RS Vfgh 1994/3/3 G116/93

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Veröffentlicht am 03.03.1994
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Index

60 Arbeitsrecht
60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art94
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
GleichbehandlungsG §2b
GleichbehandlungsG §6 Abs2
GleichbehandlungsG §6 Abs3
KAG §49

Leitsatz

Verstoß der Bindung der Vergabe von Fördermitteln des Bundes für Unternehmen an die Befolgung von Aufträgen der Gleichbehandlungskommission gegen das Rechtsstaatsprinzip; Notwendigkeit des Anknüpfens von Rechtsfolgen an dem verfassungsgesetzlich vorgesehenen Rechtsschutz zugänglichen Rechtsformen

Rechtssatz

Präjudizialität des §2b GleichbehandlungsG gegeben.

Die Gleichbehandlungskommission beruft sich im Eingang ihres mit den einschlägigen Worten des §6 Abs2 überschriebenen Aktes ausdrücklich auf §6 und hält in Pkt. 4 des Spruches nur fest, daß nach Meinung der Kommission eine Diskriminierung auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich sei, wenn "im Einzelfall kein Vorschlag gemäß §6 Abs2 GleichbehandlungsG mehr erfolgen kann", eine Situation, welche die Kommission offenbar als gegeben erachtet. Im Selbstverständnis der Kommission ist daher ihr Akt durchaus ein "Vorschlag zur Verwirklichung der Gleichbehandlung mit der gleichzeitigen Aufforderung, die Diskriminierung zu beenden", der allerdings nicht "im Einzelfall" (nämlich bezogen auf eine bestimmte Arbeitnehmerin), sondern in allgemeiner Form an den (freilich individuell genannten) Arbeitgeber gerichtet ist.

Unter "Aufträgen" im Sinne des §2b GleichbehandlungsG sind (jedenfalls auch) Akte der in §6 Abs2 GleichbehandlungsG umschriebenen und in §6 Abs3 vom Gesetz selbst als "Auftrag" bezeichneten Art zu verstehen.

Die für das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen im Anlaßbeschwerdeverfahren wesentlichen Wirkungen des angefochtenen Aktes sind daher auch anhand des §2b GleichbehandlungsG zu prüfen.

§2b GleichbehandlungsG kann als lex posterior (fugitiva) durch Veränderung der Wirkungen des Auftrages der Kommission auch dessen Charakter verändert haben und ist daher schon bei der Frage nach der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des §6 Abs2 mit zu berücksichtigen (und insoweit anzuwenden).

Die Präjudizialität der in Prüfung stehenden Bestimmung hängt nicht davon ab, an wen sie sich richtet. Denn die Anwendbarkeit des §2b GleichbehandlungsG hängt nicht an der dort angeordneten konkreten Rechtsfolge - es geht im Beschwerdefall nicht um eine Förderung des Bundes für das Unternehmen -, sondern an der abstrakten Frage, ob Rechtswirkungen eintreten, die es verbieten, in dem sie auslösenden Akt ein (unverbindliches) Gutachten zu sehen. Daß solche Wirkungen erst aufgrund weiterer, ihrerseits am angefochtenen Akt der Gleichbehandlungskommission auszurichtender behördlicher Akte eintreten, ändert an der Verbindlichkeit dieses Aktes und daher auch an der Anwendbarkeit der sie verfügenden Norm bei Ermittlung seines Inhaltes nichts.

In §2b des GleichbehandlungsG, BGBl. Nr. 108/1979 idF BGBl. Nr. 290/1985, wird die Wortfolge "und den Aufträgen der Gleichbehandlungskommission nachkommen" als verfassungswidrig aufgehoben.

Das Rechtsstaatsprinzip setzt das Gebot voraus, die behördliche Festlegung von Rechtsfolgen an eine Form zu knüpfen, die einen verfassungsgesetzlich vorgesehenen Rechtsschutz ermöglicht.

Es muß sich dabei nicht immer um die Bescheidform handeln.

Schon der Wortlaut des §2b GleichbehandlungsG schließt es durch die Gegenüberstellung von Beachtung des GleichbehandlungsG und - sonst funktionsloser - Befolgung der (zur Beseitigung von Verstößen gegen das Gesetz erteilten) Aufträge der Gleichbehandlungskommission aus vorzusehen, daß die Frage der Gesetzmäßigkeit der Aufträge im Verfahren der Subventionsvergabe aufgerollt wird.

Selbst der allfällige Umstand, daß ein subjektives Recht auf die Gewährung von Förderungen durch die öffentliche Hand als Privatrechtsträger nicht besteht, nimmt einem durch Verwaltungsakt ausgesprochenen Verbot der Beteilung mit Förderungsmitteln nicht seine Rechtswirkungen; sie bestehen darin, daß der vom Verbot Betroffene schon aus dem Kreis der möglichen Anwärter für Förderungsmittel ausgeschlossen wird. Es wäre gewiß sinnvoll und sachlich gerechtfertigt, Personen, die rechtmäßige Aufträge der Gleichbehandlungskommission nicht befolgen, aus dem Kreis der Anwärter für Förderungsmittel auszuschließen. Aber dann muß die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Auftrages in einer dem B-VG entsprechenden Weise nachgeprüft werden können.

Daß der Verfassungsgerichtshof (siehe VfSlg. 12268/1990) keine Bedenken gegen §49 KAG, BGBl. 1/1957, erhoben hat, nach dem in eine Krankenanstalt für Geisteskranke zwangsweise nur Personen aufgenommen werden dürfen, für die eine (vom Amtsarzt auszustellende, höchstens eine Woche alte) Bescheinigung (Parere) beigebracht wird, wonach anzunehmen ist, daß die aufzunehmende Person infolge einer Geisteskrankheit ihre oder die Sicherheit anderer Personen gefährdet, widerlegt die Notwendigkeit bescheidförmiger Absprache über erhebliche Rechtsfolgen nicht. Der durch das Vorbringen der Bundesregierung nahegelegte Vergleich des einer Verletzung des GleichbehandlungsG geziehenen Arbeitgebers mit einem dringend unterbringungsbedürftig erachteten Geisteskranken verbietet sich ohne nähere Begründung.

Die Deutung, §2b GleichbehandlungsG habe den in §6 Abs2 GleichbehandlungsG umschriebenen Akt der Gleichbehandlungskommission vom unverbindlichen Gutachten des ursprünglichen Konzepts nachträglich zu einem Bescheid gemacht, könnte nur erwogen werden, wenn damit eine verfassungskonforme Gesetzeslage herbeigeführt würde. Daß das angesichts des §6 Abs3 wegen Art94 B-VG nicht der Fall wäre, räumt auch die Bundesregierung ein.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Arbeitsrecht, Gleichbehandlung, Rechtsstaatsprinzip, Rechtsschutz, Förderungswesen, Verwaltungsakt, Bescheidbegriff, lex posterior

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:G116.1993

Dokumentnummer

JFR_10059697_93G00116_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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