RS Vfgh 2001/12/12 G269/01 ua

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Veröffentlicht am 12.12.2001
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Index

21 Handels- und Wertpapierrecht
21/06 Wertpapierrecht

Norm

B-VG Art20 Abs1
B-VG Art23 Abs1
B-VG Art77 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs3 erster Satz
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
WertpapieraufsichtsG §1, §3, §5, §6, §7, §8, §21, §24a, §29
WertpapieraufsichtsG §21
WertpapieraufsichtsG §28
BankwesenG §108

Leitsatz

Präjudizialität auch der eine Behörde in ihrer Organisation konstituierenden Vorschriften bei Überprüfung eines Bescheides; Verfassungswidrigkeit der Einrichtung der Bundes-Wertpapieraufsicht als selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts; Unzulässigkeit der Betrauung von außerhalb der Staatsorganisation stehenden Rechtsträgern mit Kernaufgaben des Staates, zB mit Strafkompetenzen im hier vorgesehenen Ausmaß; Leitungs- und Organisationsverantwortung des dem Parlament gegenüber verantwortlichen Bundesministers nicht ausreichend gesichert; Zurückweisung von Anträgen bzw Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der zu weit gefaßten Prüfungsanträge und des Prüfungsbeschlusses; keine Verfassungswidrigkeit weiterer Bestimmungen über die Bundes-Wertpapieraufsicht aufgrund der bereinigten Rechtslage; keine Bedenken gegen die Besorgung der der Bundes-Wertpapieraufsicht übertragenen Aufgaben durch eine unselbständige Einrichtung des Bundes

Rechtssatz

Der Verfassungsgerichtshof hatte Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Übertragung von Aufgaben wirtschaftsaufsichtsrechtlicher, gewerbepolizeilicher und verwaltungsstrafrechtlicher Art im Bereich des Wertpapierhandels an einen in bestimmter Weise organisierten Rechtsträger. Bei Überprüfung der Bescheide eines solchen Rechtsträgers unter dem Gesichtspunkt des Art144 Abs1 B-VG sind sowohl die die Behörde konstituierenden organisationsrechtlichen Vorschriften wie auch die einzelnen materiell-rechtlichen Vorschriften, die den Bescheiden zugrundeliegen, Voraussetzung für die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes und von diesem anzuwenden.

Die im Prüfungsbeschluß angenommene Verfassungswidrigkeit kann schon dadurch beseitigt werden, daß die Bundes-Wertpapieraufsicht - BWA ihrer eigenen Rechtspersönlichkeit entkleidet und zu einer der vollen Leitungsbefugnis des Bundesministers unterstehenden unselbständigen Einrichtung des Bundes würde.

Einstellung des von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens bzw Zurückweisung von Prüfungsanträgen im darüber hinausgehenden Umfang.

Kein Eingehen auf die Frage der Zulässigkeit der Eventualanträge des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf das Ergebnis des Gesetzesprüfungsverfahrens.

Verfassungswidrigkeit von Teilen des §1, §3, §5, §6, §8, §21 WertpapieraufsichtsG in der Stammfassung, des §24a idF BGBl. I 126/1998, des §7 Abs2 idF BGBl. I 63/1999, des §29 idF BGBl. I 11/1998 und idF BGBl. I 2/2001 betreffend die Einrichtung der Bundes-Wertpapieraufsicht - BWA als Anstalt des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit.

Von "unterstellten Ämtern" iSd Art77 Abs1 B-VG kann nicht mehr die Rede sein, wenn die Besorgung der Verwaltungsaufgaben einer eigenen juristischen Person übertragen wird und zwar auch dann nicht, wenn es sich - wie im Fall der BWA - um eine juristische Person des öffentlichen Rechts handelt, weil eine unmittelbare Zurechnung der von einem solchen Rechtsträger gesetzten Akte an den Bundesminister nicht möglich ist.

Die BWA ist als selbständiger Rechtsträger konstruiert, der - indem er unter die Leitung eines "Direktors" mit umfassender Leitungsgewalt gestellt ist - für sich monokratisch organisiert ist, während die Aufgaben des Bundesministers auf die Bestellung des Direktors und eine - wie noch darzulegen sein wird beschränkte - Weisungs- und Aufsichtsbefugnis reduziert sind. Dem liegt ersichtlich das Konzept einer Ausgliederung zugrunde.

Die BWA ist keine in die staatliche Verwaltungsorganisation gemäß Art77 B-VG eingegliederte, dem Bundesminister nachgeordnete Dienststelle.

Übertragung von Hoheitsgewalt grundsätzlich zulässig (siehe Art23 Abs1 B-VG).

Auch eine Ausgliederung in eine öffentlich-rechtliche Institution, deren Handeln den obersten Organen nicht direkt zurechenbar ist, darf jedoch nur soweit erfolgen, als das Organisationskonzept der Bundesverfassung nicht umgangen wird, das im Prinzip eine Unterstellung der hoheitlich zu besorgenden Verwaltungstätigkeiten unter die obersten Organe im Sinne des Art19 Abs1 B-VG verlangt, die ihrerseits der parlamentarischen Kontrolle unterliegen und insbesondere dem Parlament gegenüber verantwortlich sind.

Die gemäß §28 Abs1 von der BWA zu sanktionierenden Verwaltungsübertretungen sind mit Verwaltungsstrafen (bis zu S 300.000,-- bzw. S 100.000,--) im eigentlichen Sinn des Wortes belegt und solche Verwaltungsstrafkompetenzen zählen jedenfalls zu den Kernaufgaben der staatlichen Verwaltung; eine Übertragung von Aufgaben solcher Art an Rechtsträger außerhalb der staatlichen Verwaltungsorganisation widerspricht aber - wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung VfSlg. 14.473/1996 dargetan hat - dem Organisationskonzept der Verfassung.

Der BWA sind somit Aufgaben zur Besorgung übertragen, die als ausgliederungsfeste Kernaufgaben einem aus der Staatsorganisation ausgegliederten selbständigen Rechtsträger nicht übertragen werden dürfen.

Auch ist die Leitungs- und Organisationsverantwortung des Bundesministers als eines obersten Organs, das seinerseits insbesondere dem Parlament gegenüber verantwortlich ist, in der vorgesehenen Konstruktion - anders als etwa im Falle einer unselbständigen und damit von der Leitungsbefugnis und der Verantwortung eines obersten Organs erfaßten öffentlich-rechtlichen Einrichtung - nicht ausreichend gesichert.

Die Weisungsbefugnisse des Bundesministers sind nur unzureichend eingeräumt, was den sich aus Art20 Abs1 und Art77 B-VG ergebenden Anforderungen an die Organisation ausgegliederter Rechtsträger, denen Verwaltungsaufgaben zur Besorgung unter Einsatz von imperium übertragen sind, widerspricht.

Gravierend ist schließlich die effektive Steuerungsmöglichkeit des Bundesministers insbesondere auch dadurch beschränkt, daß die gesetzlichen Vorschriften eine umfassende und rechtzeitige Information des Bundesministers nicht sichern.

Keine Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des WertpapieraufsichtsG, die nicht die Konstituierung der BWA als eigenen Rechtsträger betreffen.

Als unselbständige Einrichtung des Bundes, die als solche der vollen Leitungs- und Steuerungsmöglichkeit des Bundesministers unterliegt, der vice versa für die Tätigkeit der BWA auch die volle Verantwortung wahrzunehmen hätte, widerspricht ihre Organisation dem Organisationskonzept der Bundesverfassung nicht. Daher waren aus dem Abs1 des §1 WertpapieraufsichtsG nur die Worte "mit eigener Rechtspersönlichkeit" sowie jene der in Prüfung stehenden Bestimmungen aufzuheben, die mit der Einrichtung als eigener Rechtsträger notwendig verbunden sind. Die Aufhebung der Bestimmungen über die bloß beschränkt auferlegten Aufsichts- und Berichterstattungspflichten war erforderlich, um einen Widerspruch mit der bereinigten Fassung des §1 Abs1 zu vermeiden; denn gegenüber der BWA als unselbständiger Einrichtung des Bundes kommen dem Bundesminister schon kraft Art20 Abs1 B-VG umfassende Aufsichtsrechte zu und einer solchen Einrichtung gegenüber kann er Berichtspflichten in jeder Weise und damit über die gesetzlich vorgesehenen Fälle hinaus anordnen.

Durch die Aufhebung einer Wortfolge in §21 Abs1 WertpapieraufsichtsG wird weder die Vollzugsklausel des §108 BankwesenG in ihrem normativen Gehalt verändert noch wird dem Bundesminister für Finanzen die Verantwortung für den Vollzug der in §21 Abs1 WertpapieraufsichtsG genannten Bestimmungen des BankwesenG genommen; es wird bloß klargestellt, daß innerhalb des Bundesministeriums für Finanzen die besondere Einrichtung "Bundes-Wertpapieraufsicht" - unter der vollen Leitungsbefugnis des Bundesministers - tätig zu werden hat bzw. daß Meldepflichten dieser Einrichtung gegenüber bestehen.

Die Besorgung der derzeit der BWA übertragenen Aufgaben durch eine unselbständige Einrichtung des Bundes, die der vollen Ingerenz und damit der Verantwortung des Bundesministers für Finanzen unterliegt, begegnet den Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der die Ausgliederung konstituierenden Vorschriften naturgemäß nicht. Der Direktor unterliegt als Leiter einer unselbständigen Einrichtung des Bundes mittels Weisung des Bundesministers dessen Leitungsgewalt und es besteht damit auch hinsichtlich der Einstellung und Kündigung von Dienstnehmern eine volle Verantwortlichkeit des Bundesministers.

Da die Aufhebung der die Organisation der BWA als ausgegliederter, nicht der umfassenden Ingerenz des Bundesministers unterliegender Rechtsträger konstituierenden Bestimmungen dazu führt, daß die Tätigkeit der BWA unmittelbar dem Bundesminister zuzurechnen ist, ist dem Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Übertragung von Aufgaben der Vollziehung von Verwaltungsstrafbestimmungen an die BWA in §28 Abs1 leg. cit. der Boden entzogen.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Bestimmungen, die sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG gründet, schien dem Verfassungsgerichtshof notwendig zu sein, um dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, die aufgehobenen Bestimmungen in verfassungskonformer Weise zu ersetzen und von der Aufhebung nicht betroffene Bestimmungen anzupassen, sofern er dies für rechtspolitisch sinnvoll ansehen sollte. Die gewählte Frist soll einen nahtlosen Übergang der BWA in die Finanzmarktaufsicht ermöglichen, die nach ArtIII des Finanzmarktaufsichtsgesetzes, BGBl. I 97/2001, die Aufgaben der BWA übernehmen soll und die während des zur Verfügung stehenden Zeitraumes den verfassungsrechtlichen Erfordernissen angepaßt werden kann.

Anlaßfall: E v 28.02.02, B1695/99: Aufhebung eines Bescheides der Bundes-Wertpapieraufsicht wegen Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wegen Bescheiderlassung durch eine qualitativ andersartige, daher nicht mehr zuständige Behörde; Quasi-Anlaßfälle: E v 13.03.02, B49/01 ua - Aufhebung der angefochtenen Bescheide mit derselben Begründung.

Entscheidungstexte

  • G 269/01 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 12.12.2001 G 269/01 ua

Schlagworte

Bankwesen, Wertpapierrecht, Hoheitsverwaltung, Verwaltungsorganisation, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, Weisung, Ausgliederung, Verwaltungsstrafrecht, VfGH / Antrag, Eventualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G269.2001

Dokumentnummer

JFR_09988788_01G00269_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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