RS Vfgh 2000/6/29 G45/00 ua, V31/00 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 29.06.2000
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Index

58 Berg- und Energierecht
58/02 Energierecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art139 Abs5 / Fristsetzung
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
EG-Vertrag Art86
ElWOG §25
ElWOG §34
Richtlinie 96/92/EG vom 19.12.96 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt
SystemnutzungstarifgrundsatzV, BGBl II 51/1999
Verordnung des BMwA über die Bestimmung der Systemnutzungstarife, Z551352/96-VIII/1/99
Verordnung des BMwA über die Bestimmung der Tarife für das Netzbereitstellungsentgelt, Z551352/95-VIII/1/99

Leitsatz

Zulässigkeit der Individualanträge auf Aufhebung von Teilen der Verordnung über die Bestimmung der Systemnutzungstarife sowie der Verordnung über die Bestimmung der Tarife für das Netzbereitstellungsentgelt; Verfassungswidrigkeit zweier Bestimmungen des Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetzes wegen Verstoßes gegen das Determinierungsgebot infolge mangelnder Regelung von Grundsätzen für die Gestaltung der Systemnutzungstarife; Gesetzlosigkeit der SystemnutzungstarifgrundsatzV infolge Aufhebung der verfassungswidrigen Rechtsgrundlage

Rechtssatz

Zulässigkeit der Individualanträge auf Aufhebung von Teilen der Verordnung des BMwA Z551352/96-VIII/1/99, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, sowie der Verordnung des BMwA Z551352/95-VIII/1/99, mit der Tarife für das Netzbereitstellungsentgelt bestimmt werden.

Die Ausgestaltung der privatrechtlichen Verträge zwischen dem Netzbetreiber und dem Netzzugangsberechtigten liegt nicht mehr in der freien Dispositionsmacht des Eigentümers des Netzes. Insofern wird er in der Ausübung seiner Rechte als Eigentümer der Netzanlage beschränkt. Er ist aber auch nicht frei, das Entgelt für den Netzzugang zu bestimmen. Denn §25 Abs1 ElWOG sieht für die Gestaltung des Systemnutzungstarifes ein Preisregelungssystem vor. Durch die verbindliche Festsetzung des Preises für die Überlassung ihrer Anlagen greifen die angefochtenen Verordnungsbestimmungen in die Vertragsfreiheit der antragstellenden Gesellschaft unmittelbar ein. Für die Beantwortung der Frage der Antragslegitimation kommt es nicht darauf an, ob die Preisfestsetzung in irgendeinem Zeitpunkt im Ergebnis zu gleichen, höheren oder geringeren Entgelten als jenen im freien Wettbewerb erzielbaren Entgelten führt. Allein die Tatsache einer Preisregelung, die es dem Normadressaten verbietet, einen - seiner Einschätzung der Marktbedingungen entsprechenden - höheren oder niedrigeren Preis für die Überlassung der Leitungsanlagen zu fordern, stellt einen nachteiligen Eingriff in die Rechtssphäre des Eigentümers der Anlage dar (vgl. VfSlg. 10.313/1984).

Die Individualanträge sind daher zulässig. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die angefochtenen Verordnungen mit 22.09.99 außer Kraft gesetzt worden sind. Denn die in diesen Verordnungen enthaltenen Preisregelungen entfalten weiterhin Wirkung für den vor dem 22.09.99 liegenden Zeitraum, weil, soweit auf diesen Zeitraum abgestellt wird, die in den außer Kraft getretenen Verordnungen festgesetzten Systemnutzungstarife und das Netzbereitstellungsentgelt anzuwenden sind.

Die §25 und §34 des Bundesgesetzes, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz - ElWOG), BGBl. I Nr. 143/1998, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Festlegung der Grundsätze, die bei der Bestimmung der Systemnutzungstarife angewendet werden, BGBl. II Nr. 51/1999, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Für die Struktur und die Berechnungsweise der Systemnutzungstarife sind zahlreiche Varianten denkbar, deren Auswahl - weil im Gesetz nicht einmal ansatzweise geregelt - dem Belieben des Verordnungsgebers überlassen wurde. Der Gesetzgeber hat zwar - wie die Regelungen der §25 und §34 ElWOG zeigen - die Notwendigkeit erkannt, Grundsätze für die Gestaltung der Systemnutzungstarife aufzustellen, er hat es aber verabsäumt, diese Grundsätze selbst zu regeln. Der Hinweis auf die Notwendigkeit, die Tarife einfach, flexibel, transparent und kostengerecht zu bestimmen, vermag das Hinwegsetzen über das Erfordernis ausreichender gesetzlicher Determinierung nicht zu rechtfertigen.

Das verfassungsrechtliche Determinierungsgebot lässt flexible Regelungen nur im Rahmen einer vom Gesetzgeber zu treffenden Grundentscheidung zu. Eine solche Grundentscheidung hat der Gesetzgeber jedoch nicht getroffen.

Auch das Vorbringen, die §25 und §34 ElWOG seien im Lichte der Richtlinie 96/92/EG vom 19.12.96 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt (EBRL) und des Art86 EG-V (betreffend öffentliche, monopolartige und Versorgungsunternehmen) zu interpretieren, vermag die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs nicht zu zerstreuen. Denn die EBRL lässt den Mitgliedsstaaten die Wahlfreiheit zwischen drei verschiedenen Modellen und damit auch die innerstaatliche Ausgestaltung eines dieser Modelle offen.

Die SystemnutzungstarifgrundsatzV beruht - wie oben ausgeführt - auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage. Sie war daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30.06.01 in Kraft.

Um eine lückenlose Umsetzung der EBRL sicherzustellen, war gemäß Art139 Abs5 B-VG und Art140 Abs5 B-VG eine Frist für das Außerkrafttreten der in Prüfung gezogenen Regelungen zu bestimmen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Determinierungsgebot, Energierecht, Elektrizitätswesen, EU-Recht Richtlinie, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Preisrecht, Preisregelung, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:G45.2000

Dokumentnummer

JFR_09999371_00G00045_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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