RS Vfgh 2003/2/27 G37/02 ua, V42/02 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 27.02.2003
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Index

91 Post-und Fernmeldewesen
91/01 Fernmeldewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGG Art5
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
StPO §149a ff
TelekommunikationsG §89
ÜberwachungsV, BGBl II 418/2001, betr die Überwachung des Fernmeldeverkehrs

Leitsatz

Zulässigkeit der Individualanträge von Mobilfunk- und Festnetzbetreibern auf Aufhebung der im Telekommunikationsgesetz normierten Verpflichtung zur kostenlosen Bereitstellung von Einrichtungen zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach den Bestimmungen der StPO; sachliche Rechtfertigung der Inpflichtnahme privater Betreiber von Telekommunikationsdiensten für die Überwachungsverpflichtung; jedoch Verstoß der Kostentragungsregelung gegen den Gleichheitssatz mangels Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch den Gesetzgeber

Rechtssatz

Zulässigkeit der Individualanträge auf teilweise Aufhebung des §89 TelekommunikationsG und der ÜberwachungsV, BGBl II 418/2001.

Die antragstellenden Gesellschaften sind "Betreiber" von Mobilfunk- oder Festnetzen iSd §89 Abs1 TelekommunikationsG und §2 Z1 ÜberwachungsV. Sie sind sowohl kraft §89 Abs1 TelekommunikationsG als auch wegen dessen näherer Ausführung in der ÜberwachungsV kraft dieser unmittelbar verpflichtet, alle Einrichtungen zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach den Bestimmungen der StPO kostenlos bereitzustellen. Sowohl durch die im ersten Satz des §89 Abs1 TelekommunikationsG sowie in der ÜberwachungsV insgesamt normierte Bereitstellungsverpflichtung als auch durch die ausdrückliche Anordnung fehlenden Kostenersatzes für diese Verpflichtung in §89 Abs1 zweiter (= letzter) Satz TelekommunikationsG wird nachteilig in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaften unmittelbar eingegriffen. Da abgesehen von der unzumutbaren Erwirkung eines Verwaltungsstrafverfahrens kein Weg zur Abwehr des nach Meinung der antragstellenden Gesellschaften rechtswidrigen Eingriffes in ihre Rechtssphäre zur Verfügung steht, sind die Anträge zulässig, soweit sie die Aufhebung des §89 Abs1 erster und zweiter Satz TelekommunikationsG sowie der ÜberwachungsV begehren.

Da die (Mit-)Anfechtung der einer Verordnung zugrunde liegenden gesetzlichen Ermächtigung zulässig ist, wenn die - unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifende - Verordnung bereits erlassen wurde (vgl VfSlg 15316/1998), erweisen sich die Anträge auch in Ansehung des §89 Abs3 TelekommunikationsG (und sohin insgesamt) als zulässig.

Die Aufklärung strafbarer Handlungen durch Überwachung des Fernmeldeverkehrs gemäß §149a ff StPO bildet eine im öffentlichen Interesse gelegene staatliche Aufgabe, die schon aus Gründen ihrer Effektivität eine qualifizierte Mitwirkung der privaten Betreiber von Telekommunikationsdiensten erfordert. Eine entsprechende gesetzliche Mitwirkungspflicht, wie sie §89 Abs1 erster Satz und §89 Abs2 TelekommunikationsG sowie die zur Konkretisierung ergangene ÜberwachungsV anordnen, bildet eine angemessene, sachlich gerechtfertigte Inpflichtnahme privater Telekommunikationsbetreiber. Angesichts der Privatisierung der Telekommunikationsdienste ist es im öffentlichen Interesse geboten, diese privaten Betreiber mit der Bereitstellung der entsprechenden Einrichtungen (, die zur Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach den Bestimmungen der StPO erforderlich sind,) zu betrauen, weil die Betreiber diejenigen sind, welche die Überwachung auf Grund ihrer primären Betroffenheit und technischen Sachnähe am ehesten durchführen können.

Da die Indienstnahme privater Betreiber für die Überwachung des Fernmeldeverkehrs sohin sachlich gerechtfertigt, aber auch in Anbetracht der damit erfüllten öffentlichen Aufgabe angemessen und erforderlich im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist, verstoßen §89 Abs1 erster Satz TelekommunikationsG und die ÜberwachungsV weder gegen den Gleichheitssatz noch gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte der Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Unversehrtheit des Eigentums.

§89 Abs3 TelekommunikationsG ermächtigt den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie zur Erlassung der Verordnung. Dieser ist dabei lediglich gehalten, das Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz und dem Bundesminister für Inneres herzustellen, was nach allgemeiner Auffassung als "Zustimmung", sohin als bei der Willensbildung einzuhaltende Vorgangsweise, zu verstehen ist.

Die Kundmachung der angefochtenen Verordnung durch die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie im Bundesgesetzblatt II unter Hinweis auf die einvernehmliche Willensbildung entspricht daher dem Gesetz (§2 Abs2 Z2 BGBlG).

Aufhebung des §89 Abs1 letzter Satz TelekommunikationsG, BGBl I 100/1997, wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz mangels Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch den Gesetzgeber.

Die einzelnen Unternehmen werden in erheblichem Umfang durch die Bereitstellungsverpflichtung gemäß §89 Abs1 TelekommunikationsG finanziell belastet. Diese Gesetzesvorschrift grenzt den Umfang der Mitwirkungspflichten nicht ein, sondern überlässt die Bestimmung des Umfanges der Leistungspflicht, nämlich die Festlegung der Gestaltung der kontinuierlich an den jeweiligen Stand der Technik anzupassenden technischen Einrichtungen dem Verordnungsgeber. Dem Gesetz fehlt auch jede Bezugnahme auf andere Kriterien, die die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes insgesamt sowie in Bezug auf einzelne Unternehmen erkennen ließe. Mag auch die Inpflichtnahme privater Betreiber von Telekommunikationsdiensten für die Überwachung des Fernmeldeverkehrs und die Bereitstellung entsprechender Einrichtungen eine sachlich gerechtfertigte und daher verfassungsmäßige Mitwirkungspflicht Privater an einer staatlichen Aufgabe darstellen, so ist dennoch auch bei der Regelung der Kostentragung der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Da das Gesetz eine solche Beachtung nicht erkennen, sondern vielmehr eine Belastungsgrenze vermissen lässt, ist §89 Abs1 letzter Satz TelekommunikationsG verfassungswidrig.

Es fehlt auch an amtlichen Erhebungen der für die Bereithaltung der Überwachungseinrichtungen den privaten Betreibern erwachsenden Kosten. Budgetäre Gründe allein bilden aber keine ausreichende sachliche Rechtfertigung für die hier vom Gesetzgeber getroffene Kostentragungsregelung.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Erwerbsausübungsfreiheit, Fernmelderecht, Strafprozeßrecht, Verordnungserlassung, Verordnung Kundmachung, VfGH / Individualantrag, Einvernehmen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G37.2002

Dokumentnummer

JFR_09969773_02G00037_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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