RS Vfgh 1994/6/20 B1908/93, B1971/93

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Veröffentlicht am 20.06.1994
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art90 Abs2
B-VG Art91
EMRK Art6 Abs2
VStG §5 Abs1
VStG §22
VStG §64 Abs2
AuslBG §28 Abs1 Z1

Leitsatz

Keine Verletzung des Gleichheitssatzes durch die Höhe derStrafsätze für die unerlaubte Beschäftigung von Ausländern; keinrechtspolitischer Exzeß; keine Verletzung des Grundsatzes derVerhängung schwerwiegender Strafen ausschließlich durch dieStrafgerichte; kein Verstoß gegen das Anklageprinzip und dieUnschuldsvermutung durch die Regelung der Fahrlässigkeit hinsichtlichder Verpflichtung des Täters zur Glaubhaftmachung des fehlendenVerschuldens; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteterRechte durch das Verfahren und die Strafbemessung bei der Verhängungvon Geldstrafen für die unerlaubte Beschäftigung von Ausländern

Rechtssatz

Die in §28 Abs1 Z1 zweiter Teil AuslBG vorgesehenen Strafsätze für die unerlaubte Beschäftigung von Ausländern verletzen - entgegen der Behauptung der Beschwerden - den Gleichheitssatz nicht etwa deshalb, weil sie im Verhältnis zum Strafbedürfnis des Staates unangemessen hoch wären. Bei Festsetzung der Strafdrohung für Verwaltungsübertretungen dieser Art darf der Gesetzgeber insbesondere für Fälle einer lang dauernden Fortsetzung oder wiederholten Begehung der Straftat den möglichen wirtschaftlichen Nutzen in Betracht ziehen, den der Täter durch das verbotene Verhalten erzielt (vgl. die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 449 BlgNR 17.GP, 15). Andernfalls kann es bei ausreichend hohem wirtschaftlichem Interesse dazu kommen, daß der Strafbetrag als bloßer Preis des erwarteten Nutzens kalkuliert wird und die Strafdrohung ihren Zweck verfehlt. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht erkennen, daß das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Vorschriften über die Kontrolle der Ausländerbeschäftigung Strafen dieser Höhe nicht rechtfertigen würde. Von einem Exzeß kann in Ansehung der Strafsätze angesichts des möglichen Nutzens einer längerdauernden Beschäftigung und im Hinblick darauf, daß im einzelnen Strafsatz auch sehr lange Zeit hindurch fortgesetzte Straftaten erfaßt werden müssen, nicht die Rede sein.

Keine Verletzung des in Art91 B-VG vorgesehenen Prinzips der Verhängung schwerer Strafen durch die Strafgerichte aufgrund der Höhe der in §28 Abs1 Z1 AuslBG vorgesehenen Strafsätze.

Die Höhe der hier in Rede stehenden Strafdrohungen ist nur die Folge des Umstandes, daß die Straftatbestände auf die - gegebenenfalls lange fortgesetzte - Beschäftigung mehrerer Ausländer und die darin liegende Vervielfachung des Unrechtsgehaltes auf eine Weise Bedacht nehmen, die der Häufung von Straftaten und damit dem für das Verwaltungsstrafverfahren charakteristischen Kumulationsprinzip entspricht. Was die Strafsätze betrifft, führt das hier gewählte System nämlich zu einem ähnlichen Ergebnis wie der in §22 VStG niedergelegte Grundsatz, daß die durch mehrere Übertretungen verwirkten Strafen nebeneinander zu verhängen sind. Der bloße Umstand, daß es bei der verbotenen Beschäftigung von Ausländern leicht zur Vervielfachung des Unrechtsgehaltes kommen kann, ist kein Grund, an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Verhängung gebündelter Strafen zu zweifeln. Auch die Gestaltung der Straftatbestände bietet vor dem Hintergrund des Kumulationsprinzips keinen Anlaß zu Bedenken. Langdauernde Beschäftigungen werden nicht etwa willkürlich in eine Vielzahl von Einzeltaten aufgesplittert. Die einer Hintanhaltung der schon erwähnten möglichen Verrechnung der riskierten Strafe mit dem erwarteten Nutzen dienende Entscheidung des Gesetzgebers aber, die verbotene Beschäftigung eines Ausländers wie eine selbständige Tat zu ahnden, kann angesichts der Individualität jedes einzelnen Beschäftigungsverhältnisses nicht als Mißbrauch gesetzgeberischer Gestaltungsmöglichkeiten gewertet werden.

Keine Bedenken gegen die Kostenregelung des §64 Abs2 VStG.

Kein Verstoß des zweiten Satzes des §5 Abs1 VStG gegen das Anklageprinzip und die Unschuldsvermutung.

Was das aus dem Anklageprinzip abgeleitete Verbot der Selbstbezichtigung betrifft (zB VfSlg. 9950/1984, 11829/1988, 11923/1988, 12454/1990), ist nicht erkennbar, inwiefern §5 VStG eine Selbstbezichtigung verlangen soll. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß §5 Abs1 zweiter Satz VStG nicht etwa bewirkt, daß ein Verdächtiger seine Unschuld nachzuweisen hat (VfSlg. 11195/1986 Landstreicherei). Vielmehr hat die Behörde die Verwirklichung des (objektiven) Tatbestandes durch den Beschuldigten nachzuweisen und bei Vorliegen von Anhaltspunkten, die an seinem Verschulden zweifeln lassen, auch die Verschuldensfrage von Amts wegen zu klären. Das Gesetz befreit die Behörde in Anbetracht der regelmäßigen Sachlage nur insoweit von weiteren Nachforschungen über die subjektive Tatseite (insbesondere einen Irrtum über den Sachverhalt oder die allfällige Unmöglichkeit, das Verbot zu beachten), als das entgegen dem Anschein behauptete Fehlen des Verschuldens nicht glaubhaft ist. Eine solche, der Lebenserfahrung Rechnung tragende Regelung ist nicht von vornherein durch Art6 Abs2 EMRK ausgeschlossen. Erst in der konkreten Handhabung, bei der nur im Einzelfall zu beantwortenden Frage, welche Zweifel Anlaß für amtswegige Ermittlungen geben müssen und welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Beschuldigten zu stellen sind, kann es zur Verletzung des Art6 Abs2 EMRK kommen (vgl. EKMR 19116/91 vom 13. Oktober 1993, Newsletter 1993/6, S 19 f).

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung von Geldstrafen für die unerlaubte Beschäftigung von Ausländern.

Die belangte Behörde hat den nicht näher substantiierten Einwand der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren, die auf ihrer Baustelle bei der Arbeit betretenen Ausländer seien nicht für sie, sondern für einen von ihrer Gesellschaft beauftragten Subunternehmer tätig gewesen, nach Einvernahme von Zeugen als unglaubwürdig und eine ausschließlich der Verfahrensverschleppung dienende Schutzbehauptung angesehen. Anhaltspunkte, daß die Beschwerdeführerin an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift (subjektiv) kein Verschulden träfe, hat diese gar nicht vorgebracht. Unter diesen Umständen kann von einem Verstoß gegen die Unschuldsvermutung keine Rede sein. Auch die an der Untergrenze der Strafsätze verbleibende Strafbemessung läßt keinen vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Mangel erkennen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Arbeitsrecht, Ausländerbeschäftigung, Verwaltungsstrafrecht,Strafe, Kumulation, Kumulationsprinzip, Strafbemessung,Gerichtsbarkeit Trennung von der Verwaltung,Verfahrenskosten, Anklageprinzip, Unschuldsvermutung,Strafgerichtsbarkeit (Kernbereich), Zuständigkeit der Gerichte,Schuld (Verwaltungsstrafrecht), Fahrlässigkeit,Kostenbeitrag (Verwaltungsstrafrecht)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1994:B1908.1993

Zuletzt aktualisiert am

13.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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