RS Vfgh 2006/3/7 G119/04 ua

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Veröffentlicht am 07.03.2006
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9210 Behindertenhilfe, Pflegegeld, Rehabilitation

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art10 Abs1 Z11
B-VG Art15 Abs1
BundespflegegeldG ArtI, ArtII, §3
Oö PflegegeldG §3 Abs2
Bund-Länder-Vereinbarung über gemeinsame Maßnahmen des Bundes und der Länder für pflegebedürftige Personen, BGBl 866/1993

Leitsatz

Kompetenz der Länder zur Regelung des Bezugs von Pflegegeld hinsichtlich der Bezieher einer EWR-Rente gegeben, keine Ermächtigung des Bundesgesetzgebers zur Einbeziehung auch dieses Personenkreises in den Geltungsbereich des Bundespflegegeldgesetzes durch die kompetenzrechtliche Verfassungsbestimmung dieses Gesetzes; keine sachliche Rechtfertigung des Ausschlusses der Bezieher von EWR-Renten vom Bezug des Pflegegeldes im oberösterreichischen Pflegegeldgesetz

Rechtssatz

Aufhebung der Wortfolge "oder von Vorschriften einer Vertragspartei des EWR-Abkommens" in §3 Abs2 Z2 Oö PflegegeldG, LGBl 64/1993, idF Oö PflegegeldG-Nov 2002, LGBl 155/2001.

Der Wortlaut der Verfassungsbestimmung des ArtI BundespflegegeldG macht deutlich, dass nach der Absicht des Bundesverfassungsgesetzgebers die Kompetenz des Bundes zur Gesetzgebung auf dem Gebiet des Pflegegeldes einerseits nicht enger gefasst werden sollte als jene Kompetenztatbestände, auf Grund derer der Bund zur Gesetzgebung hinsichtlich jener (in der Regel: rentenartig wiederkehrenden) Leistungen berufen ist, zu denen das Pflegegeld als Zusatzleistung hinzutritt. Andererseits sollte dadurch - über die im B-VG enthaltenen Kompetenztatbestände hinaus - eine Kompetenz des Bundes jedenfalls insoweit begründet werden, als in der Stammfassung des BundespflegegeldG eine Regelung hinsichtlich des (potentiell) anspruchsberechtigten Personenkreises getroffen wurde. Dem Bund bleibt daher auf Grund des ArtI BundespflegegeldG kompetenzrechtlich nur insoweit ein Raum zur Erweiterung des nach der Stammfassung des BundespflegegeldG anspruchsberechtigten Personenkreises, als dies in den Kompetenztatbeständen des B-VG Deckung findet.

Der Bundesgesetzgeber hat - soweit die Kompetenztatbestände des B-VG in Rede stehen - seine Kompetenz zur Regelung des Bundespflegegeldes mit der Erlassung des BundespflegegeldG im Jahr 1993 nicht ausgeschöpft.

In Art1 Abs2 der Bund-Länder-Vereinbarung über gemeinsame Maßnahmen des Bundes und der Länder für pflegebedürftige Personen, BGBl 866/1993, sind der Bund und die Länder übereingekommen, "im Rahmen der ihnen verfassungsrechtlich zugeordneten Kompetenzbereiche" ein umfassendes Pflegeleistungssystem an Geld- und Sachleistungen zu schaffen.

Bei der Gewährung von Pflegegeld handelt es sich um ein zwischen Bund und Ländern geteiltes Sachgebiet. Die Zuständigkeit zur Gesetzgebung und Vollziehung auf dem Gebiet des Pflegegeldes verbleibt daher nach Art15 Abs1 B-VG im selbständigen Wirkungsbereich der Länder, soweit sie nicht ausdrücklich durch bundesverfassungsrechtliche Vorschriften der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist.

Es verbietet sich die Annahme, der Nationalrat habe eine einfachgesetzliche Regelung (hier: jene des ArtII BundespflegegeldG) ohne Bedachtnahme auf eine am selben Tag - sogar unter einem - beschlossene Kompetenzregelung (hier: jene des ArtI BundespflegegeldG) erlassen (vgl VfSlg 9280/1981, S 326).

Die insoweit maßgebende Bestimmung des §3 BundespflegegeldG lässt nun erkennen, dass die Anspruchsberechtigung nach dem BundespflegegeldG jeweils an den Bezug einer entweder bundesgesetzlich geregelten (vgl 776 BlgNR XVIII. GP, 22) oder durch Bundesgesetz zu regelnden "Grundleistung" geknüpft ist. Das Bundespflegegeld stellt sich insofern gleichsam als "Annexleistung" (776 BlgNR XVIII. GP, 25) zu anderen - in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallenden - Leistungen dar, mögen diese öffentlich-rechtlich (vgl §3 Abs1 und Abs3 BundespflegegeldG) oder aber privatrechtlich (vgl §3 Abs4 BundespflegegeldG) ausgestaltet sein.

Die Gesetzgebung betreffend die Gewährung von Pflegegeld an Personen, die weder von der Stammfassung des BundespflegegeldG erfasst sind noch eine bundesgesetzlich zu regelnde Versorgungsleistung beziehen, verbleibt daher nach Art15 Abs1 B-VG in der Kompetenz der Länder. Personen, die ausschließlich eine Versorgungsleistung nach ausländischen Vorschriften beziehen, dh auch nach den Vorschriften einer Partei des EWR-Abkommens, und nicht auch eine bundesgesetzlich zu regelnde Leistung beziehen, stellen in dieser Hinsicht keine Besonderheit dar: Ein ausländischer Rentenbezug ändert nichts daran, dass die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Pflegegeldes insoweit nicht in die Zuständigkeit des Bundes, sondern - nach Art15 Abs1 B-VG - in die der Länder fällt.

Keine sachliche Rechtfertigung des Ausschlusses der Bezieher von EWR-Renten vom Bezug des Pflegegeldes.

Da es für die Gewährung von Pflegegeld nach dem Oö PflegegeldG

-

entsprechend dem erwähnten Konzept einer umfassenden Pflegevorsorge

-

gerade nicht darauf ankommt, ob die pflegebedürftige Person ein Einkommen bezieht oder nicht, kann das Vorhandensein eines Einkommens, sofern dadurch nicht die Zuständigkeit des Bundes im Sinne des ArtI BundespflegegeldG auch zur Regelung des Pflegegeldanspruches begründet wird, eine Ausnahme wie die hier in Rede stehende sachlich nicht rechtfertigen.

Siehe auch EuGH Rs C-215/99, Jauch, Slg 2001, I-1901, Rz 25 ff; zum Landespflegegeld jüngst EuGH 21.02.06, Rs C-286/03, Hosse, Rz 36 ff:

Pflegegeld keine Leistung der Krankenversicherung, sondern der sozialen Sicherheit; keine Veränderung des innerstaatlichen Kompetenzgefüges durch gemeinschaftsrechtliche Qualifikation einer Leistung.

Keine "Störung" des austarierten Systems der Pflege-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern.

Entscheidungstexte

  • G 119/04 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 07.03.2006 G 119/04 ua

Schlagworte

Kompetenz Bund - Länder Pflegegeld, Sozialversicherung, Geltungsbereich (persönlicher) eines Gesetzes, Auslegung Verfassungs-, Kompetenzbestimmungen, EU-Recht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:G119.2004

Dokumentnummer

JFR_09939693_04G00119_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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