RS Vfgh 1994/3/11 G127/93, G128/93, G129/93

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Veröffentlicht am 11.03.1994
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Index

33 Bewertungsrecht
33/01 Bewertungsrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
BewG 1955 §13
BewG 1955 §14
BewG 1955 §21
BewG 1955 §69
BewG 1955 §71
VermögensteuerG 1954 §13
VermögensteuerG 1954 §14

Leitsatz

Keine sachliche Rechtfertigung des Ausschlusses von Neuveranlagungen und Nachveranlagungen zur Vermögensteuer bei Wertpapieren angesichts der grundsätzlichen Berücksichtigung wesentlicher Wertänderungen bei sonstigen Vermögenswerten; keine Rechtfertigung durch verwaltungsökonomische Überlegungen

Rechtssatz

§71 Abs2 erster Satz BewG 1955, idF BGBl 172/1971, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Durch die Regelung des §71 Abs2 erster Satz BewG 1955 wird bewirkt, daß in den Jahren zwischen den Hauptveranlagungszeitpunkten die Vermögensteuer für sonstiges Vermögen, das aus Wertpapieren, Gesellschaftsanteilen etc iSd §69 Abs1 Z1 litc BewG 1955 besteht, nach einem erstarrten, sohin fiktiven Wert bemessen wird, der sich jedenfalls bei Anteilsrechten häufig von dem nach den §13 und §14 BewG 1955 maßgeblichen Wert der Kapitalgesellschaftsanteile deutlich unterscheidet, ohne daß selbst bei gravierenden Wertunterschieden die ansonsten bewertungs- oder vermögensteuerrechtlich eingeräumten Korrekturmöglichkeiten durch Wertfortschreibung oder Neuveranlagung bestünden. Die in den Sätzen 2 und 3 des §71 Abs2 BewG 1955 angeordnete besondere Stichtagsregelung für jene Fälle, in denen der Bewertungsgegenstand erst nachträglich entsteht (wie zB bei der Neuausgabe von Wertpapieren) oder (teilweise) wegfällt (wie zB durch Kapitalherabsetzungen), durchbricht die Vorschrift des §71 Abs2 erster Satz BewG 1955 nicht, sondern regelt lediglich Fälle, für welche die Stichtagsregelung des §71 Abs1 BewG 1955 ins Leere geht.

Der durch §71 Abs2 erster Satz BewG 1955 für Wertpapiere und Kapitalgesellschaftsanteile verfügte Ausschluß von Neuveranlagungen und Nachveranlagungen zur Vermögensteuer führt zu einer Ungleichbehandlung der Wertpapier- und Anteilsbesitzer im Vergleich zu sonstigen vermögensteuerpflichtigen Personen. Für eine derartige Ungleichbehandlung Vermögensteuerpflichtiger, die nicht nur eine Diskriminierung, sondern auch eine Privilegierung von Wertpapier- und Anteilsbesitzern dann bewirkt, wenn der Wert der Gesellschaftsanteile während des Veranlagungszeitraums steigt, fehlt es an einer sachlichen Rechtfertigung.

Der Verfahrensökonomie dienende, sohin auf Verwaltungsvereinfachung zielende und zumeist pauschalierende Regelungen dürfen vom Gesetzgeber in Übereinstimmung mit dem Gleichheitssatz nur derart getroffen werden, daß diese nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens widersprechen. Der Gleichheitssatz läßt es zwar an sich zu, auf die Praktikabilität des Gesetzes Bedacht zu nehmen. Doch ist diese Erlaubnis nicht schrankenlos; sie findet ihre Grenze dort, wo anderen Überlegungen, die gegen die Regelung sprechen, größeres Gewicht beizumessen ist als den verwaltungsökonomischen Erwägungen.

Es fehlt auch an einer sachlichen Rechtfertigung dafür, daß bei grundsätzlicher gesetzlicher Berücksichtigung wesentlicher Wertänderungen (etwa im Wege der §13 und §14 VermögensteuerG 1954 oder des §21 BewG 1955) gerade für Wertpapiere und Kapitalgesellschaftsanteile gemäß §71 Abs2 erster Satz BewG 1955 diese Möglichkeit zur Gänze ausgeschlossen wird, zumal gerade Kapitalwerte (abgesehen von fest verzinslichen Wertpapieren) wie insbesondere Aktien "über mehrere Jahre hinweg regelmäßig sehr starken Kursschwankungen unterliegen, die eine Festlegung aussagefähiger Mittelwerte so gut wie unmöglich machen". Allgemeine Kursentwicklungen können aber keinen Anhaltspunkt für die Entwicklung des Wertes eines konkreten Bestandteiles des Kapitalvermögens geben.

(Anlaßfälle: E v 18.03.94, B1532/92 ua - Aufhebung der angefochtenen Bescheide; Quasianlaßfall: E v 18.03.94, B1806/93 ua).

Entscheidungstexte

  • G 127-129/93
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 11.03.1994 G 127-129/93

Schlagworte

Bewertung Wertpapiere, Vermögensteuer, Verwaltungsökonomie, Bewertung Vermögen sonstiges

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:G127.1993

Dokumentnummer

JFR_10059689_93G00127_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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