RS Vfgh 1999/12/1 G128/98, V65/98

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Veröffentlicht am 01.12.1999
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Allg
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139a
ArbeitsruheG §31 Abs1 Z8
GewO 1973 §376 Z46
GewO 1994 §376 Z46
GewO 1859 §96e Abs4

Leitsatz

Aufhebung einer wiederverlautbarten Bestimmung der GewO 1994 betreffend die Weitergeltung einer Ladenschlußvorschrift für den Großhandel wegen Überschreitung der Grenzen der erteilten Ermächtigung; Rechtswidrigkeit der Wiederverlautbarung einer - angesichts der Aufhebung der normativen Grundlage der Ladenschlußvorschrift durch das ArbeitsruheG - außer Kraft getretenen Bestimmung; Zulässigkeit des (Individual-)Antrags auf Aufhebung der Wiederverlautbarung; Zurückweisung des Gesetzesprüfungsantrags nach Aufhebung der wiederverlautbarten Bestimmung mangels eines tauglichen Prüfungsgegenstandes

Rechtssatz

Zulässigkeit des (Individual-)Antrags auf Aufhebung einer Wiederverlautbarung.

Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Prüfung im Verfahren nach Art139a B-VG ist die Rechtmäßigkeit der Wiederverlautbarung. Ziel eines Antrages nach Art140 B-VG ist die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des wiederverlautbarten Gesetzes ohne Rücksicht auf die Rechtmäßigkeit der Wiederverlautbarung. Es steht einem Antragsteller frei, nur die Wiederverlautbarung oder nur das wiederverlautbarte Gesetz oder aber beides anzufechten. Er kann freilich nicht in beiden Verfahren gleichzeitig Erfolg haben: Erweist sich nämlich die Wiederverlautbarung als rechtswidrig, verliert der bekämpfte Text seine Qualität als Gesetz und ist nicht mehr tauglicher Gegenstand eines Gesetzesprüfungsverfahrens.

Die Wiederverlautbarung stellt den geltenden, im Sinne seiner Entstehungszeit zu deutenden Gesetzestext fest und ist kein Akt der Gesetzgebung. Ergibt sich die Gegenstandslosigkeit einer Vorschrift aus ihrem Inhalt, so mag die Aufnahme in die Wiederverlautbarung unter Umständen eine mehr oder weniger zweckmäßige (klarstellende) Information darstellen; durch die bloße Wiederverlautbarung wird ihr Inhalt nicht verändert (vgl VfSlg 6881a/1970) und auch unanwendbare Vorschriften werden durch sie nicht wieder anwendbar. Ermöglicht aber die Wiederverlautbarung eine andere Auslegung als der gegenstandslos gewordene Text (indem die Fortdauer einer Rechtswirkung nahegelegt wird, die - etwa durch inhaltliche Derogation - schon beseitigt wurde), ist sie einer Neuerlassung der Norm gleichzuhalten und als Überschreitung der erteilten Ermächtigung zu werten (vgl VfSlg 9597/1982).

Aufhebung des §376 Z46 GewO 1994, Anlage 1 zur Kundmachung BGBl 194/1994 über die Wiederverlautbarung der GewO 1973, wegen Überschreitung der Grenzen der erteilten Ermächtigung.

Die Technik der Übergangsregelung der GewO 1973 hat zur Folge, daß kraft des so gearteten Gesetzgebungsaktes §96e Abs4 GewO 1859 nicht mehr als Rest der GewO 1859, sondern als Teil des Art1 des Gesetzes vom 15.05.1919, StGBl 282, über die Mindestruhezeit, den Ladenschluß und die Sonntagsruhe in Handelsgewerben und anderen Betrieben in Kraft geblieben ist. Durch die vollständige Aufhebung des Gesetzes aus 1919 durch §31 Abs1 Z8 des ArbeitsruheG, BGBl 144/1983, hat die Z46 des §376 GewO 1973 ihre Rechtswirkungen verloren.

Die wiederverlautbarte Bestimmung ist zwar nicht durch formelle oder materielle Derogation, aber auch nicht durch den in ihr selbst als Ende ihrer Wirksamkeit bezeichneten Gesetzgebungsakt im Bereiche des Ladenschlußrechts, sondern (wenn vielleicht auch irrtümlich) durch förmliche Aufhebung der normativen Grundlage des in Wirksamkeit belassenen §96e Abs4 GewO 1859 in einem die Arbeitsruhe regelnden Gesetz gegenstandslos gemacht worden. Über diesen Umstand wird aber ein Leser der wiederverlautbarten Vorschrift hinweggetäuscht.

Dazu kommt, daß die Wiederverlautbarung den Wortlaut geändert hat und statt auf das LadenschlußG nunmehr auf das daraus hervorgegangene erst 1989 erlassene (das LadenschlußG freilich ersetzende), 1992 wiederverlautbarte ÖffnungszeitenG hinweist und so den Eindruck erweckt, erst eine dem ÖffnungszeitenG nachfolgende Neuregelung könne die Fortgeltung des §96e Abs4 GewO 1859 beenden.

Durch diese Wiederverlautbarung einer bereits außer Kraft getretenen Bestimmung ist die erteilte Ermächtigung zur Wiederverlautbarung überschritten worden.

Zurückweisung des - gleichzeitig mit dem Antrag auf Aufhebung der Wiederverlautbarung gem Art139a B-VG gestellten - Individualantrags auf Aufhebung des §376 Z46 GewO 1994 nach Aufhebung der Bestimmung.

§96e Abs4 GewO 1859 ist seit 01.06.84 durch das ArbeitsruheG aufgehoben, die Z46 des §376 GewO 1973 wurde damit gegenstandslos. Die rechtswidrige Wiederverlautbarung ist durch die Aufhebung der Z46 der GewO 1994 beseitigt. Es mangelt dem Gesetzesprüfungverfahren nunmehr an einem tauglichen Gegenstand.

Entscheidungstexte

  • G 128/98,V 65/98
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 01.12.1999 G 128/98,V 65/98

Schlagworte

Wiederverlautbarung, VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsgegenstand, Gewerberecht, Ladenschluß, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Derogation, Arbeitnehmerschutz, Arbeitsruhe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G128.1998

Dokumentnummer

JFR_10008799_98G00128_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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