RS Vfgh 1997/6/26 B877/96

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Veröffentlicht am 26.06.1997
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Index

72 Wissenschaft, Hochschulen
72/02 Studienrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art18
EMRK 1. ZP Art2
EG-Vertrag Art6 Abs1
EG-Vertrag Art177
AHStG §7 Abs1 litb

Leitsatz

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Erfordernis des Nachweises der besonderen Hochschulreife bei im Ausland ausgestellten Zeugnissen hinsichtlich der Erfüllung der im Ausstellungsland erforderlichen Zulassungsvoraussetzungen für die Zulassung zum Studium auch für österreichische Staatsangehörige; keine unsachliche Differenzierung aufgrund des gerechtfertigten Bestrebens der Verhinderung eines unverhältnismäßigen Zustroms von Studienanwärtern aus dem Ausland; keine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof hinsichtlich eines Widerspruchs der fraglichen Regelung zum Diskriminierungsverbot des EG-Vertrages; kein offenkundiger Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht

Rechtssatz

Hat der Gesetzgeber Grund zur Befürchtung, das in anderen Staaten bestehende System der Zulassungsbeschränkung könnte dazu führen, daß ein unverhältnismäßiger Zustrom von Studienanwärtern, die zwar die allgemeine Hochschulreife erlangt haben, aber die besonderen Voraussetzungen für die gewählte Studienrichtung nicht erfüllen - von Personen also, die regelmäßig eine vergleichsweise geringere Eignung für das gewünschte Studium aufweisen -, die Kapazitäten der österreichischen Hochschulen übersteigen könnte, so ist das Bestreben, einen solchen Zustrom zu verhindern oder zu beschränken, nicht unsachlich. Es ist aber auch nicht sachfremd, zu diesem Zweck an die Vorschriften jenes Staates anzuknüpfen, nach dessen Vorschriften das Reifezeugnis erworben wurde. Es ist durchaus sachlich, wenn solcherart verhindert wird, daß Interessenten den jeweils bestehenden Zulassungsbeschränkungen ausweichen, indem sie ihr Studium in einem Land beginnen, das neben der allgemeinen Hochschulreife keine oder weniger Voraussetzungen kennt. Und der Gleichheitssatz des österreichischen Verfassungsrechts steht auch einer Regelung nicht entgegen, die innerhalb dieses Personenkreises nicht nach der Staatsangehörigkeit unterscheidet. Daß sich daraus für bloß vorübergehend auswärts lebende Österreicher Härten ergeben können, ist zuzugeben, aber nicht entscheidend. Die Staatsangehörigkeit ist keineswegs das einzige Kriterium, an das der Gesetzgeber im vorliegenden Zusammenhang anknüpfen darf.

Gesetzlosigkeit des verwaltungsbehördlichen Handelns als Typus einer Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte kommt in Betracht, insofern der Eingriff in das Grundrecht entweder ausdrücklich dem Gesetzgeber vorbehalten ist oder sonst eine gesetzliche Regelung voraussetzt. Ergibt sich die Unanwendbarkeit einer Norm auf einen bestimmten Sachverhalt hingegen erst aus einer näheren Betrachtung und genaueren Untersuchung der Rechtslage, ist sie eine Frage der Rechtmäßigkeit des behördlichen Verhaltens und bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit nicht entscheidungserheblich.

Nun kann sich die Unanwendbarkeit eines Gesetzes auf einen bestimmten Sachverhalt freilich auch aus unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ergeben. Widerspricht das innerstaatliche Recht dem Gemeinschaftsrecht, wird es von diesem verdrängt. Jedes innerstaatliche Organ, das über die betreffende Rechtssache abzusprechen oder die Rechtmäßigkeit des behördlichen Vorgehens zu beurteilen hat, muß diesen Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts beachten und gegebenenfalls die Anwendung der innerstaatlichen Norm unterlassen. Es hat die Vereinbarkeit der Norm mit dem Gemeinschaftsrecht freilich nur dann selbst zu beurteilen, wenn diese Frage "derart offenkundig (ist), daß keinerlei Raum für vernünftige Zweifel ... bleibt" (EuGH Rs 283/81 CILFIT, Slg. 1982, 3415 ff, 3429, Rn 16); andernfalls wäre die Frage nach Art177 des EG-Vertrages dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung in den Anwendungsbereich des Vertrags fallen (EuGH Rs 293/83 Gravier, Slg. 1985, 593 ff, 613 und weitere Entscheidungen) und das Studium der Tiermedizin zur Berufsausbildung gehört (EuGH Rs 24/86 Blaizot, Slg. 1988, 404), und er hält Art6 Abs1 im Anwendungsbereich des Vertrags auch für unmittelbar anwendbar (EuGH Rs 152/82 Forcheri, Slg. 1983, 2323 ff, 2336 und Gravier wie oben).

§7 Abs1 litb AHStG stellt aber gerade nicht auf die Staatsangehörigkeit ab, sondern will alle Inhaber von ausländischen Zeugnissen ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit nur so behandelt wissen, wie sie in jenem Land behandelt würden, welches das Zeugnis ausgestellt hat (mit weiteren Rechtsprechungshinweisen zu Art 6 Abs1 EG-Vertrag).

Keine Vorlage der Frage eines allfälligen Widerspruchs von §7 Abs1 litb AHStG zu Art6 Abs1 EG-Vertrag an den EuGH; kein offenkundiger Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht.

Auch wenn der Umstand, daß es im vorliegenden Fall um eine eigene Staatsbürgerin geht, die Beachtung des Diskriminierungsverbotes nicht erübrigt, weil es - wie der Gerichtshof der Gemeinschaften in Ansehung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit ausgesprochen hat (EuGH Rs 115/78 Knoors, Slg. 1979, 410 Rn 24) - auch eigene Staatsbürger schützt, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat ansässig gewesen sind und dort eine nach dem Gemeinschaftsrecht anerkannte berufliche Qualifikation erworben haben (was freilich erst auf die Zulassung zu einer solchen Ausbildung zu übertragen wäre), wird doch angesichts der Notwendigkeit, näher zu prüfen, ob das AHStG eine unzulässige mittelbare Diskriminierung bewirkt, im Ergebnis nicht jener Grad an Evidenz erreicht, den der - nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Verletzung der in Rede stehenden Grundrechte des Art18 StGG (Recht auf Berufsausbildung) und Art2 1. ZP EMRK (Recht auf Bildung) führende - Vorwurf völliger Gesetzlosigkeit behördlichen Verhaltens voraussetzt.

Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes ist nur zu entscheiden, ob ein Beschwerdeführer in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde. Welche Fragen er zu beantworten hat, richtet sich ausschließlich nach den für seine Aufgabe maßgeblichen Vorschriften (EuGH Rs 6/64 Costa/ENEL, Slg. 1964, 1251 ff; 53/79 Damiani, Slg. 1980, 273 ff, 281 und 209-213/84 Asjes, Slg. 1986, 1425 ff, 1460) und damit nach dem Inhalt der in Betracht kommenden Grundrechte.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Hochschulen, EU-Recht, Anwendbarkeit EU-Recht, Bildung - Recht auf, VfGH / Prüfungsmaßstab, Berufswahl- und Berufsausbildungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B877.1996

Dokumentnummer

JFR_10029374_96B00877_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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