TE Vfgh Beschluss 2005/10/12 G185/04

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Veröffentlicht am 12.10.2005
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Index

22 Zivilprozeß, außerstreitiges Verfahren
22/02 Zivilprozeßordnung

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
ZPO §366 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung des Antrags eines Gerichts auf Aufhebung einer Bestimmung der ZPO über den Ausschluss eines Rechtsmittels gegen den Beschluss über die Enthebung eines Sachverständigen wegen Ablehnung mangels Präjudizialität bei Entscheidung über einen Rekurs der beklagten Partei gegen die dem abgelehnten Sachverständigen zugesprochenen Gebühren

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Das Landesgericht Innsbruck als Rekursgericht stellte beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, in §366 Abs2 ZPO den Satzteil "oder ein Sachverständiger wegen Ablehnung enthoben wird" gemäß Art140 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben. Diese Bestimmung lautet in der Stammfassung, RGBl. Nr. 113/1895:

"Die Entscheidung über die Anzahl der zu bestellenden Sachverständigen, der Beschluß, durch welchen die Bestellung der Sachverständigen dem beauftragten Richter überlassen (§352) oder ein Sachverständiger wegen Ablehnung enthoben wird, die über die Beeidigung eines Sachverständigen gefassten Beschlüsse, endlich die Beschlüsse, durch welche für die Abgabe des Gutachtens gemäß §360 eine Tagsatzung anberaumt oder eine Frist bestimmt wird, können durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden."

2. Im Verfahren 2 C231/02w vor dem Bezirksgericht Silz wurde am 6. Februar 2003 Ing. F. T. zum Sachverständigen bestellt. Dieser erstattete am 7. Jänner 2004 ein schriftliches Gutachten. Mit Schriftsatz vom 5. Februar 2005 stellte die beklagte Partei den Antrag auf Enthebung des Sachverständigen wegen Befangenheit, dem das Bezirksgericht Silz mit Beschluss vom 3. Juni 2004 stattgab. Mit Beschluss vom 8. Juni 2004 bestimmte das Bezirksgericht Silz die Gebühren des Sachverständigen mit € 2.581,--. Dagegen erhob die beklagte Partei Rekurs an das Landesgericht Innsbruck und führte im Wesentlichen aus, dass das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen für das weitere Verfahren nicht verwertbar sei und ihm daher auch kein Gebührenanspruch zustehe. Aus Anlass dieses Rekursverfahrens stellte das Landesgericht Innsbruck den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag. Zur Begründung führte das antragstellende Gericht aus:

"Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Judikatur die Ansicht, dass ein bereits erstattetes Gutachten eines mit Erfolg abgelehnten Sachverständigen nicht mehr als Prozessstoff berücksichtigt werden darf (RIS Justiz, RS 0040667). Hinsichtlich des Gebührenanspruches normiert dazu korrespondierend §25 Abs3, erster Satz GebAG, dass dann, wenn die Tätigkeit eines Sachverständigen aus seinem Verschulden unvollendet geblieben ist, er keinen, sonst nur einen Anspruch auf die seiner unvollendeten Tätigkeit entsprechende Gebühr hat. Diese Bestimmung kommt auch auf jene Fälle zur Anwendung, in denen der Sachverständige erfolgreich abgelehnt wurde, da in einem solchen Fall sein Gutachten völlig unbrauchbar ist und daher eine Erfüllung des gerichtlichen Auftrages bzw. eine Beendigung der Sachverständigentätigkeit nicht vorliegt. Das Verschulden des Sachverständigen daran, dass seine Tätigkeit unvollendet geblieben ist, wird von der Judikatur darin gesehen, dass er nicht vor Gutachtenserstattung selbst seinen Ausschließungs- oder Befangenheitsgrund gemeldet hat (RIS Justiz, RW 0000067 = WR 938). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass eine Entscheidung, mit der einem Ablehnungsantrag gegen den Sachverständigen stattgegeben wurde, Präjudizialität für den Gebührenanspruch des Sachverständigen zukommt, weil damit ein bereits erstattetes Gutachten des Sachverständigen nicht mehr als Prozessstoff verwendet werden darf, sodass in einem solchen Fall die Tätigkeit des Sachverständigen immer unvollendet bleibt.

Im Ablehnungsverfahren normiert nun aber §366 Abs2 ZPO, dass der Beschluss durch welchen ein Sachverständiger wegen Ablehnung enthoben wird, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden kann. Nach Ansicht des Rekursgerichtes wird durch diese Bestimmung dem Grundsatz eines fairen Verfahrens (Art6 MRK) in Bezug auf den Sachverständigen nicht entsprochen. Zu den Garantien, die Art6 Abs1 MRK gewährleistet, zählt das rechtliche Gehör. Es ist nunmehr allgemein anerkannt, dass das rechtliche Gehör im Sinne dieser Bestimmung in einem Zivilverfahren nicht nur dann verletzt wird, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wurde. Eine solche Verletzung wird vielmehr auch dann angenommen, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zu Grunde gelegt wurden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (RIS Justiz RS 0005915; RS 0074920). Das rechtliche Gehör muss dabei allen Personen, die Parteien des Verfahren sind oder zumindest in dem entsprechenden Verfahrensabschnitt parteigleiche Stellung haben, eingeräumt werden (RIS Justiz RS 0119133).

In Bezug auf das Verfahren über die Gebührenbestimmung wurde dabei, gerade auch um einem fairen Verfahren zu entsprechen, mit der Gebührenanspruchsgesetznovelle 1994 (BGBl. 1994/623) dem Sachverständigen auch die Möglichkeit einer Rekursbeantwortung eröffnet (vgl. Krammer, zur GebAG Novelle 1994, der Sachverständige Heft 3/1995, Seite 13).

Demgegenüber besteht in einem Verfahren über die Ablehnung des Sachverständigen nicht nur keine Verpflichtung des Gerichtes, den Sachverständigen vor einer Entscheidung über die Ablehnung zu hören, sondern wird darüber hinaus durch §366 Abs2 ZPO dem Sachverständigen auch jede Möglichkeit einer Anfechtung seiner Enthebung genommen, obwohl diese Enthebung für seinen Gebührenanspruch nach §25 Abs3 erster Satz GebAG präjudiziell ist.

Hinzu kommt, dass auch in einem Folgeprozess, in dem eine Partei den Rückersatz der von ihr getragenen Sachverständigengebühren als frustrierte Aufwendungen infolge einer erfolgreichen Ablehnung des Sachverständigen von diesem begehrt, bindend von der Wertlosigkeit des erstatteten Gutachtens aufgrund der erfolgreichen Enthebung des Sachverständigen im Vorprozess auszugehen wäre (vgl. JBl 2002, 799).

Aus diesen Erwägungen erachtet das Rekursgericht, dass §366 Abs2 ZPO insoweit, als damit auch dem Sachverständigen ein Rechtsmittelbefugnis nicht zuerkannt wird, gegen die im Verfassungsrang stehende Bestimmung des Art6 Abs1 MRK verstößt und stellt daher gemäß Art89 Abs2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den aus dem Spruch ersichtlichen Antrag."

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zulässigkeit des Antrags bestreitet und die Zurückweisung, im Falle der Zulässigkeit die Abweisung des Antrages begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

2. Das antragstellende Gericht erblickt Bedenken gegen die angefochtene Bestimmung ausschließlich aus der Sicht des Sachverständigen, demgegenüber - nach den Ausführungen des Gerichtes - kein faires Verfahren gewährleistet sei, weil ihm kein Rechtsschutz gegen seine Ablehnung zustehe. Gegenstand des Rekursverfahrens ist aber kein Rekurs des Sachverständigen, sondern der beklagten Partei, die selbst den Antrag auf Enthebung des Sachverständigen gestellt hatte und sich im Rekurs nicht gegen die Ablehnung, sondern gegen die dem abgelehnten Sachverständigen zugesprochenen Gebühren wendet. Es ist daher denkunmöglich, dass das Gericht bei seiner Rekursentscheidung §366 Abs2 ZPO anzuwenden hat.

Der Antrag ist daher zurückzuweisen.

III. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Sachverständige, VfGH / Präjudizialität, Zivilprozeß, Rechtsmittel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:G185.2004

Dokumentnummer

JFT_09948988_04G00185_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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