TE Vfgh Erkenntnis 2005/6/13 B99/05

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Veröffentlicht am 13.06.2005
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
DSt 1990 §7, §14, §25 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung eines Delegierungsantrags wegen Befangenheit der Mitglieder eines Disziplinarrates

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Einleitungsbeschluss des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 25. Juni 2003 wurde ausgesprochen, dass "Grund zur Disziplinarbehandlung" bestehe.

2. Im Zuge der vor dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien durchgeführten mündlichen Disziplinarverhandlung am 15. Juni 2004 beantragte der Beschwerdeführer gemäß §25 Abs1 Disziplinarstatut 1990 (im Folgenden: DSt) die Delegierung des Disziplinarverfahrens an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Burgenland wegen Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien. Begründend führte er aus, er gehe davon aus, dass beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien gegen ihn eine Vorverurteilung bestehe, weil ein Mitglied des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien seine Verurteilung unter der Verwendung des Begriffes "Exempel statuieren" beantragt habe.

3. Mit Beschluss der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom 15. November 2004 wurde dem Delegierungsantrag des Beschwerdeführers keine Folge gegeben.

Begründend wurde ausgeführt, es sei ständige Rechtsprechung der OBDK, dass eine Delegierung nur dann statthaft sei, wenn entweder der gesamte Disziplinarrat oder so viele seiner Mitglieder befangen seien, dass dieser nicht mehr beschlussfähig sei. Prinzipiell rechtfertige die Tatsache, dass der Anzeiger Mitglied des Ausschusses einer Rechtsanwaltskammer sei, deren Disziplinarrat zur Entscheidung in der anhängigen Sache berufen sei, keine generelle Befangenheit einzelner, namentlich nicht genannter Mitglieder des Disziplinarrates. Bei dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer handle es sich um ein vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer völlig verschiedenes, weisungsfreies und ausschließlich eigenverantwortliches Organ. Die von einem einzelnen Ausschussmitglied persönlich geäußerte Meinung stelle weder einen Befangenheitsgrund der Mitglieder des Disziplinarrates, noch einen sonstigen wichtigen Grund dar, die vom Disziplinarbeschuldigten begehrte Delegierung des Verfahrens an die Rechtsanwaltskammer Burgenland zu rechtfertigen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK geltend gemacht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Für den Fall der "Abweisung oder Ablehnung dieser Beschwerde" durch den Verfassungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art144 Abs3 B-VG.

5. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken vor. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden. Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinen Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung verletzt.

2.1. Zur behaupteten Verletzung des Art6 EMRK führt der Beschwerdeführer aus, dass die Einleitung des Disziplinarverfahrens aufgrund der Anzeige des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien erfolgt sei. Zuvor habe ein Ausschussmitglied in einem Aktenvermerk festgehalten, dass am Beschwerdeführer ein "Exempel statuiert" werden müsse. Dabei handle es sich nach Auffassung des Beschwerdeführers um eine höchst emotionell gehaltene Aufforderung an die Mitglieder des Disziplinarrates, den Beschwerdeführer unangemessen hart zu bestrafen. Diese Vorgehensweise sei geeignet, bei einem unbefangenen Außenstehenden in begründeter Weise Zweifel an der unparteiischen Entscheidungsfindung zu bewirken.

2.2. Die behauptete Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK ist nicht gegeben:

Selbst wenn Art6 EMRK im gegenständlichen Verfahren überhaupt Anwendung fände (vgl. dazu VfSlg. 12.589/1990), wäre der Beschwerdeführer in den aus dieser Bestimmung erfließenden Rechten nicht verletzt.

Der Ansicht der belangten Behörde, wonach es sich bei dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer "um ein vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer völlig verschiedenes, weisungsfreies und ausschließlich eigenverantwortliches Organ" handle, kann vor dem Hintergrund der §§7 und 14 DSt nicht entgegengetreten werden. Der Verfassungsgerichtshof konnte unter den gegebenen Umständen auch nichts finden, was für die Annahme eines äußeren Anscheins der Parteilichkeit (iSd. Art6 EMRK) sämtlicher oder einzelner Mitglieder des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien sprechen würde.

3. Der Beschwerdeführer ist in dem von ihm behaupteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nicht verletzt worden. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.

4. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

6. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof war abzuweisen, weil die Überprüfung von Entscheidungen der OBDK gemäß Art133 Z4 B-VG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist.

7. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B99.2005

Dokumentnummer

JFT_09949387_05B00099_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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