TE Vfgh Beschluss 2004/10/13 B955/04 ua

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Veröffentlicht am 13.10.2004
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Bescheid
ASVG §31 Abs3 Z12 idF 2. Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2003
ASVG §351g Abs4 idF 2. Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2003
ASVG §609 Abs19 idF Sozialrechts-ÄnderungsG 2004
VfGG §88
VwGG §48 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerden von Pharmaunternehmen gegen die Vorschreibung von Akontozahlungen auf die Abgeltung der Bearbeitungskosten für den Erstattungskodex bzw auf den Finanzierungs-Sicherungs-Beitrag mangels Bescheidcharakters der angefochtenen Schreiben des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger; kein Kostenzuspruch an den belangten Hauptverband

Spruch

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Gemäß §609 Abs19 ASVG (idF des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2004 - SRÄG 2004, BGBl. I Nr. 105/2004) haben die zum Vertrieb von Arzneispezialitäten berechtigten Unternehmen "zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit" dem Hauptverband beginnend mit dem Jahr 2004 bis einschließlich 2006 jährlich einen "nachträglichen Rabatt" in Höhe von 2 vH ihres jährlichen Arzneimittelumsatzes, den sie auf Rechnung der Krankenversicherungsträger erzielen, zu gewähren. Bei jedem Unternehmen bleibt dabei ein Sockelbetrag von zwei Millionen Euro außer Betracht. Für das Jahr 2004 wurde die Summe der Überweisungen pauschal mit 23 Millionen Euro festgelegt. Eine erste Akontierung ist mit 1. Juli 2004 fällig, die Abrechnung ist so rasch wie möglich nach Ende des jeweiligen Kalenderjahres vorzunehmen. Die nächste Akontierung ist mit 10. Jänner 2005 fällig, in weiterer Folge gelten als Fälligkeitstage jeweils der 1. April und der 1. Oktober. Die Abrechnung und Einhebung des Betrages erfolgt durch den Hauptverband, der im Namen und auf Rechnung der Krankenversicherungsträger tätig wird.

Die vom Hauptverband erlassene "Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach §351g ASVG - VO-EKO", www.avsv.at, Nr. 47/2004, trifft in ihren §§52 ff nähere Bestimmungen über die Entrichtung des in §609 Abs19 ASVG vorgesehenen Beitrages.

2. Die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden richten sich gegen Schreiben des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 17. Juni 2004, mit welchen den beschwerdeführenden Gesellschaften jeweils eine "1. Akontozahlung" auf den in §609 Abs19 ASVG vorgesehenen "Finanzierungs-Sicherungs-Beitrag" in Rechnung gestellt wird. Diese Schreiben haben jeweils folgenden Wortlaut (Hervorhebungen wie im Original):

"Betr.: Finanzierungs-Sicherungs-Beitrag (F-S-B) gemäß §609

Abs19 ASVG,

1. Akontozahlung

Sehr geehrte Damen und Herren!

Gemäß §609 Abs19 ASVG iVm §§52 ff VO-EKO haben die vertriebsberechtigten Unternehmen zur Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der Sozialen Sicherheit dem Hauptverband für das Jahr 2004 pauschal 23 Millionen Euro zu überweisen (Finanzierungs-Sicherungs-Beitrag). Dabei bleibt bei jedem Unternehmen jährlich ein Sockelbetrag von € 2 Mio. außer Betracht.

Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger wird bei der Abrechnung des Finanzierungs-Sicherungs-Beitrages gemäß §609 Abs19 ASVG ausschließlich im Namen und auf Rechnung der Krankenversicherungsträger tätig, an die in der Folge der Betrag überwiesen wird. Da es sich bei dem Finanzierungs-Sicherungs-Beitrag gemäß §609 Abs19 ASVG um eine Minderung der Bemessungsgrundlage der Arzneimittelkosten handelt, ist eine Korrektur der Umsatzsteuer vorzunehmen. ...

Gemäß §609 Abs19 ASVG iVm §55 VO-EKO haben die betroffenen vertriebsberechtigten Unternehmen Akontozahlungen zu leisten. Der Akontobetrag wird entsprechend den Abrechnungsregeln, die in den §§54 ff VO-EKO festgelegt wurden, auf die vertriebsberechtigten Unternehmen aufgeteilt, wobei der Akontobetrag auf Basis des Arzneimittelumsatzes des zweitvorangegangenen Kalenderjahres ermittelt wird (§54 VO-EKO).

[Es folgt die Berechnung des von den beschwerdeführenden Gesellschaften jeweils zu entrichtenden Betrages.]

        Wir ersuchen Sie ... den [errechneten Betrag] bis spätestens

1. Juli 2004 auf folgendes Konto zu überweisen:

'Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger'

Kto-Nr. ..., BLZ ... bei ...

Verwendungszweck: '1. Akonto F-S-B 2004 ...'

Abschließend weisen wir nochmals daraufhin, dass der Hauptverband in dieser Angelegenheit im Namen und auf Rechnung der Krankenversicherungsträger tätig ist.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Für die Geschäftsführung:

...

----------

* Auf Basis der Meldungen der Krankenversicherungsträger im Rahmen der maschinellen Heilmittelabrechnung und der Fabriks-/Depotabgabepreise unter Außerachtlassung eines Sockelbetrages von € 2 Mio."

Die Beschwerden behaupten die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes bzw. einer gesetzwidrigen Verordnung; sie begehren, die - in den Beschwerden als Bescheide gedeuteten - Erledigungen kostenpflichtig aufzuheben.

3. Der in den Beschwerden als "belangte Behörde" bezeichnete Hauptverband hat eine Gegenschrift erstattet, worin begehrt wird, die Beschwerden kostenpflichtig als unzulässig zurück-, in eventu als unbegründet abzuweisen. Weiters hat die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen eine schriftliche Äußerung erstattet.

4. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, kommt einer - nicht in Form eines Bescheides ergangenen - Erledigung einer Verwaltungsbehörde der zur Begründung der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes unerlässliche Bescheidcharakter dann zu, wenn sich aus ihrem maßgebenden Inhalt eindeutig ergibt, dass die Behörde gegenüber individuell bestimmten Personen normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts entschieden hat (vgl. zB VfSlg. 4986/1965, 9244/1981, 11.077/1986, 11.415/1987, 12.753/1991 und 14.152/1995). Die Erledigung muss - objektiv betrachtet - den Willen erkennen lassen, gegenüber einer individuell bestimmten Person eine konkrete Verwaltungsangelegenheit normativ zu regeln (vgl. zB VfSlg. 8560/1979, 10.119/1984). Ob dies der Fall ist, kann sich auch daraus ergeben, ob die Behörde von Rechts wegen verpflichtet ist, einen Bescheid zu erlassen (vgl. VfSlg. 9520/1982 und 13.642/1993).

Ausgehend von dieser Rechtsprechung - von der abzugehen kein Anlass besteht - und vor dem Hintergrund der im vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen des ASVG, insbesondere dessen §609 Abs19, der eine bescheidmäßige Erledigung nicht vorsieht, sind die vorliegenden "Ersuchen", einen "Finanzierungs-Sicherungs-Beitrag" zu leisten, nicht als Bescheide iS des Art144 Abs1 B-VG zu qualifizieren:

Die bekämpften Erledigungen ergingen nicht in der äußeren Form eines Bescheides (sie sind weder mit "Bescheid" überschrieben noch in Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung unterteilt); auch lassen sie - nach ihrem Gesamtbild - nicht den Willen des belangten Hauptverbandes erkennen, ein Rechtsverhältnis bindend zu gestalten oder festzustellen. Es handelt sich lediglich um die Aufforderung zur Zahlung eines vom Hauptverband nach den ihm vorliegenden Umsatzzahlen errechneten Betrages; insofern gleichen diese Schreiben bloßen Mitteilungen über Beitragsrückstände (vgl. §62 Abs1 ASVG), sodass auch nicht gesagt werden kann, dass bei Verneinung ihrer Bescheidqualität ein Rechtsschutzdefizit entstünde (vgl. VfSlg. 16.037/2000).

Da dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 Abs1 B-VG nur die Entscheidung über Beschwerden gegen (letztinstanzliche) Bescheide von Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate zusteht, es sich beim Gegenstand der vorliegenden Beschwerden aber um keine Bescheide handelt, waren die Beschwerden wegen Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen.

5. Kosten an den belangten Hauptverband (offenbar als Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes) waren nicht zuzusprechen, da dies im VfGG nicht vorgesehen ist und eine sinngemäße Anwendung des §48 Abs2 VwGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (zB VfSlg. 10.003/1984).

6. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 erster Satz VfGG).

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf die noch unerledigten Anträge, den Beschwerden aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Arzneimittel, Bescheidbegriff, Sozialversicherung, VfGH / Kosten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B955.2004

Dokumentnummer

JFT_09958987_04B00955_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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