RS Vfgh 1998/6/8 B1640/97

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Veröffentlicht am 08.06.1998
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Index

L6 Land- und Forstwirtschaft
L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art8
Nö GVG 1989 §1 Z1
Nö GVG 1989 §3 Abs1
Nö GVG 1989 §3 Abs2 lith
EG-Vertrag Art177

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Versagung der grundverkehrsbehördlichen Genehmigung eines Liegenschaftserwerbs infolge Vereinbarung eines den ortsüblichen Verkehrswert erheblich übersteigenden Kaufpreises; Grundverkehrs-Landeskommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung vorlagepflichtiges Gericht iSd EG-Vertrages; keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Verletzung der Vorlageverpflichtung

Rechtssatz

Die Grundverkehrs-Landeskommission beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung (Nö GLK) ist ein gegebenenfalls vorlagepflichtiges "Gericht" i.S. des Art177 EG-Vertrag.

Es handelt sich nämlich um einen staatlichen Spruchkörper, der auf gesetzlicher Grundlage ständig damit betraut ist, Rechtssachen unabhängig zu entscheiden, oder - mit anderen Worten - um eine unabhängige, nicht weisungsgebundene Einrichtung, die im Einklang mit dem Recht Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden hat, für die sie nach dem Gesetz zuständig ist. Da gemäß §14 Abs4 Nö GVG 1989 die Entscheidungen der Nö GLK weder der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen noch gegen sie eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig ist, ist die Nö GLK als vorlagepflichtiges Gericht i.S. des Art177 Abs3 EG-Vertrag zu qualifizieren (vgl. VfSlg. 14.390/1995, S 946).

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Eine Verletzung von Grundrechten, die sich aus der EMRK ergeben, liegt nicht vor. Die Nö GLK sah daher zu Recht keinen Anlaß, beim Europäischen Gerichtshof die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zu begehren.

Wenn die Behörde - ausgehend von den im Zuge eines zumindest aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklichen Ermittlungsverfahrens gewonnenen Sachverhaltsfeststellungen - zum Ergebnis gelangte, daß der vereinbarte Kaufpreis (S 240,--/m2) den ortsüblichen Verkehrswert (S 15,-- bis S 25,--/m2 für Wiesen bzw S 30,-- bis S 40,--/m2 für Ackerflächen) erheblich übersteige und daher ein zwingender Versagungsgrund nach §3 Abs2 lith Nö GVG 1989 vorliege, kann ihr zumindest kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorgeworfen werden.

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §3 Abs2 lith Nö GVG 1989.

Die dem §3 Abs1 Nö GVG 1989 entnehmbaren Ziele des Gesetzes sind aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Der Verfassungsgerichtshof kann dem Gesetzgeber nicht entgegentreten, wenn er davon ausgegangen ist, daß das Erreichen dieser Ziele grundsätzlich dann gefährdet wird, wenn der vereinbarte Kaufpreis erheblich über dem Verkehrswert liegt, wird damit doch für Landwirte die Chance, zu für sie wirtschaftlich vertretbaren Preisen land- und forstwirtschaftliche Grundstücke zu erwerben, wesentlich verringert. Die durch die Regelung bewirkte Einschränkung der den potentiellen Vertragspartnern sonst zukommenden Dispositionsmöglichkeiten ist als verhältnismäßig zu bezeichnen, mag es auch in atypischen Fällen zu Härten kommen.

Der Bescheid ist intentional nicht darauf gerichtet, das Privat- und Familienleben eines der beiden Beschwerdeführer zu tangieren. Wenn er möglicherweise bewirkt, daß der Zweitbeschwerdeführer in seinen finanziellen Möglichkeiten, seine Tochter zu unterstützen, beeinträchtigt wird, so ist dies allenfalls eine wirtschaftliche Reflexwirkung; die Annahme eines Eingriffs in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht ist also nicht in Betracht zu ziehen.

§1 Z1 letzter Satz Nö GVG 1989 knüpft bei der Festlegung, welche Liegenschaften keine land- oder forstwirtschaftlichen sind, an das Vorliegen einer bestimmten, aufgrund der Regelungen des Niederösterreichischen Raumordnungsgesetzes im Flächenwidmungsplan normierten Widmung der Liegenschaft (bzw. an die Eintragung der Liegenschaft in das Eisenbahnbuch) an. Die Widmung laut Flächenwidmungsplan (bzw. die Eintragung im Eisenbahnbuch) entfaltet somit für das Grundverkehrsrecht lediglich Tatbestandswirkung.

Entscheidungstexte

Schlagworte

EU-Recht, Grundverkehrsrecht Behörden, Grundverkehrsrecht, Grundstück land- oder forstwirtschaftliches, Preis ortsüblicher, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B1640.1997

Dokumentnummer

JFR_10019392_97B01640_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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