RS Vfgh 2005/6/9 G4/05

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Veröffentlicht am 09.06.2005
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art118 Abs2, Abs3
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art148e
GewO 1994 §112 Abs3
Verordnung des Landeshauptmannes von Steiermark vom 05.06.03 über die Gewerbeausübung in Gastgärten - Stmk GastgartenV

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung der Gewerbeordnung 1994 über die Zuständigkeit des Landeshauptmannes zur Erlassung von Verordnungen über abweichende Regelungen betreffend die Gewerbeausübung in Gastgärten wegen Zugehörigkeit der Angelegenheit zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde und wegen Verstoßes gegen die Bezeichnungspflicht

Rechtssatz

Zulässigkeit des Antrags der Volksanwaltschaft auf Aufhebung der Verordnung des Landeshauptmannes von Steiermark vom 05.06.03 über die Gewerbeausübung in Gastgärten.

Die zur Aufhebung beantragte Stmk GastgartenV beruht auf der Gewerbeordnung 1994; bei ihrer Erlassung wurde der Landeshauptmann daher gemäß Art10 Abs1 Z8 (erster Tatbestand) iVm Art102 B-VG in mittelbarer Bundesverwaltung und somit funktionell als Bundesorgan tätig. Die angefochtene Verordnung steht auch noch in Kraft.

Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens zur Prüfung des §112 Abs3 dritter Satz GewO 1994.

Der Verfassungsgerichtshof hat bei Prüfung der zur Aufhebung beantragten Verordnung auf ihre Gesetzmäßigkeit den die Grundlage dieser Verordnung bildenden §112 Abs3 dritter Satz GewO 1994 anzuwenden.

Aufhebung des §112 Abs3 dritter Satz GewO 1994 idF BGBl I 111/2002.

Der eigene Wirkungsbereich der Gemeinde gemäß Art118 Abs2 und Abs3 B-VG ist als "dynamischer Begriff" zu verstehen, sodass die Aufgaben des eigenen Wirkungsbereiches nicht auf dem Stand von 1962 fixiert sind, sondern es sich beim Art118 Abs2 und Abs3 B-VG um eine für neue Entwicklungen offene Legaldefinition handelt (keine Anwendbarkeit der Versteinerungstheorie im Sinne des Zieles der Gemeindeverfassungsnovelle 1962).

Wenn anhand des Art118 Abs2 erster Satz B-VG zu prüfen ist, ob eine nicht ausdrücklich in Art118 Abs3 B-VG genannte Angelegenheit dennoch dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugehört, so bildet für die Unterstellung einer Verwaltungsaufgabe unter die Generalklausel des Art118 Abs2 B-VG gleichwohl deren Ähnlichkeit, Nähe oder Verwandtschaft mit den in Art118 Abs3 B-VG umschriebenen Verwaltungsmaterien ein gewichtiges Argument für die Zugehörigkeit der fraglichen Verwaltungsaufgabe zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.

Auf die der Abwehr störenden Lärmes dienende Betriebszeitenbegrenzung für Gastgärten treffen, zumindest soweit es um deren geringfügige Veränderung für bestimmte Gebiete einer Gemeinde geht, die Kriterien der verfassungsrechtlichen Generalklausel des eigenen Wirkungsbereiches gemäß Art118 Abs2 B-VG zu ("die Abwehr ungebührlicherweise hervorgerufenen störenden Lärmes" zählt gemäß Art118 Abs3 Z3 iVm Art15 Abs2 B-VG zu der dem eigenen Wirkungsbereich zuzurechnenden "örtlichen Sicherheitspolizei").

Bestimmt der Gesetzgeber als für die Betriebszeitenänderung maßgebliche Kriterien die von der jeweiligen Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich beschlossene "Flächenwidmung" und "Verbauungsdichte", so bezieht er sich dabei auf Anordnungen, die von der Gemeinde gemäß Art118 Abs3 Z9 B-VG im Rahmen ihrer "örtlichen Baupolizei" sowie "örtlichen Raumplanung" im eigenen Wirkungsbereich festzusetzen sind.

Wenn §113 Abs1 GewO 1994 auf die Bedürfnisse der ortsansässigen Bevölkerung abstellt, so liegt insoweit Deckungsgleichheit mit dem "Interesse der in der Gemeinde verkörperten örtlichen Gemeinschaft" gemäß Art118 Abs2 B-VG vor. Der Umstand, dass in §113 Abs1 GewO 1994 auch auf die Bedürfnisse "der Touristen" Rücksicht genommen wird, kann die Zugehörigkeit zum eigenen Wirkungsbereich schon deswegen nicht verhindern, weil es dabei um die Bedürfnisse und Wünsche der Touristen innerhalb der jeweiligen Gemeinde (etwa als Kur-, Fremdenverkehrs- oder Industriegemeinde) geht.

Auch die vom Gesetz geforderte Beurteilung der Auswirkung veränderter Gastgartenbetriebszeiten auf die in einzelnen Gemeindeteilen bestehenden öffentlichen Einrichtungen "wie Krankenhäuser, Altersheime, Bahnhöfe, Theater, Sportplätze und Parks" ist zweifelsohne am ehesten der jeweiligen Gemeinde zusinnbar.

Die Veränderung der Gastgartenöffnungszeiten durch Verordnung (also bezogen auf bestimmte Flächen, Teile oder besondere Gebiete der Gemeinde) ist auch geeignet, durch die Gemeinde innerhalb ihrer örtlichen Grenzen besorgt zu werden.

Angesichts der zwingenden Anordnung des §112 Abs3 erster Satz GewO 1994 darf im Betriebsanlagengenehmigungsverfahren nicht geprüft werden, ob die Voraussetzungen nach §74 ff GewO 1994 dahin vorliegen, "dass im Einzelfall über die gesetzlichen Betriebszeiten hinausgehende Betriebszeiten in dem Anlagen-Genehmigungsbescheid zugelassen werden".

§112 Abs3 GewO 1994 war somit aufzuheben, weil die darin angeordnete Zuständigkeit des Landeshauptmannes dem Art118 Abs2 erster Satz B-VG widerstreitet und die fehlende Bezeichnung der in der aufgehobenen Bestimmung geregelten Verwaltungsaufgabe als eine des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde gemäß Art118 Abs2 letzter Satz B-VG die gesamte Regelung verfassungswidrig macht.

Anlassfall V109/03, E v 22.06.05, Aufhebung der angefochtenen Verordnung.

Entscheidungstexte

  • G 4/05
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 09.06.2005 G 4/05

Schlagworte

Gast- und Schankgewerbebetrieb, Gemeinderecht, Wirkungsbereich eigener, Gastgewerbe, Öffnungszeiten, Sperrstunde, VfGH / Präjudizialität, Volksanwaltschaft, Auslegung Verfassungs-

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:G4.2005

Dokumentnummer

JFR_09949391_05G00004_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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