RS Vfgh 2000/3/16 G312/97 ua

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Veröffentlicht am 16.03.2000
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83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
AbfallwirtschaftsG §39 Abs1 lita
BVG Umweltschutz
VfGG §65a

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der als überschießend bewerteten Mindestgeldstrafe von S 50.0000,-- im Abfallwirtschaftsgesetz aufgrund Unklarheit und Unbestimmtheit der Verwaltungsstraftatbestände sowohl im Hinblick auf die verpönten Verhaltensweisen als auch auf den persönlichen Anwendungsbereich; interpretative Beschränkung der Anwendbarkeit auf gewerbsmäßige Abfallsammler oder Abfallbehandler nicht möglich

Rechtssatz

Zulässigkeit der Anträge auf Aufhebung der Wortfolge "von 50.000" in §39 Abs1 lita AbfallwirtschaftsG, BGBl 325/1990 idF BGBl 434/1996.

Im Hinblick darauf, daß die angefochtene Wortfolge durch die Stammfassung des AbfallwirtschaftsG 1990 eingeführt wurde und seither unverändert blieb, wertet der Verfassungsgerichtshof den vom UVS Tirol gestellten Antrag dahin, daß ein - in Ansehung des Verwaltungsgeschehens - bloß zeitlich differenziert formuliertes, aber der Sache nach einheitliches Begehren vorliegt, welches auf Aufhebung der durch das AbfallwirtschaftsG 1990 eingeführten und noch in Geltung stehenden Bestimmung über die Mindestgeldstrafe in §39 Abs1 lita AbfallwirtschaftsG 1990 (Einleitungssatz) abzielt.

Anfechtungsumfang zulässig.

Die Grenzen einer (möglichen) Aufhebung müssen so gezogen werden, daß der verbleibende Gesetzesteil keinen völlig veränderten Inhalt bekommt, aber auch die mit der aufzuhebenden Gesetzesbestimmung in einem untrennbaren Zusammenhang stehenden Bestimmungen erfaßt werden.

Eine Abwägung zwischen den genannten Zielen ergibt daher, daß der gewählte Anfechtungsweg nicht zu einer einschneidenderen Veränderung der einfachgesetzlichen Rechtslage führen würde als die Anfechtung und gänzliche Beseitigung eines oder mehrerer Verwaltungsstraftatbestände der einzelnen Ziffern des §39 Abs1 lita AbfallwirtschaftsG 1990.

Die Wortfolge "von 50 000" in §39 Abs1 lita AbfallwirtschaftsG 1990, BGBl 325/1990 idF BGBl 434/1996, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die Umwelt ein sensibles Gut und das Ziel des Umweltschutzes ein berechtigtes Anliegen ist, dessen Wahrung zu den Staatsaufgaben zählt (vgl VfSlg 11294/1987 unter Hinweis auf das BVG über den umfassenden Umweltschutz, BGBl 491/1984). Selbst wenn aber aus Gründen der General- und Spezialprävention vom Gesetzgeber strenge Strafen intendiert sind, muß auch in diesen Fällen die Strafe in einem angemessenen Verhältnis zum Grad des Verschuldens und zur Höhe des durch das Vergehen bewirkten Schadens stehen (vgl VfSlg 9901/1983 und 11587/1987).

Ein aus präventiven Erwägungen für erforderlich befundenes Strafausmaß kann aber auch ohne die angefochtene Mindestgeldstrafe erreicht werden.

Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß es ungeachtet des aufgezeigten Umstandes, daß die Ausschöpfung der normierten Höchststrafe für die Verwirklichung der durch die Verwaltungsstrafdrohung angestrebten Ziele prinzipiell ausreicht, im Anwendungsbereich des AbfallwirtschaftsG 1990 besondere Situationen für erwerbsmäßige Abfallsammler und Abfallbehandler geben kann, in welchen etwa im Hinblick auf das dem Regelungsbereich zugrunde liegende Gefährdungspotential und das mögliche Einkalkulieren des Strafausmaßes bei Begehung einer tatbestandsmäßigen Handlung die angefochtene Mindestgeldstrafe für einen eingeschränkten Personenkreis gerechtfertigt sein könnte.

Die Unklarheit und Unbestimmtheit der Verwaltungsstraftatbestände des §39 Abs1 lita Z1 und Z2 AbfallwirtschaftsG 1990 lassen sowohl im Hinblick auf die verpönten Verhaltensweisen als auch auf ihren persönlichen Anwendungsbereich eine ausreichende Klarheit vermissen und ermöglichen es insbesondere nicht, die Verbote als ausschließlich an gewerbsmäßig tätige Abfallsammler oder Abfallbehandler gerichtet zu verstehen. Die angefochtene Mindestgeldstrafe ist daher jedenfalls überschießend und insofern sachlich nicht zu rechtfertigen, sodaß sie mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot unvereinbar ist.

Kosten waren - soweit sie für abgegebene Äußerungen verzeichnet wurden - nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines - wie hier - aufgrund eines Gerichtsantrages eingeleiteten Normprüfungsverfahrens Aufgabe des antragstellenden Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (VfSlg 14631/1996 uva).

(Quasi-Anlaßfall: E v 16.03.00, B3101/97 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides).

siehe auch E v 27.02.01, G130/00 ua - Aufhebung derselben Wortfolge idF BGBl I 151/1998.

Entscheidungstexte

  • G 312/97 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 16.03.2000 G 312/97 ua

Schlagworte

Abfallwirtschaft, Auslegung eines Antrages, Determinierungsgebot, Strafen, Umweltschutz, VfGH / Kosten, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:G312.1997

Dokumentnummer

JFR_09999684_97G00312_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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