TE Vfgh Beschluss 2005/6/6 G27/05 ua

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Veröffentlicht am 06.06.2005
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StPO §5
VerbotsG §3g
VfGG §62 Abs1
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Verbotsgesetzes und der StPO in Folge zumutbaren Umwegs angesichts der Anhängigkeit eines Strafverfahrens; Abweisung des Verfahrenshilfeantrags als aussichtslos

Spruch

I. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

II. Der Individualantrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1.1. In dem auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Individualantrag begehrt der durch einen Rechtsanwalt vertretene Einschreiter, "der Verfassungsgerichtshof möge §3g Verbotsgesetz und §5 StPO zur Gänze als gesetzwidrig aufheben." Unter einem wird ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für diese Rechtssache gestellt.

1.2. Gegen den Antragsteller ist beim Landesgericht für Strafsachen Wien zur AZ 431 Hv 2 /03k wegen des Verbrechens nach §3g VerbotsG 1947 und weiterer strafbarer Handlungen ein im Stadium der Hauptverhandlung befindliches Strafverfahren anhängig. Ihm wird ua. zur Last gelegt, sich durch Veröffentlichung zahlreicher Publikationen, in welchen vom nationalsozialistischen Regime betriebene Massenvernichtungen geleugnet bzw. nationalsozialistische Ziele verherrlicht werden, im nationalsozialistischen Sinn betätigt zu haben. In diesem Strafverfahren blieben Beschwerden des Genannten gegen die Verhängung und Fortsetzung der Untersuchungshaft zufolge Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien vom 28.12.2004, AZ 21 Bs 450/04, sowie seine dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde zufolge Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 10.3.2005, AZ 12 Os 17/05z, ohne Erfolg.

1.3. Wörtlich führt der Einschreiter im vorliegenden Antrag ua. aus:

"Dem Antragsteller wird ... eine Erwerbstätigkeit durch den Verkauf und das Versenden von Büchern des in Tschechien ansässigen Orion-Verlages vorgeworfen. Es ist somit ein Anknüpfungspunkt gegeben, der sich auf die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs gemäß Art49 EGV und Rechte des Freien Warenverkehrs gemäß Art28f EGV bezieht. Obwohl der Antragsteller nunmehr damit konfrontiert ist, dass das Verbot der Beschränkung des Freien Dienstleistungsverkehrs und des Freien Warenverkehrs unmittelbar anwendbar ist ..., hat der Antragsteller keine Möglichkeit sich gegen EU-rechtswidrige Bestimmungen zur Wehr zu setzen und hat auch nach den Bestimmungen des Strafprozesses keine Möglichkeit den zur Entscheidung über derartige Vorfragen berufenen EuGH anzurufen.

Es ist sohin dem Antragsteller unzumutbar erst eine strafrechtliche Verurteilung abzuwarten und dann lediglich die Möglichkeit zu haben an den Obersten Gerichtshof seine verfassungsrechtlichen Bedenken mitzuteilen. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch auch keine Möglichkeit einen Antrag nach der Strafprozessordnung an den EuGH zu stellen. Die Antragslegitimation des Antragstellers ist daher auch hinsichtlich eines Individualantrags gegeben.

...

Wie bereits oben ausgeführt sieht der Antragsteller im §3g Verbotsgesetz, welcher gemäß der Anklageschrift in die Handelstätigkeit des Antragstellers eingreift, einen Verstoß gegen die Freiheit des Warenverkehrs und die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs. Die Bestimmung des §3g Verbotsgesetz ist dabei überdies so weit gefasst, dass diese vollkommen unbestimmt ist und es der Judikatur überlässt, welche Tätigkeit nunmehr als 'andere als die in den §§3a bis 3f bezeichneten Weise' Betätigung im nationalsozialistischen Sinn gewertet wird.

...

Im übrigen bestreitet der Antragsteller auch die Wirkung des '3g Verbotsgesetz als verfassungsgesetzliche Bestimmung. Das Verbotsgesetz wurde am 8. Mai 1945 durch die provisorische Staatsregierung erlassen ohne dass die provisorische Staatsregierung für eine derartige Verfassungsnormierung eine Kompetenz hatte. Eine derartige Kompetenz kann auch nicht aus dem B-VG 1929 abgeleitet werden, und da der Nationalrat erstmals am 19.12.1945 zusammentrat, entwickelt §3g Verbotsgesetz auch keine verfassungsrechtliche Wirkung.

Nach Ansicht des Antragstellers ergeben sich daher folgende Verfassungswidrigkeiten:

§3g Verbotsgesetz verstößt durch seine mangelnde Bestimmtheit gegen das Legalitätsprinzip und eine derartige formalgesetzliche Delegation ist verfassungswidrig. Im konkreten Fall ermöglicht eine derartige formalgesetzliche Delegation auch einen Eingriff in zwingendes EU-Recht (Rechte des Freien Warenverkehrs und Rechte des Freien Dienstleistungsverkehrs).

§5 StPO greift ebenfalls dadurch in das EU-Recht ein, indem es eine Vorfragenprüfung durch den EuGH im Vergleich zu §191a ZPO nicht ermöglicht und auch keine Bindung des Strafgerichtes an Entscheidungen des EuGH vorsieht.

Durch die oben angeführten Gesetzesbestimmungen ist daher das rechtsstaatliche Prinzip, ein Verstoß gegen Artikel 6 MRK, ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die Verfassungswidrigkeit des §5 StPO wird auch durch die eindeutige Bestimmung des Artikel 177 EGV deutlich. Hier wird im letzten Absatz normiert: 'wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidung selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet'.

Im konkreten Fall wird zwar vorerst ein Verfahren vor dem Geschworenengericht durchgeführt, doch gibt es weder im erstinstanzlichen Verfahren, noch dann im Rechtsmittelverfahren vor dem Obersten Gerichtshof die verpflichtende Möglichkeit gemäß Artikel 177 EGV mit der Vorfrage, hinsichtlich der Erlaubtheit der Handelstätigkeiten des Antragstellers, den EuGH anzurufen.

Bereits dadurch wird auch klargelegt, dass §5 StPO keine Möglichkeiten im Sinn des Artikel 177 EGV bietet."

2. Der Antrag ist nicht zulässig:

Der Verfassungsgerichtshof vertritt seit seinem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, dass der durch Art140 Abs1 letzter Satz B-VG dem Einzelnen eingeräumte - subsidiäre - Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.684/1988, 13.871/1994, 15.927/2000).

Ein solcher zumutbarer Weg wird grundsätzlich dann eröffnet, wenn gegen den Antragsteller - wie im vorliegenden Fall - bereits ein gerichtliches Strafverfahren anhängig ist, das Gelegenheit bietet, allfällige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vom Gericht anzuwendenden Gesetzesbestimmungen in diesem Strafverfahren vorzutragen und das - antragslegitimierte (Art140 Abs1 iVm Art89 Abs2 B-VG) - Gericht zweiter Instanz zu veranlassen, einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen (zB VfSlg. 14.458/1996, 14.752/1997, 16.494/2002).

Da der Betroffene - seiner Auffassung zuwider - Gelegenheit hatte, in den angeführten, jeweils von ihm initiierten Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht Wien und vor dem Obersten Gerichtshof (Pkt. 1.2.) die Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens anzuregen, die - anzufechtenden - gesetzlichen Bestimmungen mithin für ihn nicht ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung wirksam geworden sind (s. dazu zB VfSlg. 8554/1979, 9276/1981, 16.494/2002), mangelt es an der Antragslegitimation.

Außergewöhnliche Umstände, welche die Einbringung eines Individualantrages ausnahmsweise dennoch zulässig machen könnten, liegen hier nicht vor.

Im Übrigen ist anzumerken, dass der Oberste Gerichtshof ein Gericht iSd Art234 (ex-Art 177) Abs3 EG ist.

Die nach der Einreichung des Individualantrags vom Einschreiter persönlich begehrte Antragsänderung: Aufhebung des gesamten VerbotsG 1947 ist schon deshalb unzulässig, weil der Prüfungsgegenstand durch das (ursprüngliche) Antragsbegehren iSd §62 Abs1 VfGG festgelegt wird (VfSlg. 14.312/1995, 15.021/1997).

3. Der Antrag war daher wegen Mangels der Legitimation - als unzulässig - zurückzuweisen.

4. Damit erweist sich die vom Antragsteller angestrebte Rechtsverfolgung als offenbar aussichtslos, sodass sein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gemäß §63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG abzuweisen war.

5. Diese Beschlüsse konnten gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG sowie gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

Nationalsozialistengesetzgebung, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:G27.2005

Dokumentnummer

JFT_09949394_05G00027_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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