RS Vfgh 1992/10/15 G159/92

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Veröffentlicht am 15.10.1992
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Index

26 Gewerblicher Rechtsschutz
26/01 Wettbewerbsrecht

Norm

B-VG Art86 ff
B-VG Art91 Abs1
B-VG Art133 Z4
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
GOG 1896 §21
KartellG 1988 §88 Abs2
KartellG 1988 §92 Abs1
KartellG 1988 §93 Abs1

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der Berufung von Beamten eines Bundesministeriums als Richter unter Beibehaltung ihrer Funktion als Verwaltungsbeamte; Aufhebung der den Beisitzern des Kartellobergerichtes die Rechte und Pflichten von Richtern übertragenden Bestimmung des KartellG 1988; Qualifikation des Kartellobergerichtes nach Aufhebung der in Prüfung gezogenen Norm als Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag

Rechtssatz

Der Verfassungsgerichtshof hat bei der Prüfung des Antrags des Kartellobergerichtes beim Obersten Gerichtshof (künftig: KOG) zu beurteilen, ob das KOG ein zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 B-VG berufenes Gericht ist. Dies ist anhand jener Vorschriften zu prüfen, durch die das antragstellende Staatsorgan eingerichtet wird und die für dessen Qualifikation als Gericht oder als Verwaltungsbehörde von Bedeutung sind. Da der in Prüfung genommene dritte Satz des §93 Abs1 KartellG 1988 den Beisitzern des KOG die Rechte und Pflichten von Richtern überträgt, wäre er durch den Verfassungsgerichtshof bei der Beurteilung der Prozeßvoraussetzungen des vom KOG gestellten Antrags anzuwenden und somit präjudiziell.

§93 Abs1 dritter Satz des KartellG 1988, BGBl. 600/1988, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Als Beamte tätige Organwalter können nicht gleichzeitig mit der Ausübung ihrer Beamtenfunktion als Berufsrichter im Sinne des Art86 ff B-VG tätig werden. Es ist aber auch ausgeschlossen, die Tätigkeit von Beamten als Richter als eine Form der Mitwirkung des Volkes an der Rechtsprechung im Sinne des Art91 Abs1 B-VG zu qualifizieren.

Die von der Verfassung gezogenen Grenzen der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers werden überschritten, wenn der Gesetzgeber - wie im vorliegenden Fall - bestimmt, daß "Richter", die aus dem Beamtenstand zu entnehmen sind, ohne zu Berufsrichtern zu werden nach ihrer Ernennung zum "Richter" sowohl als solche, als auch als Verwaltungsbeamte tätig sein sollen.

Die damit festgestellte Verfassungswidrigkeit hat ihren Sitz - jedenfalls auch - in der in Prüfung genommenen Bestimmung. Denn durch diese Bestimmung wird die Geltung des §21 GOG 1896 auf die Beisitzer des KOG erstreckt, indem normiert wird, daß ihnen "für die Dauer ihres Amtes in Ansehung der Ausübung desselben die Rechte und Pflichten eines selbständigen Richters zu(kommen)."

Die Aufhebung des dritten Satzes des §93 Abs1 KartellG 1988 bewirkt, daß bislang als Gerichte eingerichtete Staatsorgane (nämlich das Kartellgericht wie auch das KOG) nunmehr zu Verwaltungsbehörden werden. Hinsichtlich des KOG führt die Aufhebung angesichts des §88 Abs2 KartellG 1988 und des systematischen Kontextes der normativen Ausgestaltung dazu, daß dieses Organ nunmehr als Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG zu qualifizieren ist.

Würde aber - der Anregung der Bundesregierung folgend - der dritte Satz des §92 Abs1 KartellG 1988, also jene Bestimmung aufgehoben werden, die die Bestellung der Beisitzer des KOG aus dem Kreis der Beamten zweier Bundesministerien regelt, so würde dies das KOG gänzlich funktionsunfähig machen. Denn der Anordnung des §89 KartellG 1988, demzufolge das KOG aus einem Vorsitzenden und sechs Beisitzern besteht und der damit korrespondierenden Bestimmung in §102 Abs2 KartellG 1988 ("das KOG entscheidet in einem Siebenersenat") stünden bloß Normierungsregelungen für den Vorsitzenden und vier Beisitzer gegenüber, sodaß eine rechtmäßige Zusammensetzung des KOG überhaupt nicht mehr gewährleistet wäre. Wollte man aber annehmen, daß eine allfällige Aufhebung des §92 Abs1 dritter Satz KartellG 1988 sich nur für neue Ernennungen zu Beisitzern auswirkte, so wäre die festgestellte Verfassungswidrigkeit durch eine solche Aufhebung auf Gesetzesebene überhaupt nicht beseitigt.

Angesichts dieser Situation ist der Verfassungsgerichtshof der Ansicht, daß das von ihm in seiner Judikatur stets postulierte Abwägungsgebot die Aufhebung der in Prüfung genommenen Bestimmung erfordert.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Kartellrecht, Richter, Kollegialbehörde, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:G159.1992

Dokumentnummer

JFR_10078985_92G00159_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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