RS Vfgh 1991/12/12 G188/91, G189/91

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Veröffentlicht am 12.12.1991
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
EStG §34
EStG §34 Abs2

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der Besteuerung unterhaltspflichtiger Eltern durch das Einkommensteuergesetz 1972; Aufhebung einer Wortfolge in §34 Abs2 EStG 1972 betreffend den Ausschluß der Unterhaltsleistungen an Kinder vom Abzug als außergewöhnliche Belastung; Diskriminierung unterhaltspflichtiger Eltern im Vergleich mit der wirtschaftlichen Lage nicht unterhaltspflichtiger Personen, mit der Behandlung anderer außergewöhnlicher Belastungen und mit der Abzugsfähigkeit des Unterhalts für Geschiedene trotz der Leistungen aus dem Familienlastenausgleich

Rechtssatz

Die Wortfolge "und gleichen Familienstandes" in §34 Abs2 EStG 1972, BGBl. Nr. 440, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Der Verfassungsgerichtshof sieht den Gleichheitssatz in dreifacher Beziehung verletzt: im Vergleich der Unterhaltspflicht für Kinder mit jener für geschiedene Ehegatten (§34 Abs3 Satz 2), im Vergleich der Belastung durch Kinder mit anderen außergewöhnlichen Belastungen (§34 Abs1) und im Vergleich der Leistungsfähigkeit unterhaltspflichtiger Eltern mit der Leistungsfähigkeit kinderloser Steuerpflichtiger.

Zum Vergleich der Belastung durch Kinder mit anderen außergewöhnlichen Belastungen und insbesondere mit jener durch unterhaltsbedürftige Geschiedene muß es deshalb kommen, weil im gegebenen System des Einkommensteuerrechts die nicht tariflich erfaßten Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (abgesehen von Betriebsausgaben, Werbungskosten und Sonderausgaben) nur im Wege eines Abzuges vom Einkommen wegen außergewöhnlicher Belastung berücksichtigt werden.

Der Verfassungsgerichtshof ist stets davon ausgegangen, daß die Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einkommensteuerpflichtigen insofern geboten ist, als es einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, wenn in einem Teilbereich von der Maßgeblichkeit der Leistungsfähigkeit abgegangen würde.

Die Notwendigkeit, aus dem erzielten Einkommen nicht nur den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, sondern auch den Kindern Unterhalt zu leisten, verringert die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern und ist nicht bloß Sache privater Lebensgestaltung oder persönlichen Risikos.

Unterhaltsleistungen an Kinder werden jedoch steuerlich nicht - wie in den Vergleichsfällen - in einer der geminderten Leistungsfähigkeit entsprechenden Weise berücksichtigt und damit als eine Sache privater Lebensgestaltung oder persönlichen Risikos behandelt - und insofern den Eltern allein zu tragen überlassen.

Die Diskriminierung von unterhaltspflichtigen Eltern gegenüber nicht unterhaltspflichtigen Personen wird nicht schon dadurch vermieden, daß das Existenzminimum für den Steuerpflichtigen und seine Kinder gesichert bleibt. Die unzureichende Berücksichtigung der tatsächlichen Unterhaltslasten führt dazu, daß Eltern mit höheren Unterhaltslasten unter Umständen im praktischen Ergebnis bis auf das Existenzminimum besteuert werden. Familienbeihilfen und Kinderzuschläge stellen in ihrer Wirkung die für die Kinder benötigten Einkommensteile zwar im unteren Einkommensbereich zur Gänze steuerfrei, in höheren Einkommensbereichen wird aber wesentlich weniger einkommensteuerfrei gestellt, als für die Kinder aufgewendet werden muß, was zu einer empfindlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage sorgepflichtiger Eltern gegenüber nicht sorgepflichtigen Personen (gleicher Einkommensstufe) führen kann.

Daß die zur Erzielung der Gleichbehandlung erforderliche Entlastung bei Eltern mit höherem Einkommen höher ist als bei solchen mit geringerem Einkommen, ist nur die Folge des Umstandes, daß die bei voller Besteuerung des für Unterhaltszwecke benötigten Einkommens eintretende steuerliche Belastung solcher Eltern infolge der Progression vergleichsweise höher ist als die der anderen.

Die Mehrbelastung unterhaltspflichtiger Eltern wird durch die Leistung von Kinderbeihilfen und des allfälligen Kinderabsetzbetrages bei höherer Kinderzahl auch nicht im Rahmen einer zumutbaren Mehrbelastung im Sinne des §34 Abs4 EStG 1972 gehalten.

Entscheidungstexte

  • G 188,189/91
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 12.12.1991 G 188,189/91

Schlagworte

Einkommensteuer, Kinder (Steuerrecht), Unterhalt, Belastung außergewöhnliche, Familienlastenausgleich

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1991:G188.1991

Dokumentnummer

JFR_10088788_91G00188_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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