RS Vfgh 2006/10/2 G29/06, V18/06

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Veröffentlicht am 02.10.2006
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Index

66 Sozialversicherung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

EMRK Art8 Abs2
DSG 2000 §1
EStG 1988 §2 Abs2
GSVG §2 Abs1 Z4, §229a
Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend die Durchführung der Übermittlung von Einkommensteuerdaten an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, BGBl II 107/1998 §3

Leitsatz

Keine Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz durch Regelungen über die elektronische Datenübermittlung zwischen der Abgabenverwaltung und der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft hinsichtlich der pflichtversicherten selbständig Erwerbstätigen im GSVG und einer Ausführungsverordnung; kein besonders schutzwürdiges Interesse der Betroffenen gegenüber dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung und effizienten Gestaltung der Beitragseinhebung; Sonderregelungen für die kleine Teilgruppe der Rechtsanwälte auch angesichts der Möglichkeit des opting out aus der Pflichtversicherung nicht geboten

Rechtssatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "oder aus selbständiger Arbeit" in §229a Abs2 GSVG idF BGBl I 139/1997.

Keine Gesetzwidrigkeit der Wortfolge "aus selbständiger Arbeit oder" in §3 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend die Durchführung der Übermittlung von Einkommensteuerdaten an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, BGBl II 107/1998.

Gerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Datenschutz.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Anbindung des Beitragsrechts der gewerblichen Sozialversicherung an die im Einkommensteuerbescheid manifestierten steuerpflichtigen Einkünfte ist eine Regelung, welche die Versicherten zur Bekanntgabe dieser Daten verpflichtet, erforderlich und verhältnismäßig. Es kann dem Gesetzgeber nämlich nicht entgegengetreten werden, wenn er für die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht die Versicherten zur Vorlage des jeweiligen Einkommensteuerbescheides verpflichtet. Da nach dem System des geltenden Einkommensteuerrechts das steuerpflichtige Einkommen aus dem Gesamtbetrag der Einkünfte der verschiedenen Einkunftsarten gebildet wird (§2 Abs2 EStG 1988), ist es aber unvermeidbar, dass mit der Vorlage des Einkommensteuerbescheides der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) auch andere, im Einkommensteuerbescheid enthaltene Daten (wie zB allfällige Einkünfte aus unselbständiger Arbeit) des Versicherten zur Kenntnis gelangen, welche sie für die Feststellung von Beitragsgrundlagen nach dem GSVG nicht benötigt.

Siehe hiezu auch die Verschwiegenheitspflicht nach §231 GSVG.

Geltung dieser Feststellungen auch für die elektronische Datenübermittlung zwischen Abgabenverwaltung und SVA hinsichtlich der pflichtversicherten selbständig Erwerbstätigen (zB Freiberufler).

Es ist angesichts der Notwendigkeit der Ermittlung sowohl des Personenkreises, der solche Einkünfte bezieht, als auch der Höhe dieser Einkünfte durch die SVA und in Anbetracht der gesetzlich genau geregelten Verwendung dieser Daten für die genannten Zwecke nicht erkennbar, welche besonderen schutzwürdigen Interessen der betroffenen Versicherten gegenüber dem Ziel des Gesetzes Vorrang zu genießen hätten, durch die in Prüfung gezogene Norm die Erfassung des Kreises der Versicherten und die Einhebung der Beiträge möglichst effizient zu gestalten und unnötigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden. Die bloße Übermittlung von Namen und Adressen der Bezieher von Einkommen aus selbständiger Arbeit ist jedenfalls keine für die beschriebenen Zwecke gleich geeignete Maßnahme, weil die SVA diesfalls nämlich hinsichtlich aller ihr bekannt gegebenen Personen von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren zu führen hätte, also auch in jenen Fällen, in denen sich erst als Ergebnis eines solchen Verfahrens herausstellen würde, dass das Einkommen aus selbständiger Arbeit die Versicherungsgrenze nicht überschritten hat. Dadurch käme es nur zu einem Mehraufwand auf Seiten der Versicherten und zu einer Erschwerung der Verwaltungsführung für die SVA bei der Feststellung und Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge.

Rechtsanwälte als kleine Teilgruppe der gem §2 Abs1 Z4 GSVG (potentiell) Pflichtversicherten; Sonderregelungen trotz der Möglichkeit des opting out dieser Gruppe nicht geboten.

Die Zugehörigkeit zu einer vom "opting out" betroffenen Berufsgruppe bedeutet noch nicht, dass die betreffenden Personen nicht einer Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliegen können.

Die Abgabenverwaltung kann eine Trennung der von ihr an die SVA übermittelten Daten nach Berufsgruppen innerhalb der Einkunftsart einerseits und nach den verschiedenen Beschäftigungen innerhalb der Daten einer einzelnen steuerpflichtigen Person andererseits nicht vorweg leisten, dies muss der SVA überlassen bleiben.

Es kann dem Gesetzgeber jedenfalls nicht entgegengetreten werden, wenn er ungeachtet der im Zusammenhang mit der gesetzlichen Sozialversicherung einzelnen Berufsgruppen eingeräumten Möglichkeit, aus der Pflichtversicherung nach §2 Abs1 Z4 GSVG hinaus zu optieren, bisher von einer solchen weit reichenden Systemumstellung im EStG 1988 Abstand genommen hat.

Entscheidungstexte

  • G 29/06,V 18/06
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 02.10.2006 G 29/06,V 18/06

Schlagworte

Sozialversicherung, Beitragsgrundlage, Beiträge, Pflichtversicherungsumfang, Rechtsanwälte, Datenschutz, Einkommensteuer, Einkunftsarten Arbeit selbständige

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:G29.2006

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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