschaffung für eine Gebietskörperschaft "in der rechtlichen Art der Abgabenerhebung" stattfindet. Unwesentlich für die Qualifikation als öffentliche Abgabe ist demgegenüber Art und Zweck der Verwendung des beschafften Geldes für die Gebietskörperschaft. Insbesondere aber gliedert §6 Abs1 des F-VG 1948 die Abgaben nach dem Recht der Gebietskörperschaften zur Verfügung über den Ertrag im eigenen Haushalt in verschiedene Haupt- und Unterformen. Allfällige wirtschaftliche Interessen der Fremdenverkehrs- (nunmehr Tourismus)verbände, denen das Aufkommen aus den Aufenthaltsabgaben letztlich zugute kommt, müssen zurücktreten; diese Interessen sind keine solchen, die eine Bindung der Landesregierung an Anträge Dritter verfassungsrechtlich zulässig erscheinen lassen.

Mit der Möglichkeit der Wahrnehmung von Aufsichtsbefugnissen gegenüber den Verbänden allein kann im Hinblick darauf, daß mit der Festsetzung der Höhe ausschließlicher Landesabgaben die von eben diesen Verbänden wahrzunehmenden Interessen überstiegen wurden, die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der in Prüfung gezogenen gesetzlichen Regelungen nicht erwiesen werden. Denn vom Sinn der in Prüfung gezogenen Regelungen her ist es ausgeschlossen, daß die Antragsbefugnis eines Verbandes durch die Landesregierung substituiert werden konnte (vgl. mutatis mutandis VfSlg. 6495/1971, S 525).

Die in Prüfung genommenen präjudiziellen Wortfolgen in §5 Abs2 und Abs3 Tir AufenthaltsabgabeG verstießen demnach gegen die die Führungs- und Leitungsbefugnis der Landesregierung konstituierenden Verfassungsbestimmungen des Art19 Abs1 und Art101 Abs1 B-VG sowie des Art44 Abs1 der Tiroler LandesO 1989, weil sie die Landesregierung bei Verordnungserlassung an den Antrag eines Fremdenverkehrsverbandes banden, ohne daß diese Antragsbefugnis zur Durchsetzung von Interessen diente, die wahrzunehmen sie berufen waren.

Die Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 21.10.86, Zl. IIc-881/255, über die Erhöhung der Aufenthaltsabgabe im Gebiet des Fremdenverkehrsverbandes Innerötztal, kundgemacht im "Bote für Tirol" 854/1986, wird nicht als gesetzwidrig aufgehoben.

Dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung der Verordnung der Tiroler Landesregierung vom 05.06.84, Zl. IIc-945/119, über die Erhöhung der Aufenthaltsabgabe im Gebiet des Fremdenverkehrsverbandes Oberlienz, kundgemacht im "Bote für Tirol" 571/1984, wird nicht Folge gegeben.

Die Verordnungen der Tiroler Landesregierung vom 21.04.87, Zl. IIc-804/85, über die Erhöhung der Aufenthaltsabgabe im Gebiet des Fremdenverkehrsverbandes Ainet-Schlaiten, kundgemacht im "Bote für Tirol" 471/1987, und vom 29.11.88, Zl. IIc-3/1074/3, über die Festsetzung der Aufenthaltsabgabe im Gebiet des Fremdenverkehrsverbandes Ötztal Arena, kundgemacht im "Bote für Tirol" 1091/1988, werden als gesetzwidrig aufgehoben.

Das Tir AufenthaltsabgabeG verfügte zwar grundsätzlich eine Einschränkung der Entscheidungsbefugnis der Tiroler Landesregierung bei Erlassung von Verordnungen betreffend Erhöhung der Aufenthaltsabgabe. In jenen Fällen aber, in denen sie - wenngleich (erst) über Antrag eines Fremdenverkehrsverbandes - eine solche erlassen hat, bestand im jeweiligen konkreten Fall keine derartige Einschränkung ihrer Führungs- und Leitungsbefugnis (mehr). Die diesbezüglichen Bedenken gegen die in Prüfung stehenden Verordnungen erweisen sich im Hinblick auf diese besondere Fallkonstellation im Ergebnis als unbegründet.

Eine Verordnung darf jedoch, wenn im Gesetz diesbezüglich nicht eine ausdrückliche Ermächtigung enthalten ist, nicht mit rückwirkender Kraft ausgestattet werden (vgl. VfSlg. 2966/1956, 7139/1973, 7787/1976, 8875/1980). Die beiden Verordnungen der Tiroler Landesregierung sind daher, da ohne gesetzliche Ermächtigung rückwirkend in Kraft gesetzt, gesetzwidrig.

Hinsichtlich beider rückwirkend in Kraft gesetzten Verordnungen der Tiroler Landesregierung war eine Aufhebung bloß ihres - die Rückwirkung normierenden - §2 Abs1 deshalb nicht möglich, weil nach §5 Abs4 des Tir AufenthaltsabgabeG das Inkrafttreten solcher Verordnungen jeweils für den 01.05. oder für den 01.12. festzusetzen war. Durch Beseitigung der Anordnung über das Inkrafttreten der Verordnung mit 01.05.87 bzw. mit 01.12.88 käme im Hinblick auf die Kundmachungsvorschriften (s. §12 Abs1 des Landes-Verlautbarungsgesetzes, LGBl. für Tirol 8/1982) der 16.05.87 bzw. 17.12.88 als Datum des Inkrafttretens eben dieser Verordnungen in Betracht; es würde dadurch also offenkundig ein gesetzwidriges Ergebnis erzielt werden.

(Anlaßfälle: B372/89, B1251/90 mit E v 16.10.91, B1170,1171/89 mit E v 04.10.91, B15-20/91 mit E v 09.10.91, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Prüfungsumfang, Finanzverfassung, Abgabenwesen, Verordnungserlassung, Abgaben Landes-, Fremdenverkehr, Abgaben Fremdenverkehr, Aufenthaltsabgabe, Oberste Organe der Vollziehung, Bindung (eines obersten Organs), Landesregierung, Rückwirkung, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:G345.1990

Dokumentnummer

JFR_10088996_90G00345_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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