RS Vfgh 2006/3/8 G150/05

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Veröffentlicht am 08.03.2006
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Index

26 Gewerblicher Rechtsschutz
26/03 Patentrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art133 Z4
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
PatentG 1970 §70, §74, §138, §139, §140, §142, §145a, §145b, §175
Verordnung (EWG) Nr 1768/1992 des Rates vom 18.06.92 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel. ABl 1992 L 182 idF ABl 1994 C 241

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses eines Rechtszuges gegen Bescheide der Beschwerdeabteilung an den Obersten Patent- und Markensenat; Abspruch über civil rights; Beschwerdeabteilung kein Tribunal iSd Europäischen Menschenrechtskonvention

Rechtssatz

Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der nicht präjudiziellen Teile des §138, des §139, des §140 und des §142 PatentG 1970.

§138 Abs2, §139 Abs3 und §142 Abs1 Z3 PatentG, BGBl 259/1970, sowie

§139 Abs2 und §142 Abs1 Z7 PatentG idF BGBl 349/1977 sind für den Anlassfall, der den Ausschluss des Rechtszuges von der Beschwerdeabteilung zum Obersten Patent- und Markensenat - OPM betrifft, nicht präjudiziell. §138 Abs2 PatentG regelt, wann gegen die im Lauf des Vorverfahrens oder der Verhandlung getroffenen Entscheidungen und Beschlüsse der Nichtigkeitsabteilung Berufung an den OPM erhoben werden kann. Diese Bestimmung ist jedoch für den vorliegenden Fall weder präjudiziell noch kann - aufgrund dieser Bestimmung - zwingend der Schluss gezogen werden, dass Rechtsmittel gegen Entscheidungen anderer Abteilungen unzulässig sind. Ebenso wenig kann auf Grundlage der bereinigten Rechtslage - durch Beseitigung der den Rechtszug an den OPM auf Endentscheidungen der Nichtigkeitsabteilung einschränkenden Bestimmungen - der Rückschluss gezogen werden, dass aufgrund der Bestimmungen in §139 Abs2 und Abs3 PatentG, die die Behandlung von mangelhaften Berufungen durch die Nichtigkeitsabteilung regeln, ein Rechtszug einer anderen Abteilung an den OPM unzulässig ist. Weiters ist die Bestimmung in §142 Abs1 Z3 und Z7 PatentG, die das Verfahren vor dem OPM bzw das Berufungsverfahren in Hinblick auf die Nichtigkeitsabteilung regelt, nicht präjudiziell und es ist auch kein untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Ausschluss des Rechtszuges gegen Entscheidungen der Beschwerdeabteilung an den OPM und der Bestimmung in §142 Abs1 Z3 und Z7 erkennbar. Der weitere Bestand dieser Bestimmungen könnte lediglich Anlass zu Interpretationsfragen geben, ob nämlich die dort genannten verfahrensrechtlichen Regelungen nicht für Berufungen gegen Bescheide der Beschwerdeabteilung gelten oder doch analog auch auf solche Berufungen anzuwenden sind.

Darüber hinaus ist im Gesetzesprüfungsverfahren hervorgekommen, dass auch die Bestimmung in §140 Abs3 PatentG 1970, welche das Verfahren vor dem OPM, genauer die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Nichtigkeitsabteilung im Falle von Verletzungen von Verfahrensvorschriften vorsieht, für den Anlassfall hinsichtlich eines Ausschlusses des Rechtszuges von der Beschwerdeabteilung an den OPM nicht präjudiziell ist, weil diese Bestimmung bereits das Verfahren vor dem OPM selbst betrifft und somit erst in Folge des Rechtszuges an den OPM anzuwenden wäre. Diese Bestimmung lässt somit nicht zwingend den Rückschluss auf den Ausschluss eines Rechtszuges zu bzw wäre eine analoge Anwendung dieser Vorschriften in Bezug auf die Beschwerdeabteilung nicht auszuschließen.

Die Wortfolgen "... ein weiterer Rechtszug sowie ..." in §70 Abs2 und

die Wortfolgen "... der Nichtigkeitsabteilung ..." in §74 Abs1 des

PatentG 1970 waren verfassungswidrig.

Die Wortfolgen "... der Nichtigkeitsabteilung ..." in §70 Abs3 und

§138 Abs1 sowie §139 Abs1 des PatentG 1970 waren bis zum Ablauf des 30.06.05 verfassungswidrig.

Oberster Patent- und Markensenat kollegiale Verwaltungsbehörde iSd Art133 Z4 B-VG und Tribunal iSd Art6 Abs1 EMRK.

Da die durch die Beschwerdeabteilung im Anlassfall getroffene Entscheidung betreffend die Anmeldung eines Schutzzertifikates als letztinstanzliche Entscheidung in einer Sache, die zu den "civil rights" zählt, von einem Spruchkörper gefällt wurde, der nicht die organisationsrechtlichen Garantien des Art6 EMRK erfüllt und kein Rechtszug an den OPM oder an ein anderes Tribunal vorgesehen war, waren die im Spruch genannten und hier in Prüfung gezogenen Bestimmungen verfassungswidrig.

Abänderung dieser Bestimmungen durch die Novelle 2004, BGBl I 149/2004.

Die in Spruchpunkt 2 genannten - durch die Novelle unverändert gebliebenen - Wortfolgen des §70 Abs3 und des §138 Abs1 sowie §139 Abs1 PatentG 1970 stehen auf Grund der genannten Novelle 2004, durch das In-Kraft-Treten von Vorschriften, welche den Rechtszug gegen Entscheidungen der Beschwerdeabteilung an den OPM vorsehen bzw regeln, nämlich des §145a und des §145b nunmehr in einem anderen rechtlichen Zusammenhang und sind deshalb nun nicht mehr verfassungswidrig.

Inkrafttreten des §145a und des §145b PatentG 1970 gemäß §175 Abs2 der Novelle 2004 mit 01.07.05 (Eröffnung eines Rechtszuges gegen Bescheide der Beschwerdeabteilung an den OPM); daher Verfassungswidrigkeit bis 30.06.05 (siehe Spruch).

Anlassfall B1507/04, E v 08.03.06: Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Patentrecht, EU-Recht, VfGH/Präjudizialität, VfGH/Prüfungsumfang, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Novellierung, Übergangsbestimmung, Kollegialbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:G150.2005

Dokumentnummer

JFR_09939692_05G00150_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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