RS Vfgh 2005/9/30 B1741/03

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Veröffentlicht am 30.09.2005
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Index

L2 Dienstrecht
L2400 Gemeindebedienstete

Norm

B-VG Art21 Abs3
B-VG Art144 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EG Art48
Nö GemeindebeamtendienstO 1976

Leitsatz

Feststellung einer Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist durch neuerliche Abweisung des Antrags eines Primararztes auf Abgeltung bestimmter Dienste in einem Gemeindespital nach aufhebenden Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes; Anwendbarkeit des Art6 Abs1 EMRK im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung auch in dienstrechtlichen Angelegenheiten mit Ausnahme bestimmter Bereiche der Hoheitsverwaltung; jedoch Abweisung des Antrags auf Bescheidaufhebung; im Übrigen Ablehnung der Beschwerde

Rechtssatz

Anwendbarkeit des Art6 Abs1 EMRK im Gegensatz zur bisherigen

Rechtsprechung auch in dienstrechtlichen Angelegenheiten:

Urteil des EGMR v 08.12.99, ÖJZ 2000/13, im Fall Pellegrin gegen

Frankreich: Geltung des Art6 Abs1 EMRK auch für Streitigkeiten öffentlich Bediensteter; Ausnahme nur für besondere Tätigkeiten, "die von öffentlich Bediensteten betrieben werden, deren Pflichten für die besonderen Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes insoweit typisch sind (whose duties typify activities of the public service) als Letzterer als der Beauftragte öffentlicher Gewalt auftritt und für den Schutz der allgemeinen Interessen des Staates oder anderer staatlicher Behörden verantwortlich ist."

Im vorliegenden Fall liegt es auf der Hand, dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers als (Primar-)Arzt am Allgemeinen Krankenhaus Krems nicht zu jenen zählt, die - im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des EGMR - für den öffentlichen Dienst insoweit typisch sind, als dieser als Beauftragter öffentlicher Gewalt auftritt und für den Schutz der allgemeinen Interessen des Staates verantwortlich ist. Gesundheitswesen weit entfernt von spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung, daher nur in außergewöhnlichen Fällen von den Ausnahmen des Art48 Abs4 EG erfasst.

Entscheidungen über dienstrechtliche Streitigkeiten von Beamten sind jedoch nicht als zum "Kernbereich" des Zivilrechts gehörend zu qualifizieren; daher kein Erfordernis der Entscheidung durch ein "Tribunal" in der Sache selbst; nachprüfende Kontrolle des VfGH und VwGH ausreichend (siehe hiezu die ausführlich zitierte Vorjudikatur des VfGH).

Das ergibt sich schon aus dem Wesen des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses: Es ist evident, dass es bei einem solchen - durch bescheidmäßige Ernennung auf eine Planstelle begründeten - Dienstverhältnis nicht um Rechte und Pflichten der Bürger unter sich (§1 ABGB) geht, sondern vielmehr um die Stellung (dh die Rechte und Pflichten) des Einzelnen (hier: des Beamten) gegenüber dem (hoheitlich handelnden) Staat.

In staatsorganisatorischer Hinsicht ist weiters zu berücksichtigen, dass Art21 Abs3 B-VG die Letztverantwortlichkeit der obersten (Verwaltungs-)Organe (des Bundes und der Länder) für die Ausübung der Diensthoheit normiert; deren Anrufung im Instanzenzug darf daher von Verfassungs wegen nicht ausgeschlossen werden.

Für die Entscheidung über die hier in Rede stehenden dienstrechtlichen Streitigkeiten ist daher (neben der Möglichkeit, den Verfassungsgerichtshof anzurufen) die nachprüfende Kontrolle der Entscheidungen der (Dienst-)Behörden durch den Verwaltungsgerichtshof ausreichend.

Ungeachtet dessen ist Art6 Abs1 EMRK bei Entscheidungen über dienstrechtliche Streitigkeiten aber jedenfalls insoweit zu beachten, als er eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist garantiert.

Die ungewöhnliche Länge des Verfahrens ist allein dem Verhalten staatlicher Organe zuzuschreiben; insbesondere kann dem Beschwerdeführer kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er zur Durchsetzung seiner Rechte zwei Mal - mit Erfolg - den Verwaltungsgerichtshof angerufen hat.

Da nach der Aktenlage weder Art und Umfang der Sachverhalte noch die zu beurteilenden Rechtsfragen die Behandlung dieser Rechtssache als ungewöhnlich komplex oder schwierig erscheinen lassen, im vorliegenden Beschwerdeverfahren aber auch keine weiteren besonderen Umstände hervorgekommen sind, die die Dauer des Verfahrens rechtfertigen könnten, ist dessen Dauer nicht mehr angemessen iSd Art6 Abs1 EMRK.

Verschärfung der Rechtsverletzung durch allfällige Aufhebung des Bescheides, daher Abweisung des Antrags auf Bescheidaufhebung und bloße Feststellung der Rechtsverletzung (siehe E v 30.09.04, B239/03).

Im Übrigen Ablehnung der Beschwerde.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Dienstrecht, EU-Recht, Verfahrensdauer überlange, Verwaltungsorganisation, Hoheitsverwaltung, VfGH / Prüfungsmaßstab, Entscheidung in angemessener Zeit, Zivilrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B1741.2003

Dokumentnummer

JFR_09949070_03B01741_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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