RS Vfgh 1992/10/16 KII-2/91

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Veröffentlicht am 16.10.1992
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10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z12
B-VG Art10 Abs1 Z8
B-VG Art12 Abs1 Z1
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art138 Abs2

Leitsatz

Feststellung der Zuständigkeit der Länder zur Erlassung von Vorschriften bezüglich der Erhaltung und des Betriebes von Heimen für Personen, die wohl ständiger Pflege, aber bloß fallweiser ärztlicher Betreuung bedürfen (Pflegeheime)

Rechtssatz

Die Erlassung eines Gesetzes, das dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf des Artikels I eines "Gesetzes, mit dem vom gesundheitlichen Standpunkt aus an Pflegeheime zu stellende Anforderungen getroffen werden und die Gewerbeordnung 1973 geändert wird (Pflegeheimgesetz)" entspricht, fällt gemäß Art15 Abs1 B-VG in die Zuständigkeit der Länder.

Die Regelung der Errichtung, der Erhaltung und des Betriebes von Heimen für Personen, die wohl ständiger Pflege, aber bloß fallweiser ärztlicher Betreuung bedürfen (Pflegeheimen), fällt gemäß Art15 Abs1 B-VG in die Zuständigkeit der Länder.

Die Rechtsvorschrift des VolkspflegestättenG, StGBl. 309/1919 verfolgt vornehmlich das Ziel, Vorsorge dafür zu treffen, daß entsprechende Liegenschaften (insbesondere geeignete Gebäude) zur Verfügung stehen, um sozialen Zwecken verschiedener Art dienende öffentliche Einrichtungen (etwa für sportliche Betätigung der Bevölkerung, Körperkultur, Gesundheitspflege, Behindertenbetreuung, Jugendfürsorge) schaffen zu können.

Auch die Volkspflegestättenordnung, StGBl. 349/1919 enthält lediglich die Voraussetzungen für die Anerkennung als "öffentliche Pflegestätte", nicht aber inhaltliche Vorschriften über gesundheitspolizeiliche oder medizinische Belange.

Aber auch die allgemeine Bedeutung des Wortes "Volkspflegestätten" nimmt - ähnlich dem Begriff "Volkswohnungswesen" - auf die Bereitstellung von Einrichtungen Bezug, die der Hilfe für einen bestimmten Teil der Bevölkerung dienen, nämlich für jene Schichten, die in materieller Hinsicht schlecht gestellt sind.

Es ergibt sich daher aus den zitierten Rechtsvorschriften kein Inhalt des Kompetenztatbestandes "Volkspflegestätten" in Art12 Abs1 Z1 B-VG, der es dem Bundesgrundsatzgesetzgeber erlauben würde, eine dem ArtI des vorgelegten Entwurfes eines Pflegeheimgesetzes entsprechende Norm zu setzen.

Heil- und Pflegeanstalten iS des KAG 1920 - und damit auch iS des Art12 Abs1 Z1 B-VG - dienten primär der ärztlichen Behandlung kranker Personen; dies galt auch für "Pflegeanstalten für Schwerkranke", deren Krankheit unheilbar ist und die neben ständiger ärztlicher Behandlung besonderer Pflege bedürfen (§3 litd KAG 1920). Auch in den Erläuterungen zur Vorlage der Staatsregierung zum KrankenanstaltenG 1920 wird darauf hingewiesen, daß ua. "Versorgungsanstalten (Siechenanstalten mit Ausnahme von Pflegeanstalten für unheilbar Schwerkranke)" nicht unter dieses Gesetz fallen.

Während in Krankenanstalten die Notwendigkeit einer ärztlichen Betreuung des chronisch Kranken im Vordergrund steht, kommt in Pflegeheimen dem Erfordernis der Pflege des chronisch Kranken die vorrangige Bedeutung zu; die ärztliche Betreuung soll bei Bewohnern eines Pflegeheimes - wie dargetan - wenn überhaupt, so bloß fallweise geboten sein.

Dieser wesentliche Unterschied schließt es aus, die im ArtI des Gesetzesentwurfes vorgesehenen Regelungen dem Kompetenztatbestand "Heil- und Pflegeanstalten" zu unterstellen.

Der Kompetenztatbestand "Angelegenheiten des Gewerbes" scheidet aus folgenden Überlegungen aus:

Ein wesentlicher Teil jener Tätigkeiten, die in Pflegeheimen iS des vorgelegten Entwurfes ausgeübt werden sollen, fand zum Versteinerungszeitpunkt vor allem im Rahmen von Altersheimen udgl. statt, die von der öffentlichen Hand (etwa Gemeinden) und von caritativen Organisationen ohne Gewinnabsicht betrieben wurden und, da nur mit Gewinnabsicht betriebene Tätigkeiten unter die Gewerbeordnung 1859 fielen, von vornherein nicht unter das Regime des Gewerberechtes gestellt waren.

Aber auch allenfalls vorhandene, den Pflegeheimen iS des Gesetzesentwurfes vergleichbare, auf Gewinn gerichtete Anstalten waren von der Gewerbeordnung 1859 ausgenommen.

Der Tatbestand "Gesundheitswesen" bietet keine kompetenzrechtliche Grundlage für die im ArtI des vorgelegten Entwurfes vorgesehenen Regelungen, da der Gesetzesentwurf keine Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die Volksgesundheit vorsieht, sondern solche, die auf die Abwehr von Gefahren gerichtet sind, die für Pflegeheime typisch sind; im Vordergrund stehen hier Anliegen der Errichtung und des Betriebes von Pflegeheimen.

Entscheidungstexte

  • K II-2/91
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 16.10.1992 K II-2/91

Schlagworte

Kompetenz Bund - Länder Pflegeheime, Kompetenz Bund - Länder Krankenanstalten, Kompetenz Bund - Länder Gewerbe und Industrie, Kompetenz Bund - Länder Gesundheitswesen, VfGH / Kompetenzfeststellung, Pflegeheime, Versteinerungstheorie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1992:KII2.1991

Dokumentnummer

JFR_10078984_91K0II02_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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