TE Vfgh Erkenntnis 2008/9/26 WI-3/07

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Veröffentlicht am 26.09.2008
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art141 Abs1 litb
Oö GemeindeO 1990 §25
Oö KommunalwahlO §2
VfGG §67 Abs2
VfGG §70 Abs1

Leitsatz

Aufhebung der Wahl zum Bürgermeister der Gemeinde Freinberg wegenNichtberücksichtigung eines Wahlvorschlags; Verstoß der gesondertenAbstimmung über jeden eingebrachten Wahlvorschlag gegen Bestimmungender Oberösterreichischen Gemeindeordnung; Unzulässigkeit derWahlanfechtung einer Gemeinderatsfraktion sowie eines Wahlwerbers;keine rechtswidrige Aberkennung der Wählbarkeit eines Wahlwerbersdurch Unterlassung der Abstimmung über diesen Wahlvorschlag

Spruch

I.       Die von der SPÖ Gemeinderatsfraktion Freinberg-Haibach und

von Ing. Günther Winkler als Wahlwerber eingebrachte Wahlanfechtung wird zurückgewiesen.

II.      Der von den Mitgliedern des Gemeinderates der Gemeinde

Freinberg Alois Ertl, Ewald Wengler, Ing. Günther Winkler und Josef Huber eingebrachten Wahlanfechtung wird stattgegeben.

Die Wahl zum Bürgermeister der Gemeinde Freinberg am 18. Oktober 2007 wird vom Beginn der Wahlhandlung an aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Am 18. Oktober 2007 fand die Wahl des Bürgermeisters

der Gemeinde Freinberg, pol. Bezirk Schärding in Oberösterreich, statt.

1.2. Mit an das Gemeindeamt Freinberg gerichtetem Schreiben vom 17. September 2007 hatte der - bei der Bürgermeisterwahl vom 28. September 2003 gewählte - Bürgermeister seinen Verzicht auf das Amt des Bürgermeisters mit Wirksamkeit vom 17. Oktober 2007 mitgeteilt und mit schriftlicher Verständigung aller Mitglieder bzw. Ersatzmitglieder des Gemeinderates vom 1. Oktober 2007 eine Sitzung des Gemeinderates u.a. zur Neuwahl des Bürgermeisters für 18. Oktober 2007 einberufen. Die ÖVP-Fraktion reichte am 2. Oktober 2007 einen auf Anton Pretzl, die SPÖ-Fraktion fünf Minuten vor Beginn der genannten Gemeinderatssitzung einen auf Ing. Günther Winkler lautenden Wahlvorschlag beim Gemeindeamt Freinberg ein.

1.3. Bei der Sitzung des Gemeinderates am 18. Oktober 2007 waren 18 Mitglieder und ein Ersatzmitglied anwesend. In der über sie geführten Niederschrift ist zu Tagesordnungspunkt 2 "Wahl des Bürgermeisters gem. §25 Abs1 GemO. 1990 aufgrund eines Wahlvorschlages" u.a. wörtlich das Folgende festgehalten:

"Vbgm. Franz Schachner verliest die beiden Wahlvorschläge. Er teilt mit, dass die ÖVP-Fraktion Herrn GR Anton Pretzl als Bürgermeister vorschlägt und die SPÖ-Fraktion Herrn GR Ing. Günther Winkler als Bürgermeister vorschlägt. Vbgm. Franz Schachner teilt mit, dass zuerst über den ÖVP-Antrag abgestimmt wird, da dieser als erstes vorgelegt wurde.

...

GV Alois Ertl regt an, dass seines Wissens nach am Stimmzettel beide Namen angeführt sein müssen, um den jeweiligen Namen anzukreuzen[,] bzw. dass die Namen hingeschrieben werden können. ...

AL Franz Stadler teilt mit, dass diese Abstimmung nicht der Gemeindewahlordnung entsprechen würde. Laut Gemeindewahlordnung ist über jeden Wahlvorschlag einzeln mit ja oder nein abzustimmen. AL Franz Stadler teilt die vorgefertigten Stimmzettel mit dem Namen Anton Pretzl zur geheimen Abstimmung an alle Gemeinderäte aus.

Bürgermeisterwahl 18.10.2007

Anton Pretzl

         JA              O

         NEIN            O

Die Fraktionsvorsitzenden nehmen die Auszählung vor.

Vbgm. Franz Schachner gibt das Ergebnis der geheimen Abstimmung über den ÖVP-Vorschlag bekannt.

         Abstimmungsergebnis:      GR Anton Pretzl:

                                 ja:             10 Stimmen

                                 nein:            8 Stimmen

                                 ungültig:        1 Stimme

GR Anton Pretzl wird mit 10 zu 9 Stimmen als Bürgermeister gewählt."

2.1. Mit der vorliegenden, auf Art141 B-VG gestützten Wahlanfechtung beantragen die Gemeinderäte des Gemeinderates Freinberg Alois Ertl, Ewald Wengler, Ing. Günther Winkler und Josef Huber - der an dritter Stelle Genannte auch als Wahlwerber - sowie die SPÖ Gemeinderatsfraktion Freinberg-Haibach, der Verfassungsgerichtshof wolle

"die Wahl des Anton Pretzl zum Bürgermeister der Gemeinde Freinberg für nichtig erklären und als rechtswidrig aufheben".

Dazu wird im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

"Die Anfechtungswerber fechten diese Wahl gemäß Art141 B-VG ab dem Beginn der Wahlhandlung als rechtswidrig an.

...

... Anfechtungslegitimation

...

Ad Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertanfechtungswerber [Alois Ertl, Ewald Wengler, Ing. Günther Winkler und Josef Huber]:

...

Der Gemeinderat der Gemeinde Freinberg besteht aus insgesamt 19 Mitgliedern (davon gehören 10 der ÖVP, 7 der SPÖ und 2 der FPÖ an), wobei dem Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertanfechtungswerber je die Funktion eines Gemeinderates zukommt[,] und ist somit den prozentmäßigen Anfechtungsvoraussetzungen des §67 Abs2 VfGG jedenfalls entsprochen und sind diese daher zur Anfechtung der Wahl vom 18.10.2007 legitimiert.

Ad Drittanfechtungswerber [Ing. Günther Winkler]:

Dieser wurde von der Fünftanfechtungswerberin rechtzeitig und rechtsgültig als Wahlvorschlag benannt und kommt diesem als Wahlwerber gemäß §67 Abs2 VfGG eine eigenständige Anfechtungslegitimation zu, da ihm seine Wählbarkeit im Wahlverfahren rechtswidrig aberkannt wurde. Begründet wird dies damit, dass seine

Kandidatur trotz rech[t]zeitigem und gültigem Wahlvorschlag... durch

die Fünftanfechtungswerberin bei der Bürgermeisterwahl gemäß §25 OÖ Gemeindeordnung vom 18.10.2007 nicht berücksichtigt wurde und dieser nicht einmal auf den verwendeten Stimmzetteln zur Wahl stand. Es wurde lediglich über den Kandidaten der ÖVP-Fraktion, Anton Pretzl, abgestimmt und somit die Wählbarkeit des Drittanfechtungswerbers durch die Nichtanführung seines Namens am Stimmzettel rechtswidrig aberkannt.

Ad Fünftanfechtungswerberin [SPÖ Gemeinderatsfraktion Freinberg-Haibach]:

Gemäß §25 Abs2 OÖ Gemeindeordnung können Wahlvorschläge für eine Bürgermeisterwahl gemäß §25 Abs1 OÖ Gemeindeordnung nur von jenen Fraktionen eingereicht werden, denen nach den Bestimmungen des §26 Abs2 leg. cit. Anspruch auf Vertretung im Gemeindevorstand zukommt. Die Wahlvorschläge sind vor Beginn der Wahlhandlung dem Vorsitzenden schriftlich zu überreichen. Gemäß §67 Abs2 VfGG sind zur Anfechtung einer Bürgermeisterwahl Wählergruppen (Parteien) berechtigt, die bei einer durch die Wahlordnung vorgeschriebenen Wahlbehörde Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl rechtzeitig vorgelegt haben, und zwar durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter, welcher für die Fünftanfechtungswerberin Herr Alois Ertl ist.

Im konkreten Fall hat die Fünftanfechtungswerberin einen Anspruch auf Vertretung im Gemeindevorstand gemäß §26 Abs2 OÖ Gemeindeordnung und hat diese rechtzeitig und formgültig einen Wahlvorschlag - Ing. Günther Winkler - dem Vorsitzenden überreicht, sodass diese als Wählergruppe iSd §67 Abs2 VfGG anfechtungslegitimiert ist (vgl. VfSlg. 15.285 u.a.).

Die Wahlanfechtung ist auch durch einen entsprechenden Beschluss der Fünftanfe[cht]ungswerberin gedeckt.

... Anfechtungsgründe

1. Gem. §25 Abs1 Oö. Gemeindeordnung ist der Bürgermeister in den im §2 Abs3 Oö. Kommunalwahlordnung vorgesehenen Fällen von den Mitgliedern des Gemeinderates aufgrund von Wahlvorschlägen zu wählen.

Da im konkreten Fall ein Fall des §2 Abs3 Zif. 2 Oö. Kommunalwahlordnung vorlag, wäre der Bürgermeister gem. §25 Oö. Gemeindeordnung in der Form zu wählen gewesen, dass alle Wahlvorschläge auf einem einzigen gemeinsamen Stimmzettel aufgelistet werden und nicht lediglich über den zeitlich zuerst eingelangten Wahlvorschlag abgestimmt wird, sofern weitere Wahlvorschläge bestehen.

Dies ergibt sich aus §25 Abs1 Oö. Gemeindeordnung ('aufgrund von Wahlvorschlägen') in Verbindung mit §25 Abs3 Oö. Gemeindeordnung ('absolute Stimmenmehrheit').

Die Oö. Gemeindeordnung sieht daher eine Abstimmung zwischen allen Wahlvorschlägen in einem einzigen Wahlvorgang vor und nicht eine Abstimmung über einzelne Wahlvorschläge in der Reihenfolge ihres zeitlichen Einlangens.

Dadurch, dass die gegenständlich angefochtene Wahl entgegen der gesetzlichen Bestimmung des §25 Oö. Gemeindeordnung nicht als 'Wahl', sondern als bloße 'Abstimmung' über den zeitlich zuerst eingelangten Wahlvorschlag der ÖVP-Fraktion durchgeführt wurde, wurde auch die Freiheit der Willensbildung und die unabhängige Entscheidung im Sinne der Wahlrechtsgrundsätze für die Mitglieder des Gemeinderates verletzt.

Es besteht daher sowohl rechtlich als auch faktisch ein sehr wesentlicher Unterschied zwischen der Abstimmung über einen einzelnen Kandidat und der Wahl zwischen mehreren Kandidaten.

2. Im Ergebnis kommt diese Vorgehensweise auch der Streichung eines Kandidaten aus dem Wahlvorschlag (und damit der Aberkennung seiner Wählbarkeit oder der Nicht-Zulassung eines Kandidaten zur Wahl[)] gleich, was der VfGH in ständiger

Rechtsprechung im Erkenntnis VfSlg. 17075 ... als rechtswidrig und

ergebnisrelevant beurteilt hat.

3. In diesem Sinne ist die Verletzung des §25 Oö. Gemeindeordnung und der Wahlrechtsgrundsätze auch entscheidungsrelevant für den Ausgang der Wahl, da bei einem rechtmäßig vorgenommene[n] Wahlvorgang ein anderes Ergebnis zu erwarten gewesen oder zumindest möglich gewesen wäre. Dies ist schon auf Grund des knappen Ergebnisses (10 zu 9 Stimmen für den Kandidaten der ÖVP) ersichtlich, zumal lediglich eine einzige (allenfalls ungültig abgegebene) Stimme das Ergebnis grundlegend verändert hätte, was bei Nennung eines alternativen Kandidaten zum ÖVP-nominierten Kandidaten auf dem Wahlzettel durchaus realistisch ist.

Eine Auswahl zwischen mehreren Kandidaten ermöglicht den abstimmungsberechtigten Personen andere Möglichkeiten als lediglich die Entscheidung, eine einzige zur Wahl stehende Person zu 'wählen' oder abzulehnen. Aus dem Wesen der Wahl folgt, dass bei Vorliegen von zwei oder mehreren Wahlvorschlägen für einen Wahlgang über diese insgesamt in einem Wahlakt zu votieren ist (und nicht etwa mit Abstimmung durch 'Ja' oder 'Nein' über jeweils einen einzelnen Wahlvorschlag) (vgl. VfGH Slg 10.801/1986).

Auch, wenn für eine Wahl daher nur ein einziger gültiger Wahlvorschlag eingebracht wurde, so ist auch über diesen einzelnen Wahlvorschlag nicht mit 'Ja' oder 'Nein' abzustimmen, sondern in einer Form, die - etwa durch Ankreuzen dieses Wahlvorschlages auf entsprechend vorbereiteten Stimmzetteln - dem Wesen des Wahlentscheids entspricht (vgl. Putschögl/Neuhofer, OÖ Gemeindeordnung, 3. Auflage, RZ 9 zu §25).

4. Zusammenfassend ist daher zu sagen, dass die konkrete Vorgehensweise des Wahlleiters anlässlich der Bürgermeisterwahl vom 18.10.2007 und damit diese Wahl jedenfalls rechtswidrig war.

...

         ... [D]ie Bürgermeisterwahl der Gemeinde Freinberg vom

18.10.2007 [wurde] in Verletzung des §25 Oö. Gemeindeordnung nicht

als Wahl zwischen allen Wahlwerbern, sondern lediglich als Abstimmung

über den zeitlich zuerst eingebrachten Wahlvorschlag der ÖVP-Fraktion

... durchgeführt ... und dem Drittanfechtungswerber damit die

Wählbarkeit aberkannt ... und ... diese Rechtswidrigkeit [konnte

sich] auf das Wahlergebnis auswirken ..."

2.2. Die Gemeindewahlbehörde der Gemeinde Freinberg legte die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie u.a. Folgendes ausführt:

"Zur Vorbereitung der Bürgermeisterwahl wurde beim Amt der o. ö. Landesregierung telefonisch angefragt, welche gesetzlichen Bestimmungen zu beachten sind. Laut Auskunft der Gemeindeabteilung ist §25 der GemO. 1990 zu beachten. Auf die Frage wie ist abzustimmen, wenn zwei Wahlvorschläge beim Gemeindeamt einlangen[,] wurde mitgeteilt, dass über jeden Wahlvorschlag einzeln abzustimmen ist. Ebenso wurde zur Vorbereitung der Bürgermeisterwahl die Gemeindeordnung für die kommunale Praxis[,] herausgegeben von HR. Dr. Roman Novak[,] herangezogen. Im §25[,] in dem die Bürgermeisterwahl geregelt ist, konnte ebenfalls kein Hinweis gefunden werden, dass die beiden Kandidaten auf eine[m] Wahlzettel

anzuführen sind. ... Auch in [einem vom oberösterreichischen

Gemeindebund an die oberösterreichischen Gemeinden verschickten] e-mail, in dem die Bürgermeisterwahl erläutert wird, konnte kein Hinweis gefunden werden, der auf die Problematik der Wahl (Wahlzettel mit zwei Kandidaten) hinweist.

...

Amtsleiter Stadler hat [in der Gemeinderatssitzung am 18. Oktober 2007] mitgeteilt, das[s] laut Wahlordnung über jeden Wahlvorschlag mit ja oder nein abzustimmen ist.

Daher wurde zuerst über den ÖVP-Wahlvorschlag geheim mittels

Stimmzettel gemäß §25 Oö. Gem. 1990 abgestimmt ... . Da bei der

ersten Wahl für den Wahlvorschlag der ÖVP die absolute Mehrheit erreicht wurde und bereits ein Bürgermeister feststand, wurde über den SPÖ-Wahlvorschlag nicht mehr abgestimmt. ...

...

Sollte eine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens aufgrund des Formfehlers bei der Wahlhandlung festgestellt werden, so vertritt die Gemeindewahlbehörde die Ansicht, dass bei einer Wahlwiederholung sich kein anderes Wahlergebnis ergeben wird."

II. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:

1.1. Gemäß Art141 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof u.a. über die Anfechtung von Wahlen in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde; der Bürgermeister einer Gemeinde zählt zu diesen Organen - Art117 B-VG (vgl. zB VfSlg. 10.801/1986, 10.908/1986).

1.2. Nach §67 Abs2 Satz 1 VfGG bedarf die Anfechtung der Wahl zu einem mit der Vollziehung betrauten Organ der Gemeinde (§67 Abs1 VfGG) des Antrages von einem Zehntel der Mitglieder der Gemeindevertretung, mindestens aber von zwei Mitgliedern. Eine Wahlanfechtung kann gemäß §67 Abs2 letzter Satz VfGG auch der Wahlwerber einbringen, der behauptet, dass ihm die Wählbarkeit im Wahlverfahren rechtswidrig aberkannt wurde.

1.2.1. Soweit die vorliegende Wahlanfechtung von der SPÖ Gemeinderatsfraktion Freinberg-Haibach eingebracht wurde, ist sie unzulässig, weil einer Gemeinderatsfraktion gemäß §67 Abs2 VfGG keine Legitimation zur Anfechtung einer Wahl des Bürgermeisters durch den Gemeinderat zukommt (vgl. auch VfSlg. 5471/1967). Eine andere Auffassung lässt sich auch nicht aus dem in der Anfechtungsschrift zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 15.285/1998 ableiten, weil diesem eine Direktwahl eines Bürgermeisters zu Grunde lag und der Verfassungsgerichtshof Wählergruppen, die bei der Wahlbehörde Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl vorgelegt haben, nur in diesem Fall als anfechtungsberechtigt erachtet (vgl. auch VfSlg. 13.504/1993).

1.2.2. Der Drittanfechtungswerber stützt seine Wahlanfechtung auf §67 Abs2 letzter Satz VfGG, da ihm seine Wählbarkeit im Wahlverfahren rechtswidrig aberkannt worden sei. Der Verfassungsgerichtshof hat in VfSlg. 6739/1972 ausgesprochen, dass unter Aberkennung der Wählbarkeit nur solche Maßnahmen zu verstehen sind, durch die der Wahlwerber davon ausgeschlossen wird, gewählt zu werden; andere Maßnahmen im Verlaufe des Wahlverfahrens, mögen sie auch auf die Wahl und die durch diese bedingte Position des Wahlwerbers von Einfluss sein, haben keinen Einfluss auf die Wählbarkeit. Unter Aberkennung der Wählbarkeit ist demgemäß insbesondere auch die Nichtzulassung zur Wahl aus in der Person des Wahlwerbers gelegenen Gründen zu verstehen, nicht hingegen die Zurückweisung eines Wahlvorschlages aus anderen Gründen.

Es ist den vorgelegten Wahlakten kein Hinweis zu entnehmen, dass dem Wahlwerber die Wählbarkeit aberkannt wurde; vielmehr geht aus den Unterlagen eindeutig hervor, dass der auf den Drittanfechtungswerber lautende Wahlvorschlag als gültig eingebracht angesehen wurde. Die Unterlassung der Abstimmung über diesen Wahlvorschlag betrifft jedoch das Wahlverfahren selbst. Da somit eine Aberkennung der Wählbarkeit nicht stattgefunden hat, war die Anfechtung des Drittanfechtungswerbers zurückzuweisen.

1.2.3. Die Wahlanfechtung durch die im eigenen Namen auftretenden Mitglieder des Gemeinderates Freinberg - dieser besteht aus 19 Mitgliedern - Alois Ertl, Ewald Wengler, Ing. Günther Winkler und Josef Huber entspricht den Bestimmungen des §67 Abs2 Satz 1 VfGG. Die Prozessvoraussetzung der Legitimation zur Anfechtung ist daher insoweit gegeben.

1.3. Gemäß §68 Abs1 VfGG muss eine Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem entsprechenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht werden.

Die - auf die vorliegende Wahl anzuwendende (s. dazu unten Pkt. 2.) - Oö. Gemeindeordnung 1990 - Oö. GemO 1990, LGBl. 91, sieht hinsichtlich der Wahl des Bürgermeisters kein administratives Wahlprüfungsverfahren vor, sodass die unmittelbare Anfechtung der Wahl beim Verfassungsgerichtshof offen steht.

Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn der vierwöchigen Anfechtungsfrist ist in diesem Fall die Beendigung des Wahlverfahrens (vgl. zB VfSlg. 17.146/2004), das ist hier die Verkündigung des Wahlergebnisses durch den Vizebürgermeister in der Gemeinderatssitzung am 18. Oktober 2007.

Die am 14. November 2007 zur Post gegebene Wahlanfechtungsschrift wurde daher rechtzeitig eingebracht.

1.4. Da hinsichtlich der Wahlanfechtung der Gemeinderatsmitglieder Alois Ertl, Ewald Wengler, Ing. Günther Winkler und Josef Huber auch die übrigen Prozessvoraussetzungen zutreffen, ist deren Wahlanfechtung zulässig.

2. Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

§2 Oö. Kommunalwahlordnung, LGBl. 81/1996, lautet - auszugsweise - wie folgt:

"§2

Wahl des Bürgermeisters

(1) (Verfassungsbestimmung) Der Bürgermeister wird auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Mehrheitswahlrechts von der Gesamtheit der Wahlberechtigten der Gemeinde gewählt, sofern im Abs3 nichts anderes vorgesehen ist. Das Nähere ist durch Landesgesetz zu regeln.

(2) ...

(3) (Verfassungsbestimmung) Der Bürgermeister wird vom Gemeinderat nach den Bestimmungen der O.ö. Gemeindeordnung 1990 bzw. in Städten mit eigenem Statut nach den Bestimmungen des jeweiligen Statuts gewählt, wenn

...

2. ein Bürgermeister nach Ablauf des vierten Jahres nach dem Tag der allgemeinen Wahl des Gemeinderates und des Bürgermeisters aus dem Amt scheidet,

...

(4) ..."

Der in §2 Abs3 Oö. Kommunalwahlordnung verwiesene §25 Oö. GemO 1990 idF LGBl. 152/2001 hat folgenden Wortlaut:

"§25

Wahl des Bürgermeisters durch den Gemeinderat

(1) Der Bürgermeister ist in den im §2 Abs3 der Oö. Kommunalwahlordnung vorgesehenen Fällen von den Mitgliedern des Gemeinderates auf Grund von Wahlvorschlägen zu wählen.

(2) Wahlvorschläge können nur von jenen Fraktionen eingereicht werden, denen nach den Bestimmungen des §26 Abs2 Anspruch auf Vertretung im Gemeindevorstand zukommt. Die Wahlvorschläge sind vor Beginn der Wahlhandlung dem Vorsitzenden schriftlich zu überreichen.

(3) Kommt bei der ersten Wahl eine absolute Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder des Gemeinderates nicht zustande, so ist eine zweite Wahl vorzunehmen. Ergibt sich auch bei dieser keine absolute Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder des Gemeinderates, so ist eine engere Wahl oder - unter den Voraussetzungen gemäß Abs6 - eine dritte Wahl durchzuführen.

(4) Bei der engeren Wahl haben sich die Wählenden auf jene zwei Mitglieder des Gemeinderates zu beschränken, welche bei der zweiten Wahl die meisten gültigen Stimmen erhalten haben. Bei Stimmengleichheit ist derjenige in die engere Wahl einzubeziehen, der auf dem Wahlvorschlag jener Fraktion aufscheint, die über die größere Anzahl von Mandaten im Gemeinderat verfügt. Gibt auch dies nicht den Ausschlag, so entscheidet die Höhe der Parteisummen. Bei gleichen Parteisummen entscheidet das Los, das von dem an der Losentscheidung nicht beteiligten, an Jahren jüngsten anwesenden Mitglied des Gemeinderates zu ziehen ist. Unter Parteisummen sind die Summen der gültigen Stimmen zu verstehen, die bei der Wahl des Gemeinderates auf die einzelnen wahlwerbenden Parteien entfallen sind; die einzelnen Parteisummen sind dabei jener Fraktion zuzuordnen, die aus der jeweiligen wahlwerbenden Partei gemäß §18a Abs1 hervorgeht.

(5) In der engeren Wahl entscheidet die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Jede Stimme, die bei der engeren Wahl nicht auf die nach Abs4 bestimmten Personen entfällt, ist ungültig.

(6) Wurde bei der zweiten Wahl nur ein Wahlvorschlag erstattet und hat sich für diesen keine absolute Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder des Gemeinderates ergeben, so ist eine dritte Wahl durchzuführen. Hiebei sind Wahlvorschläge im Sinne des Abs2 einzubringen. In der dritten Wahl entscheidet die relative Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen.

(7) Ergibt sich bei der engeren oder bei der dritten Wahl Stimmengleichheit, so gilt derjenige als gewählt, der auf dem Wahlvorschlag jener Fraktion aufscheint, die über die größere Anzahl von Mandaten im Gemeinderat verfügt. Gibt auch dies nicht den Ausschlag, so entscheidet die Höhe der Parteisummen (Abs4 letzter Satz). Bei gleichen Parteisummen entscheidet das Los, das von dem an der Losentscheidung nicht beteiligten, an Jahren jüngsten anwesenden Mitglied des Gemeinderates zu ziehen ist.

(8) Werden keine oder nur ungültige Wahlvorschläge eingebracht, so können für jedes Mitglied des Gemeinderates, das einer Fraktion angehört, der ein Anspruch auf Vertretung im Gemeindevorstand zukommt, Stimmen abgegeben werden. Für die Wahl finden die Bestimmungen der Abs3 bis 5 sowie 7 sinngemäß Anwendung."

3.1. Auf Grund der Aktenlage ist davon auszugehen, dass bei der Wahl des Bürgermeisters der Gemeinde Freinberg in der Gemeinderatssitzung am 18. Oktober 2007 - durch Verwenden von mit dem Namen "Anton Pretzl" und den Optionen "Ja" und "Nein" versehenen Stimmzetteln - ausschließlich über den Wahlvorschlag der ÖVP-Fraktion abgestimmt wurde.

3.2. Diese Vorgehensweise steht aber im Widerspruch zu §25 Oö. GemO 1990. Gemäß dessen Abs1 ist der Bürgermeister, wenn er vom Gemeinderat gewählt wird, auf Grund von Wahlvorschlägen zu wählen. Aus dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass bei der Wahl des Bürgermeisters alle gültig eingebrachten Wahlvorschläge in gleicher Weise zu behandeln sind; die Nichtberücksichtigung eines Wahlvorschlages ist daher gesetzwidrig. §25 Oö. GemO 1990 geht auch davon aus, dass bei Vorliegen von zwei oder mehreren Wahlvorschlägen für einen Wahlgang über diese insgesamt in einem Wahlakt zu votieren ist und nicht etwa in getrennten Abstimmungen über die einzelnen Wahlvorschläge (vgl. Putschögl/Neuhofer, Oö Gemeindeordnung 19903, 2003, 99).

Die gesonderte Abstimmung über jeden eingebrachten Wahlvorschlag - die Niederschrift über die Gemeinderatssitzung spricht selbst von "Abstimmung über den ÖVP-Vorschlag" - bildet keine Wahl zwischen den Wahlvorschlägen im Sinne dieser Bestimmung und verstößt daher gegen §25 Oö. GemO 1990. Eine solche Vorgangsweise könnte auch zu Ergebnissen führen, die eine Wahl im Sinne des §25 Oö. GemO 1990 nicht mehr zuließen, weil es möglich ist, dass bei einer Abstimmung über die einzelnen Wahlvorschläge mehrere Wahlwerber eine absolute Stimmenmehrheit (§25 Abs3 Oö. GemO 1990) erreichen.

4. Der Verfassungsgerichtshof hat schon mehrfach ausgesprochen, dass die Voraussetzung des Einflusses einer (erwiesenen) Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens auf das Wahlergebnis bereits dann erfüllt ist, wenn die Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluss sein konnte (zB VfSlg. 17.075/2003 mwN). Diese Voraussetzung liegt hier vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es dem Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang nicht obliegt, - notwendiger Weise: spekulative - Erwägungen darüber anzustellen, ob es bei der Nennung auch des von der SPÖ-Fraktion vorgeschlagenen Kandidaten auf den Stimmzetteln tatsächlich zu einem anderen Wählerverhalten gekommen wäre (vgl. VfSlg. 17.075/2003).

5. Demgemäß war die angefochtene Wahl zum Bürgermeister der Gemeinde Freinberg am 18. Oktober 2007 vom Beginn der Wahlhandlung an aufzuheben.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite und §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Wahlen, Wahlvorschlag, Bürgermeister, VfGH / Wahlanfechtung,Gemeindevollziehungsorgane

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:WI3.2007

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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