RS Vfgh 2007/6/15 G147/06 ua

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Veröffentlicht am 15.06.2007
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
DSG 2000 §1 Abs2, §4 Z1, §6 Abs1, §7 Abs1, §27 Abs1
KFG 1967 §134 Abs3b
StVO 1960 §94 Z2, §100 Abs5b

Leitsatz

Kein Verstoß der Regelung in der StVO 1960 über das automatischeGeschwindigkeitsmesssystem Section Control gegen das Grundrecht aufDatenschutz; verfassungskonforme Anwendung entsprechend demVerhältnismäßigkeitsgrundsatz hinsichtlich der Verwendung bzw Pflichtzur Löschung der erhobenen Daten ausschließlich zum Zweck derFeststellung von Geschwindigkeitsüberschreitungen; Überwachung nurauf bestimmten, besonders gefährlichen Strecken; Festlegung undAnordnung der Wegstrecke durch Gesetz oder Verordnung sowieAnkündigung der Datenerhebung auch im Hinblick auf den Rechtsschutzerforderlich

Rechtssatz

§100 Abs5b StVO 1960 idF BGBl I 80/2002 wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Zusammenschau der, straßenpolizeiliche Zuständigkeiten und Aufgaben regelnden Bestimmungen der StVO 1960 im Verein mit den allgemeinen Grundsätzen über die Verwendung von Daten gemäß Art2 DSG 2000 zeigt eine im Auslegungswege ermittelbare, hinreichend präzise Regelung; dies freilich nur unter der Voraussetzung, dass die sich daraus ergebenden Grenzen der Datenerhebung und -verwendung §1 Abs2 letzter Satz DSG 2000 zufolge nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - also verfassungskonform - bestimmt werden, sodass "der Eingriff in das Grundrecht nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen" wird.

Die zum Zweck der Überwachung der straßenpolizeilichen Vorschriften über die Höchstgeschwindigkeit in Handhabung der Verkehrspolizei begründete Befugnis zum Einsatz automatischer Geschwindigkeitsmesssysteme genügt den durch §6 Abs1 Z2 DSG 2000 vorgesehenen Anforderungen, wonach die erhobenen Daten nur "für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke" eingesetzt werden dürfen.

Da das DSG 2000 von einer strengen Zweckbindung der Ermittlung und Verwendung von Daten ausgeht, dürfen auch durch automatische Geschwindigkeitsmesssysteme erhobene Daten ausschließlich zur Feststellung der Überschreitung einer ziffernmäßig festgesetzten Höchstgeschwindigkeit ermittelt und verwendet werden. Konsequenz dieser Zweckgebundenheit ist ferner die dem Auftraggeber bereits bei der Gestaltung des Systems zur Pflicht gemachte Vorsorge dafür, dass Daten, deren Aufbewahrung sich als unzulässig herausstellt, unverzüglich gelöscht werden. Dieser Löschungsverpflichtung unterliegen all jene Daten, aus denen eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht abgelesen werden kann.

Wenn Daten solange in personenbezogener Form aufbewahrt werden dürfen, als dies für die Erreichung der Zwecke, für die sie ermittelt wurden, erforderlich ist (vgl §6 Abs1 Z5 DSG 2000), ist die Behörde ermächtigt, die zur straßenpolizeilichen Feststellung der Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit und zu deren Nachweis sowie zur Durchführung der damit zusammenhängenden Verfahren benötigten Daten entsprechend der Dauer dieser Aufgabenstellung zu speichern.

§100 Abs5b StVO 1960 gestattet keinesfalls eine durchgehende Überwachung sämtlicher Wegstrecken im Bundesgebiet. Entsprechend der aus §1 Abs2 iVm §1 Abs1 DSG 2000 hervorleuchtenden Verpflichtung, rechtliche Ermächtigungen zur Ermittlung von personenbezogenen Daten möglichst präzise anzuordnen, darf die automatische Geschwindigkeitsmessung aber auch nicht auf beliebigen Straßenstrecken angeordnet werden.

Grundlage für die Anordnung des Geschwindigkeitsmesssystems auf einer "bestimmten Wegstrecke" ist die aktenmäßig gehörig belegte Feststellung, dass es auf der dadurch überwachten Strecke besonders notwendig ist, die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit straßenpolizeilich zu überwachen, um damit einer besonderen Gefahrensituation zu begegnen.

Anordnung durch Gesetz oder Verordnung angesichts der grundrechtlichen Anforderungen an die Rechtsnatur generell angeordneter behördlicher Datenerfassungen geboten; räumliche und eventuell zeitliche Beschränkung (vgl §94 Z2 StVO 1960 betr die Zuständigkeit des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie zur Erlassung von Verordnungen, die Autobahnen betreffen).

Auch der im Hinblick auf das betroffene Grundrecht (vgl §1 Abs2 DSG 2000) notwendige Rechtsschutz ist nur gewährleistet, wenn die Anordnung der Datenerhebung durch automatische Geschwindigkeitsmesssysteme für bestimmte Strecken durch Verordnung erfolgt. Ob die automatische Geschwindigkeitsmessung auf einer "bestimmten Wegstrecke" notwendig und daher datenschutzrechtlich zulässig ist, kann im Einzelfall anhand der verkehrspolizeilichen Vorschriften nur geprüft werden, wenn die jeweilige Wegstrecke durch Verordnung bestimmt und diese gehörig kundgemacht wird; darüber hinaus ist es entsprechend der datenschutzrechtlich gebotenen Vorhersehbarkeit erforderlich, die Datenerhebungen auch an Ort und Stelle entsprechend anzukündigen.

Einstellung des Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich §134 Abs3b

1. Satz KFG 1967; kein untrennbarer Zusammenhang dieser Bestimmung (auf die sich der im Anlassfall angefochtene Bescheid nicht unmittelbar gründet) mit §100 Abs5b StVO 1960.

(Anlassfall B833/05, E v 15.06.07, Aufhebung des angefochtenen Bescheides).

Entscheidungstexte

  • G 147/06 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 15.06.2007 G 147/06 ua

Schlagworte

Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung, Datenschutz,Kraftfahrrecht, Auslegung verfassungskonforme, Rechtsschutz, VfGH /Prüfungsumfang, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:G147.2006

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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