RS Vfgh 2000/6/21 B537/98 - B347/99

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 21.06.2000
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs2
DSt 1990 §19 Abs3 Z1 litb
DSt 1990 §19 Abs4

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Entziehung des Vertretungsrechtes des beschwerdeführenden Rechtsanwaltes in Strafsachen mit einstweiliger Maßnahme infolge Anklageerhebung wegen Sittlichkeitsdelikten; keine Bedenken gegen diese Regelung; kein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot, das Legalitätsprinzip, die Unschuldsvermutung; keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren sowie auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung

Rechtssatz

§19 Abs1 iVm Abs3 Z1 litb DSt 1990, der als einstweilige Maßnahme die Entziehung des Vertretungsrechts vor bestimmten oder allen Gerichten oder Verwaltungsbehörden vorsieht, greift in das durch Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit ein.

Bei Rechtsanwälten handelt es sich um einen Berufsstand, an dessen Angehörige im Hinblick auf die Aufgaben, die von ihnen in Ausübung ihres Mandates wahrzunehmen sind, im öffentlichen Interesse besondere Anforderungen hinsichtlich der korrekten Einhaltung von Rechtsvorschriften zu stellen sind.

Wird ein Rechtsanwalt etwa wegen des Sittlichkeitsdeliktes der Unzucht mit Unmündigen in erster Instanz verurteilt, liegt es zum Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung im öffentlichen Interesse, dem Rechtsanwalt die Vertretung vor Strafgerichten vorläufig zu untersagen.

In Fällen wie dem vorliegenden stellt die einstweilige Maßnahme der Entziehung des Vertretungsrechts vor (Straf-)Gerichten ein notwendiges und adäquates Mittel zur Erreichung des öffentlichen Zieles dar.

Kein Vorliegen einer strafrechtlichen Anklage iSd Art6 EMRK, keine Verletzung der Unschuldsvermutung des Art6 Abs2 EMRK (siehe E v 04.10.99, B2598/97 ua).

Einstweilige Maßnahmen, die die Berufsausübung eines Rechtsanwaltes beschränken, betreffen ein civil right - wenngleich auch nicht in dessen Kernbereich (vgl dazu grundlegend VfSlg 11500/1987, zum Entzug der Apothekenkonzession vgl VfSlg 11937/1988) - des Beschwerdeführers. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung war jedoch im konkreten Fall nicht geboten.

Dem Beschwerdeführer wurde aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreichend Gelegenheit geboten, seinen Standpunkt darzulegen. Es ist nichts hervorgekommen, was das Verfahren insgesamt nicht als fair hätte erscheinen lassen.

Dem angefochtenen Bescheid liegt ein zum Zeitpunkt seiner Erlassung noch nicht rechtskräftiges Strafurteil des Landesgerichtes Leoben zugrunde. Daß die Entziehung des Vertretungsrechts vor Strafgerichten im gesamten Bundesgebiet gemäß §19 Abs1 Z1 DSt 1990 mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des dem Rechtsanwalt zur Last gelegten Disziplinarvergehens wegen zu besorgender schwerer Nachteile, besonders für die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung oder das Ansehen des Standes erforderlich ist, wurde im Beschluß des Disziplinarrates ausreichend dargetan und von der OBDK bestätigt. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann der belangten Behörde kein Vorwurf einer denkunmöglichen Anwendung der maßgeblichen Rechtsvorschriften gemacht werden.

(siehe auch E v 21.06.00, B347/99 und B578/00).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Erwerbsausübungsfreiheit, Rechtsanwälte Disziplinarrecht, Strafen, fair trial, Mündlichkeit, civil rights

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B537.1998

Dokumentnummer

JFR_09999379_98B00537_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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