RS Vfgh 2006/11/27 B1258/06

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Veröffentlicht am 27.11.2006
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83 Natur- und Umweltschutz
83/01 Natur- und Umweltschutz

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
AbfallwirtschaftsG 2002
AVG §7
Tir UVS-G §2 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Mitwirkung eines befangenen Mitgliedes bei Entscheidung eines Unabhängigen Verwaltungssenates über eine Berufung hinsichtlich Müllablagerung auf einer Mülldeponie; verfassungswidrige Besetzung aufgrund der verfassungsrechtlich ganz allgemein geltenden Anforderungen der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit für die Mitglieder der Unabhängigen Verwaltungssenate; äußerer Anschein der Parteilichkeit hinsichtlich eines früher im Landesdienst in einer Umweltabteilung tätigen Mitgliedes

Rechtssatz

Geltung der Anforderungen der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit für die Mitglieder der Unabhängigen Verwaltungssenate ganz allgemein aufgrund Art129a f B-VG.

Der Verfassungsgesetzgeber, der die unabhängigen Verwaltungssenate mit der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988, BGBl 685, eingerichtet hat, beabsichtigte damit Behörden zu schaffen, die den spezifischen Anforderungen der Art5 und Art6 EMRK an unabhängige und unparteiische Gerichte (Tribunale) voll entsprechen sollten (s mwN und unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien VfSlg 15439/1999).

Bei dem an der Entscheidungsfindung des UVS über die Berufung gegen einen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol beteiligten Kammermitglied Mag B G handelt es sich um eine zuvor für diesen im Landesdienst (beim Amt der Tiroler Landesregierung) als Sachbearbeiterin im Bereich Umweltschutz tätige Beamtin, die - zufolge ihrer (zunächst) bloß befristeten Zugehörigkeit zum UVS (§2 Abs2 erster Satz Tir UVS-G) - nach Ablauf der (sechsjährigen) Bestellungsdauer erneut mit der Wahrnehmung von Aufgaben im Landesdienst für den Landeshauptmann betraut werden könnte. Aufgrund der Tatsache, dass hier also ein auf Zeit ernanntes Mitglied des UVS berufen war, über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides eben jener Behörde (mit) zu befinden, aus der es hervorgegangen ist, wird - im Sinne der Rechtsprechung des EGMR (vgl Urteil vom 29.04.88, Belilos gegen die Schweiz, EuGRZ 1989, 21 ff) - ein "äußerer Anschein" der Parteilichkeit nicht auszuschließen sein: Die der Gerichtsbarkeit dieser Kammer unterworfenen Personen könnten nämlich - jedenfalls in Bezug auf Verfahren, bei denen (wie hier) der Landeshauptmann von Tirol Partei ist - versucht sein, in Mag B G ein Mitglied des Amtes der Tiroler Landesregierung zu sehen, das mit dem Landeshauptmann und damit mit ihren Kollegen beim Amt der Tiroler Landesregierung solidarisch ist (vgl abermals VfSlg 14939/1997, 15439/1999). Eine solche Situation erscheint aber objektiv geeignet, jenes Vertrauen in Frage zu stellen, das Gerichte in einer demokratischen Gesellschaft vermitteln sollten.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Unabhängiger Verwaltungssenat, Behördenzusammensetzung, Kollegialbehörde, Befangenheit, Tribunal, civil rights, Abfallwirtschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B1258.2006

Dokumentnummer

JFR_09938873_06B01258_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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