RS Vfgh 1997/12/2 G217/96, G218/96, G219/96, G220/96, G221/96, G2251/96, G2252/96, G2253/96, G355/96

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Veröffentlicht am 02.12.1997
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Index

40 Verwaltungsverfahren
40/01 Verwaltungsverfahren außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art97 Abs2
B-VG-Nov 1988 BGBl 685 ArtIX Abs2
B-VG Art129a ff
EMRK österr Vorbehalt zur Art5
EMRK Art6 Abs1 / Allg
VStG-Übergangsrecht 1991, BGBl 52/1991, Anlage 2 Abs2
PersFrSchG 1988 Art8 Abs4
Tir NaturschutzG §38 Abs1
LMG 1975 §74 Abs1
VStG-Novelle 1990, BGBl 358 ArtII Abs2

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit von Übergangsbestimmungen im Verwaltungsstrafrecht betreffend die Weiterführung anhängiger Verfahren nach der alten Rechtslage bei Einrichtung der Unabhängigen Verwaltungssenate; kein Widerspruch zur Menschenrechtskonvention; verfassungskonforme weitere Anwendung verfassungsrechtlicher Grundsätze der Staatsorganisation für den jahrzehntelangen Vollzug des Verwaltungsstrafrechts im maßgeblichen Übergangszeitraum

Rechtssatz

Den Primäranträgen des Verwaltungsgerichtshofs auf Aufhebung des Abs2 des VStG-Übergangsrechtes 1991, Anlage 2 der Wiederverlautbarungskundmachung, BGBl. 52/1991, war ebensowenig wie seinen auf die Aufhebung der jeweiligen materiellen Verwaltungsstrafbestimmungen gerichteten Eventualanträgen, soweit sich diese Anträge auf das dargestellte Bedenken stützten, Folge zu geben.

Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß es nicht erst der einfache Gesetzgeber (in der VStG-Novelle 1990, BGBl. 358), sondern bereits der Verfassungsgesetzgeber (in Art8 Abs4 PersFrSchG 1988 sowie vor allem in ArtIX Abs2 der B-VG-Nov 1988) ausdrücklich anordnete und damit auch für zulässig erklärte, daß die am 01.01.91 bereits anhängigen Verfahren verwaltungsstrafrechtlicher Art nicht vor den als Tribunale im Sinne des Art6 EMRK einzurichtenden unabhängigen Verwaltungssenaten weiter und zu Ende geführt werden sollen, sondern - unter Aufrechterhaltung der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof - von den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung, die jedenfalls bis 01.01.91 für Verwaltungsstrafverfahren zuständig waren.

Der Verwaltungsgerichtshof ist zwar mit seiner in den Prüfungsanträgen aufgestellten Behauptung im Recht, daß den genannten verfassungsrechtlichen Übergangsbestimmungen des Art8 Abs4 PersFrSchG 1988 und des ArtIX Abs2 der B-VG-Nov 1988 nicht die Absicht zu entnehmen ist, die anzuwendende einfach-gesetzliche Rechtslage schlechthin verfassungsrechtlich unangreifbar zu machen.

Der Sinngehalt der verfassungsrechtlichen Übergangsvorschriften ebenso wie des damit völlig konformen Abs2 des VStG-Übergangsrechts 1991 ist es, die vor der Einrichtung der unabhängigen Verwaltungssenate bestehenden verfassungsrechtlichen Grundsätze der für den Vollzug des Verwaltungsstrafrechtes zuständigen Staatsorganisation weiterhin auf die - am 01.01.91 - anhängigen Verwaltungsstrafverfahren anwenden zu lassen.

Insbesondere sieht sich der Verfassungsgerichtshof im Gegensatz zu der vom Verwaltungsgerichtshof in seinen Prüfungsanträgen vertretenen Rechtsmeinung nicht veranlaßt, aufgrund einer vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 1995 (Fall Gradinger, Urteil vom 23.10.1995, ÖJZ 1995, 954 ff) entwickelten Rechtsauffassung die für den jahrzehntelangen Vollzug des Verwaltungsstrafrechtes maßgeblichen Grundsätze der österreichischen Behördenorganisation - entgegen den mit dem Vorbehalt zu Art5 EMRK vom österreichischen Bundesverfassungsgesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Überlegungen (vgl. dazu auch die RV 459 BlgNR, VIII. GP, 32/33 und 37/38) - im nachhinein als verfassungswidrig zu verstehen.

Der zu G219/96 protokollierte Eventualantrag des Verwaltungsgerichtshofs, auszusprechen, daß die Worte "kosmetische Mittel" in §74 Abs1 LMG 1975 bis zum Ablauf des 31.12.90 verfassungswidrig waren, bzw. die betreffenden Worte als verfassungswidrig aufzuheben, war abzuweisen.

Den verfassungsrechtlichen Übergangsvorschriften des Art8 Abs4 PersFrSchG 1988 sowie des ArtIX Abs2 der B-VG-Nov 1988 ist der Sinn beizumessen, daß alle am 01.01.91 anhängigen Verwaltungsstrafverfahren im Rahmen der bisherigen Behördenorganisation, also von den Behörden der allgemeinen staatlichen Verwaltung unter der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes abzuschließen sind. Dieser Sinngehalt der verfassungsrechtlichen Übergangsvorschriften muß auch für die Ahndung jener Verwaltungsstraftatbestände Geltung besitzen, deren Deckung durch den österreichischen Vorbehalt zu Art5 EMRK aus welchen Gründen immer fraglich ist, sofern die betreffenden Strafverfahren nur am 01.01.91 anhängig waren.

Dem Eventualantrag des Verwaltungsgerichtshofs, §38 Abs1 litc Tir NaturschutzG als verfassungswidrig aufzuheben bzw. festzustellen, daß diese Bestimmung bis zum Ablauf des 31.12.90 verfassungswidrig war, wird keine Folge gegeben.

Die Bundesregierung hat mit Beschluß vom 27.01.75 der Mitwirkung von Bundesorganen bei der Vollziehung jedenfalls des den Gegenstand der Anfechtung bildenden Tir NaturschutzG gemäß Art97 Abs2 B-VG zugestimmt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Unabhängiger Verwaltungssenat, Verwaltungsstrafrecht, Übergangsbestimmung, Zuständigkeit Verwaltungsstrafrecht, Lebensmittelrecht, Gesetz Kundmachung, Kundmachung Gesetz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:G217.1996

Dokumentnummer

JFR_10028798_96G00217_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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