RS Vfgh 2007/9/29 B328/07

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 29.09.2007
beobachten
merken

Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
FremdenpolizeiG 2005 §53 Abs1, §54, §66 Abs1
Niederlassung- und AufenthaltsG (NAG) §21, §72

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durchAusweisung einer kroatischen Staatsangehörigen nach dem Tod ihresösterreichischen Ehemannes wegen rechtswidrigen Aufenthaltes aufgrundunzureichender Interessenabwägung; keine Berücksichtigung dertatsächlichen Aufenthaltsdauer und des entsprechenden Verlustes derBindungen zum ursprünglichen Heimatstaat sowie der intensivenfamiliären Beziehungen der Beschwerdeführerin zu ihren volljährigenKindern und ihrer Schwester

Rechtssatz

Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nicht, dass die Schaffung eines Ordnungssystems, mit dem die Einreise und der Aufenthalt von Fremden geregelt wird, auch im Lichte der Entwicklungen auf europäischer Ebene notwendig ist. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs2 EMRK) daher ein hoher Stellenwert zu.

Wenn die zuständige Fremdenpolizeibehörde eine Ausweisung - auch eine solche nach §53 Abs1 iVm §66 Abs1 FremdenpolizeiG 2005 - verfügt, ist sie aber stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art8 EMRK abzuwägen.

Die belangte Behörde hat bei ihrer Entscheidung mehrere Aspekte, die im Rahmen einer den Anforderungen des Art8 EMRK entsprechenden Interessenabwägung zu berücksichtigen sind, gänzlich außer Acht gelassen. So hat sie, wie aus der rein formelhaften Begründung des angefochtenen Bescheides deutlich wird, nicht einmal geprüft, wie lange sich die Beschwerdeführerin insgesamt - seit ihrer erstmaligen Einreise im Alter von 15 Jahren - rechtmäßig in Österreich aufgehalten hat. Der bloße Hinweis darauf, dass sie "lediglich als Saisonarbeitskraft" tätig war, mindert aber für sich alleine betrachtet - ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Aufenthaltszeiten im Bundesgebiet - nicht den Schutz des gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Zudem kommt der rechtmäßigen Aufenthaltsdauer auch insofern Bedeutung zu, als möglicherweise eine Bindung der Beschwerdeführerin zu Österreich entstanden ist, der ein entsprechender Verlust der Bindungen zu ihrem ursprünglichen Heimatstaat gegenübersteht.

Schließlich hat die Behörde auch keine weiteren Überlegungen zur spezifischen (sonderpädagogischen) Schulbildung des mit der Beschwerdeführerin im Familienverband lebenden mj. Sohnes angestellt. Die Behauptung der Behörde, dass der Sohn auch in Kroatien eine (Sonder-)Schule besuchen könne, vermag eine nähere Auseinandersetzung mit seiner Situation - etwa Art und Umfang seiner Behinderung sowie das Vorliegen von Sprachkenntnissen - nicht zu ersetzen.

Den Aufenthalt ihrer beiden anderen (volljährigen) Kinder sowie ihrer Schwester erachtete die Behörde - ungeachtet der intensiven Beziehungen zur Beschwerdeführerin - hingegen nicht für maßgeblich.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Fremdenrecht, Fremdenpolizei, Ausweisung, Aufenthaltsrecht, Privat-und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:B328.2007

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten