RS Vfgh 2004/6/28 B769/03

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Veröffentlicht am 28.06.2004
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art10 Abs1 Z8
B-VG Art15 Abs3
B-VG Art83 Abs2
GewO 1994 §286 Abs3, Abs4
Stmk VeranstaltungsG §1 Abs1, §2 Abs1 Z10, §34 Abs2 litc

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Untersagung eines Flohmarktes mit angeschlossenem Bauernmarkt aufgrund des Stmk Veranstaltungsgesetzes; keine Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Einbeziehung solcher Märkte in den Geltungsbereich des Veranstaltungsgesetzes; umfassende Bundeskompetenz zur Regelung des Marktverkehrs als Angelegenheit des Gewerbes

Rechtssatz

Das Stmk VeranstaltungsG, LGBl 192/1969, findet "auf alle öffentlichen Schaustellungen, Darbietungen und Belustigungen" Anwendung und erstreckt seinen Geltungsbereich nicht ausdrücklich auch auf Flohmärkte und Bauernmärkte. Der auf die Begriffe des Art15 Abs3 B-VG abstellende und dem darin ausgesprochenen Gebot, die Mitwirkung von Bundesorganen vorzusehen, Rechnung tragende Text des §1 Abs1 leg cit legt einen derart weiten Anwendungsbereich des Gesetzes ebenso wenig nahe wie die Verwendung des Begriffs "Ausstellung" in §2 Abs1 Z10.

Die Abhaltung, das Beziehen und den Besuch von Märkten aller Art regelt seit jeher das Gewerberecht.

Das im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Kompetenzartikel der Bundesverfassung geltende Gewerberecht enthielt keine Ausnahme für die Abhaltung bestimmter Märkte. Sie fielen daher als Angelegenheiten des Gewerbes in die Bundeskompetenz des Art10 Abs1 Z8 B-VG.

An dieser Kompetenzlage kann das spätere Verhalten des Gewerbegesetzgebers nichts geändert haben. Ohnedies ist dieser gleichfalls von einer umfassenden Kompetenz zur Regelung des Marktverkehrs ausgegangen.

Die Gewerberechtsnovelle 1992 führte die Verleihung des Marktrechts durch Verordnung der Gemeinde und die Bewilligung der Gelegenheitsmärkte durch die Gemeinde selbst ein und schuf in §324 Abs2a GewO 1973 die im vorliegenden Verfahren bezogene, in der GewO 1994 als §286 Abs3 aufscheinende Ausnahme für "marktähnliche Verkaufsveranstaltungen, bei denen Land- oder Forstwirte aus ihrer eigenen Produktion Erzeugnisse

... feilbieten und verkaufen (Bauernmärkte)".

§324 Abs3 GewO 1973 idF der Gewerberechtsnovelle 1992 (= §286 Abs4 GewO 1994) nimmt seither ferner auch "marktähnliche Verkaufsveranstaltungen von kurzer Dauer, die in herkömmlicher Art und Weise zu wohltätigen Zwecken veranstaltet werden" (also Flohmärkte, Adventmärkte, Weihnachtsmärkte karitativer Organisationen) vom Marktbegriff aus.

Da Märkte aller Art und ohne Rücksicht auf die Bezieher seit jeher dem Gewerberecht unterlegen sind, gibt auch der Umstand, dass reine Bauernmärkte erst in jüngerer Zeit üblich geworden sein mögen, keinen Anlass, die Möglichkeit einer intrasystematischen Fortentwicklung der Ausnahme der land- und forstwirtschaftlichen Urproduktion und ihrer Nebengewerbe (etwa in Richtung auf eine marktähnliche Gestaltung des Ab-Hof-Verkaufes) in Erwägung zu ziehen. Die Ausnahme der Bauernmärkte aus der Gewerbeordnung ist also nicht eine Folge kompetenzrechtlicher Entwicklungen, sondern eine rechtspolitische Entscheidung des Gewerbegesetzgebers.

Für ein "Aufgreifen" der ungeregelt gelassenen Bauernmärkte fehlt dem Landesgesetzgeber die Kompetenz.

Angesichts des umfassenden Inhalts des Gewerberechts kommt eine Untersagung des Marktverkehrs auch nicht etwa unter dem Gesichtspunkt des Veranstaltungswesens in Betracht. Denn alle für diese maßgeblichen Zwecke einschließlich Ruhe, Ordnung und Sicherheit - soweit sie von der gewerblichen Veranstaltung ausgehen - sind durch die Gewerberechtskompetenz abgedeckt.

Ist es aber aus kompetenzrechtlichen Gründen ausgeschlossen, Floh- und Bauernmärkte aufgrund des Veranstaltungsgesetzes zu untersagen, ist der angefochtene Bescheid gesetzlos ergangen und die Beschwerdeführerin im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Mit dem gleichfalls untersagten Vorhaben eines "Spezialsammlertreffs" haben sich schon die Behörden des Verwaltungsverfahrens überhaupt nicht beschäftigt. So ist ungeklärt geblieben, worum es sich dabei überhaupt handeln soll. Das Fehlen auch nur eines Versuches, die Untersagung in diesem Punkt zu begründen, ist unter den gegebenen Umständen einem gesetzlosen, willkürlichen Vorgehen gleichzuhalten.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Gewerberecht, Marktverkehr, Kompetenz Bund - Länder Gewerbe und Industrie, Gewerberecht, Veranstaltungswesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2004:B769.2003

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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