RS Vfgh 1995/3/16 B2259/94 - B1599/94, B2563/94, B2643/94, B1578/95

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Veröffentlicht am 16.03.1995
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht

Norm

EMRK Art8
EMRK Art8 Abs2
AufenthaltsG
AufenthaltsG §5 Abs1
FremdenG §10 Abs1 Z2
FremdenG §10 Abs1 Z3

Leitsatz

Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf Privat- und Familienleben durch die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung mangels einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft wegen Unterlassung der bei verfassungskonformer Auslegung des §5 Abs1 AufenthaltsG gebotenen Interessenabwägung; keine Bedenken gegen §5 Abs1 AufenthaltsG

Rechtssatz

Der angefochtene, eine Aufenthaltsbewilligung nach dem AufenthaltsG versagende Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer, der seit Jahren mit seiner Familie in Österreich lebt, durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Solche Eingriffe können nicht nur in zu vernachlässigenden Einzelfällen eintreten: So kann die Versagung einer derartigen Bewilligung etwa bewirken, daß eine Familienzusammenführung verhindert wird oder der Verlust der Aufenthaltsberechtigung eintritt, obgleich Familienangehörige des Bewilligungswerbers rechtmäßig im Bundesgebiet leben (siehe auch E v 02.07.94, B1911/93).

Verfassungskonforme Auslegung der Ausschließungsgründe "nicht gesicherter Lebensunterhalt" und "nicht gesicherte für Inländer ortsübliche Unterkunft" für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung in §5 Abs1 AufenthaltsG.

Bei ihrer Auslegung ist zunächst zu berücksichtigen, daß bei der Anwendung der dem Ausschließungsgrund des nicht gesicherten Lebensunterhaltes inhaltlich entsprechenden Sichtvermerksversagungstatbestände des §10 Abs1 Z2 und Z3 FremdenG die in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen und die für die Sichtvermerkserteilung sprechenden Privat- oder Familieninteressen gegeneinander abzuwägen sind (siehe VfGH 28.02.94, B1364/93, zu §10 Abs1 Z2 und VfGH 11.03.94, B966/93 und B1089/93, zu §10 Abs1 Z3). Schon deshalb ist davon auszugehen, daß in der Hervorhebung des nicht gesicherten Lebensunterhaltes - der bereits durch die Verweisung auf die Sichtvermerksversagungsgründe des §10 Abs1 FremdenG auch als Ausschließungsgrund iS des §5 (Abs1) AufenthaltsG festgelegt ist - lediglich die besondere Bedeutung ihren Ausdruck findet, die der Gesetzgeber diesem Ausschließungsgrund für den Geltungsbereich des AufenthaltsG beimißt, das, wie etwa aus seinem §1 Abs1 ersichtlich, die Regelung insbesondere des längerfristigen Aufenthaltes von Fremden in Österreich zum Ziel hat. Gleiches gilt für den ausschließlich in §5 Abs1 AufenthaltsG normierten Ausschließungsgrund der nicht gesicherten für Inländer ortsüblichen Unterkunft, der in §5 Abs1 AufenthaltsG dem Ausschließungsgrund des nicht gesicherten Lebensunterhaltes an die Seite gestellt ist und dort im selben sprachlichen Zusammenhang steht wie dieser.

Zu berücksichtigen ist des weiteren, daß der Verfassungsgerichtshof in der imperativen Formulierung der Sichtvermerksversagungsgründe in §10 Abs1 FremdenG ("ist zu versagen") kein Hindernis für die erwähnte, durch Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung gesehen hat.

Die Behörde hat demnach auch in jedem Fall, in dem die Versagung der Aufenthaltsbewilligung mangels Sicherung des Lebensunterhalts und/oder einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft in das Grundrecht des Fremden auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingreifen würde, zu prüfen, ob die Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen, insbesondere mit Rücksicht auf das "wirtschaftliche Wohl des Landes" und den "Schutz der Gesundheit", notwendig ist, und dabei auch auf die privaten und familiären Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen (vgl dazu etwa auch VfSlg 13336/1993).

Die belangte Behörde hat, indem sie sich in verfehlter Weise auf eine Aussage im Erkenntnis VfSlg 11044/1986 berief, die die Einreise eines Fremden nach Österreich und dessen lediglich kurzfristigen Aufenthalt im Inland betraf, über die Tatsache des mehrjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers und seiner Familie in Österreich hinweggesetzt und, was die sich daraus ergebenden familiären und sonstigen privaten Interessen des Beschwerdeführers betrifft, mit dem bloßen Hinweis begnügt, daß der Beschwerdeführer "arbeitsrechtlich in Österreich einigermaßen Fuß gefaßt" habe. Damit hat sie die gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

(Ebenso: E v 12.06.95, B1599/94 ua; E v 29.06.95, B2563/94, B2643/94 ua; E v 11.10.95, B1578/95 ua).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Fremdenrecht, Interessenabwägung, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B2259.1994

Dokumentnummer

JFR_10049684_94B02259_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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