RS Vfgh 1999/10/14 G36/99

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Veröffentlicht am 14.10.1999
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs4
StGG Art5
ASVG §4 Abs3 Z3

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Einbeziehung von selbständigen Musikern in die Pflichtversicherung nach dem ASVG wegen Verstoßes gegen das Determinierungsgebot; Zulässigkeit und Ausmaß des - aufgrund der Beitragspflicht ermöglichten - Eigentumseingriffs mangels Festsetzung einer Versicherungsgrenze oder einer Mindestbeitragsgrundlage nicht bestimmbar; analoge Gesetzesanwendung diesfalls unzulässig

Rechtssatz

Die Worte "Musiker und" in §4 Abs3 Z3 ASVG, BGBl. 189/1955 idF BGBl. 157/1958, waren verfassungswidrig.

Die gegenständliche Regelung ermöglicht die Einbeziehung von Musikern in die Pflichtversicherung und intendiert damit, auch deren Beitragspflicht zu begründen; sie ermöglicht daher einen Eingriff in das nach Art5 StGG garantierte und unter Gesetzesvorbehalt stehende Eigentumsrecht der von der Regelung betroffenen Rechtsunterworfenen. Gleichwohl läßt das Gesetz aber wesentliche Voraussetzungen der Zulässigkeit eines solchen Eigentumseingriffes und seines Ausmaßes ungeregelt, nämlich sowohl die Frage einer Versicherungsgrenze als auch jene einer Mindestbeitragsgrundlage, obwohl zumindest eine dieser Fragen beantwortet werden muß, um Zulässigkeit und Ausmaß des Eigentumseingriffes anhand des Gesetzes bestimmen zu können. Würde man - wie dies von der Bundesregierung vertreten wird - eine Schließung dieser Lücke durch Analogie zulassen, hätte es die Behörde in der Hand, im Analogiewege entweder eine Versicherungsgrenze, eine Mindestbeitragsgrundlage oder eine feste Beitragsgrundlage heranzuziehen und je nach der gewählten Methode zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Beitragsbelastung und der damit erworbenen Beitragsgrundlage zu kommen.

Es kann vor dem Hintergrund des rechtsstaatlichen Prinzips nicht der Vollziehung überlassen sein, sich zum Zweck des Eingriffs in das Eigentumsrecht ihre eigene Rechtsgrundlage aus fremden Regelungskomplexen zu schaffen. Vielmehr hat - in Übereinstimmung mit den strengen Anforderungen an die Determinierung eingriffsnaher Gesetze im allgemeinen (vgl. zB VfSlg. 10.737/1985), aber auch mit den Anforderungen an die Klarheit und Verständlichkeit von Regelungen über die Sozialversicherungspflicht im besonderen (vgl. VfSlg. 14.802/1997) - der Gesetzgeber des jeweiligen Regelungskomplexes die Grundlage für den Eingriff in das Eigentumsrecht so auszugestalten, daß dem Bestimmtheitsgebot des Art18 B-VG und dem Eingriffsvorbehalt des Art5 StGG Genüge getan ist. Die durch die in Prüfung gezogene Wendung getroffene gesetzliche Regelung ist daher wegen nicht hinreichender Bestimmtheit im Sinn des Art18 B-VG verfassungswidrig.

Da §4 Abs3 Z3 ASVG durch ArtI Z6a des Sozialrechts-ÄnderungsG 1996, BGBl. 411/1996, mit Wirkung vom 01.01.97 geändert und der Ausdruck "Musiker und Artisten" durch den Ausdruck "Musiker, Artisten und Kabarettisten" ersetzt wurde, war gemäß Art140 Abs4 B-VG auszusprechen, daß die in Prüfung gezogene Wortfolge "Musiker und" in §4 Abs3 Z3 ASVG, BGBl. 189/1955 idF BGBl. 157/1958, verfassungswidrig war.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Sozialversicherung, Pflichtversicherung, Analogie, Rechtsstaatsprinzip, Determinierungsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G36.1999

Dokumentnummer

JFR_10008986_99G00036_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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