RS Vfgh 2005/6/16 B1219/04

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Veröffentlicht am 16.06.2005
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
ASVG §341, §342 Abs1 Z8

Leitsatz

Verletzung im Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist und im Gleichheitsrecht durch Abweisung der Anträge von Ärzten auf Bezahlung der von der Nö Gebietskrankenkasse (GKK) bei den Honorarabrechnungen 1994 in Abzug gebrachten Beträge wegen grober Verkennung der Rechtslage durch Annahme der Verbindlichkeit einer nicht in der im Gesamtvertrag vorgesehenen Weise verlautbarten Zusatzvereinbarung

Rechtssatz

Gemäß §342 Abs1 Z8 ASVG haben die Gesamtvertragspartner ua. die "Verlautbarung des Gesamtvertrages und seiner Abänderungen" zu regeln; wie sich aus §44 des Gesamtvertrages (idF des Jahres 1994) ergibt, werden dieser Gesamtvertrag und seine Änderungen in der Niederösterreichischen Ärztezeitung auf Kosten der Kammer und in der Zeitschrift Soziale Sicherheit auf Kosten des Versicherungsträgers verlautbart.

Im vorliegenden Fall wurden die Vertragsärzte der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse mit einem - von Ärztekammer und Gebietskrankenkasse gemeinsam verfassten - Rundschreiben vom 28.09.94 über den wesentlichen Inhalt der "Zusatzvereinbarung 1993 und 1994" (idF der "Vereinbarung zur Zusatzvereinbarung 1993/94"), auch über die darin enthaltene "Kürzungsregelung", in Kenntnis gesetzt.

Während der nur die Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien des Gesamtvertrages regelnde Teil des Gesamtvertrages mit dessen Unterfertigung wirksam wird, bedarf es für den Eintritt der Normwirkung gegenüber den Vertragsärzten der Erfüllung aller im Gesetz für die Normerzeugung festgelegten Bedingungen, wozu auch die Vorschriften über die Verlautbarung zählen. Nicht anders als beim Kollektivvertrag setzt daher die Normwirkung einer Änderung des Gesamtvertrages voraus, dass sie nach Maßgabe der darüber im Gesamtvertrag enthaltenen Anordnungen verlautbart worden ist.

Da die hier in Rede stehende Zusatzvereinbarung in der im Gesamtvertrag vorgesehenen Weise nicht verlautbart worden ist, konnte sie für die beschwerdeführenden Vertragsärzte keine Wirkung entfalten. Dadurch, dass die belangte Behörde dennoch - in grober Verkennung der Sach- und Rechtslage - von der Verbindlichkeit der Vereinbarung für die beschwerdeführenden Parteien ausging, hat sie diesen gegenüber Willkür geübt.

Die ungewöhnliche Länge des Verfahrens ist allein dem Verhalten staatlicher Organe zuzuschreiben; insbesondere kann den Beschwerdeführern kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie zur Durchsetzung ihrer Rechte zwei Mal - mit Erfolg - den Verfassungsgerichtshof angerufen haben.

Da nach der Aktenlage weder Art und Umfang des Sachverhalts noch die zu beurteilenden Rechtsfragen die Behandlung dieser Rechtssache als ungewöhnlich komplex oder schwierig erscheinen lassen, im vorliegenden Beschwerdeverfahren aber auch keine weiteren besonderen Umstände hervorgekommen sind, welche die Dauer des Verfahrens, insbesondere nach Aufhebung des im ersten Rechtsgang erlassenen Bescheides der belangten Behörde durch den Verfassungsgerichtshof, rechtfertigen könnten, ist die Dauer des Verfahrens von insgesamt mehr als 9 Jahren bis zur Zustellung des angefochtenen Bescheides nicht mehr als angemessen iS des Art6 Abs1 EMRK zu beurteilen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Entscheidung in angemessener Zeit, Sozialversicherung, Ärzte, Verfahrensdauer überlange

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B1219.2004

Dokumentnummer

JFR_09949384_04B01219_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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