RS Vfgh 2003/3/13 G334/02

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Veröffentlicht am 13.03.2003
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Index

32 Steuerrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
EStG 1988 §12 Abs3

Leitsatz

Aufhebung einer Änderung des EStG 1988 betreffend den rückwirkenden Ausschluß der Übertragung stiller Reserven auf die Anschaffungskosten von Finanzanlagen wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz infolge Verletzung des Vertrauensschutzes

Rechtssatz

Die Wortfolge "und von Finanzanlagen" in §12 Abs3 EStG 1988 idF BGBl 797/1996 wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Nach der bis 30.12.96 geltenden Fassung des §12 Abs3 EStG 1988 konnten die Steuerpflichtigen davon ausgehen, durch Anschaffung bestimmter Finanzanlagen stille Reserven, die bei Veräußerung von (unkörperlichen) Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens aufgedeckt worden waren, vorläufig der Versteuerung entziehen zu können und damit einen in der Regel langfristigen Steuerstundungseffekt zu erreichen. Wenn der Gesetzgeber - ohne eine besondere Regelung für das Inkrafttreten zu treffen - mit einer am 30.12.96 im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Norm diese steuerneutrale Übertragung von stillen Reserven einschränkt, indem er nun generell die Übertragung auf Finanzanlagen ausschließt, so gilt diese Einschränkung nach den Grundsätzen des Steuerschuldrechts bereits für die Veranlagung 1996. Damit greift der Gesetzgeber aber insoweit rückwirkend in bereits verwirklichte Tatbestände ein, als die steuerlichen Konsequenzen von bereits getätigten Veräußerungs- und Anschaffungsvorgängen nachträglich zum Nachteil des Steuerpflichtigen verändert werden, wird ihm doch dadurch verwehrt, die aufgedeckten stillen Reserven durch die Übertragung auf bereits angeschaffte Wirtschaftsgüter vorderhand der Besteuerung zu entziehen.

Angesichts der Bedeutung dieser Steuerstundung ist jedenfalls nicht auszuschließen, daß bei Geltung (und Kenntnis) dieser Einschränkung die Steuerpflichtigen entweder die Veräußerung unterlassen oder an Stelle der Anschaffung von Finanzanlagen andere, zulässige Wege der Neutralisierung eingeschlagen hätten. Bei dieser Situation muß aber die fragliche legistische Maßnahme als Erschütterung eines berechtigten Vertrauens der Steuerpflichtigen in die geltende Rechtslage angesehen werden.

Ausdehnung der Anlaßfallwirkung.

Durch den Ausspruch, daß die verfassungswidrige Bestimmung für vor dem 31.12.96 getätigte Anschaffungen nicht mehr anzuwenden ist, wird erreicht, daß in den noch nicht rechtskräftig veranlagten Fällen Reservenübertragungen auf vom AbgabenänderungsG 1996 zusätzlich betroffene Finanzanlagen zulässig sind, wenn die Anschaffung dieser Anlagegüter vor dem 31.12.96 stattfand, unabhängig davon, ob die steuerlichen Auswirkungen noch 1996 oder - wegen eines abweichenden Wirtschaftsjahres - erst 1997 eintreten.

(Anlaßfall: B1629/01, E v 13.03.03, Aufhebung des angefochtenen Bescheides; Quasi-Anlaßfall: B208/03, E v 10.06.03).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Einkommensteuer, Gewinn, Rücklagen, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Rückwirkung, Vertrauensschutz, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Aufhebung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G334.2002

Dokumentnummer

JFR_09969687_02G00334_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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