RS Vfgh 2008/11/7 U48/08

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Veröffentlicht am 07.11.2008
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z3 idF BGBl I 2/2008
B-VG Art44 Abs3
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129c Abs1 Z1
B-VG Art129c ff, Art129e idF BGBl I 2/2008
B-VG Art132a idF BGBl I 2/2008
B-VG Art133
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
B-VG Art144a
B-VG Art151 Abs39 idF BGBl I 2/2008
EMRK Art3, Art8
AsylG 2005 §5, §10 Abs4, §28 Abs2, §42, §61
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
Dublin II-VO des Rates vom 18.02.03, EG 343/2003 Art9

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durchZurückweisung des Antrags eines Kurden auf internationalen Schutzaufgrund der Zuständigkeit Rumäniens für die Behandlung des Antrags;keine Gesamtänderung der Bundesverfassung durch den Ausschluss derAnrufbarkeit des Verwaltungsgerichtshofes in Asylsachen und dieEinrichtung des Asylgerichtshofes; keine inhaltliche Änderung desKompetenztatbestandes "Asyl" durch die B-VG-Novelle 2008; keinsubjektives Recht des Asylwerbers auf Einholung einerGrundsatzentscheidung; keine verfassungswidrige Würdigung desSachverhalts hinsichtlich der Begründung der Zuständigkeit einesanderen EU-Mitgliedstaates

Rechtssatz

Keine Gesamtänderung der Bundesverfassung durch den Ausschluss der Anrufbarkeit des Verwaltungsgerichtshofes in Asylsachen und die Einrichtung des Asylgerichtshofes (AsylGH) an Stelle der als kollegiale Verwaltungsbehörden eingerichteten Unabhängigen Verwaltungssenate (Art129c ff, Art132a B-VG idF BGBl I 2/2008).

Keine umfassende Kontrollzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes (Art133 B-VG); keine Gesamtänderung der Verfassung durch die Einrichtung unabhängiger Behörden durch den Verfassungsgesetzgeber.

Übergangsbestimmung des Art151 Abs39 B-VG; keine Gesamtänderung der Verfassung, wenn auch für die Übergangsfälle die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes nicht vorgesehen ist.

Art129e Abs1 B-VG bedeutet schon deshalb keine Gesamtänderung der Bundesverfassung, weil der Verfassungsgesetzgeber damit den einfachen Gesetzgeber nicht ermächtigt, generell oder nach Belieben die Entscheidung durch Einzelrichter vorzusehen. Vielmehr muss der einfache Gesetzgeber bei der Regelung der Frage, welche Rechtsfälle von Einzelrichtern einerseits und von Senaten andererseits zu entscheiden sind, auf die Art der Rechtsfälle und die Bedeutung, die sie im Regelfall haben, abstellen, etwa indem er auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Rechtsfolgen Bedacht nimmt.

Daher auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die im vorliegenden Fall angewendete Bestimmung des §61 Abs3 Z1 litb AsylG 2005 (idF BGBl I 4/2008).

Neufassung des Art10 Abs1 Z3 B-VG durch BGBl I 2/2008.

Die Gesetzesmaterialen (RV 314 BlgNR 23. GP) bieten keinen Anhaltspunkt dafür, dass es die Absicht des Verfassungsgesetzgebers gewesen sei, dem Begriff der Asylsachen eine Bedeutung zu geben, die vom bisherigen Verständnis dieses Begriffes in Art129c Abs1 Z1 B-VG abweicht.

Der Begriff der Asylsachen umfasst kompetenzrechtlich auch die Ausweisung durch die Asylbehörden (she VfSlg 17516/2005). Dass nunmehr durch die Neufassung des Art10 Abs1 Z3 B-VG der Begriff "Ausweisung" neben dem Begriff "Asyl" angeführt ist, ändert daran nichts.

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Unterlassung der Einholung einer Grundsatzentscheidung iSd §42 AsylG 2005; kein subjektives Recht des Asylwerbers auf Einholung einer solchen Entscheidung.

Art129e Abs1 und Art132a B-VG sehen ein Zusammenwirken richterlicher Organe zur Klärung näher bestimmter Rechtsfragen vor. Demnach ist über Rechtsfragen, denen grundsätzliche Bedeutung zukommt (Grundsatzentscheidungen), von einem verstärkten Senat des AsylGH zu entscheiden.

Ein Recht des Asylwerbers, ein solches Verfahren einzuleiten, ist hingegen nicht vorgesehen, und zwar deshalb, weil - dem erklärten Willen des Verfassungsgesetzgebers zufolge - Inhalt einer solchen Grundsatzentscheidung nicht der konkrete Einzelfall, sondern - davon losgelöst - die abstrakte Klärung einer grundsätzlichen Rechtsfrage ist, die nicht nur für den konkreten Einzelfall verbindlich sein soll.

Art144a B-VG hat den Verfassungsgerichtshof zur Überprüfung von Beschwerden gegen Entscheidungen des AsylGH - unter Zugrundelegung eines unveränderten Prüfungsmaßstabes - berufen. Der Verfassungsgerichtshof hat demnach nur die Entscheidung des AsylGH als solche - und nicht die Grundsatzentscheidung bzw das zu ihrer Einholung einzuhaltende Verfahren - auf die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter subjektiver Rechte zu überprüfen.

Keine Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtvorlage einer Entscheidung zur Klärung einer grundsätzlichen Rechtsfrage an den verstärkten Senat; Geltendmachung der Nichtvorlage als Verfahrensfehler nicht möglich; kein willkürliches Handeln des AsylGH durch die Nichtvorlage.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Entscheidung des AsylGH als solche - mag sie nun in Bindung an eine Grundsatzentscheidung ergangen sein oder nicht - anhand des unveränderten Prüfungsmaßstabes, und zwar im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen das Willkürverbot, zu prüfen.

Schlüssige Begründung des vom AsylGH angenommenen Sachverhalts (Ausschluss eines Irrtums der rumänischen Behörden sowie einer Personenverwechslung); keine Übernahme des Beschwerdeführers durch Rumänien iSd Art9 Dublin II-VO aufgrund unrichtiger Fakten.

Frage der bloßen Visumsausstellung zur Begründung der Zuständigkeit Rumäniens iSd Art9 Abs4 Dublin II-VO hier irrelevant; kein Ablauf der 20-Tages-Frist des §28 Abs2 AsylG 2005 für die Entscheidung des Bundesasylamtes über den Antrag auf internationalen Schutz aufgrund durchgeführten Konsultationsverfahrens.

Wenn das Bundesasylamt im Zweifel ist, ob nicht ein Aufenthaltstitel oder ein Visum des Beschwerdeführers in einem anderen Mitgliedstaat dessen Zuständigkeit begründet hat und daher - wie im vorliegenden Fall - ein Informationsansuchen an andere Mitgliedstaaten stellt, so beginnt er damit nach der Rechtslage ein Konsultationsverfahren.

Keine Verletzung im Recht keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden nach Art3 EMRK bzw im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem Art8 EMRK durch die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Rumänien.

Zur Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Berücksichtigung medizinischer Gründe siehe E v 06.03.08, B2400/07.

Verfassungsrechtlich unbedenkliche Feststellung des AsylGH über die Schwere der Erkrankung des Beschwerdeführers und die Möglichkeiten einer medizinischen Behandlung in Rumänien.

Kein Recht auf Einreise in ein bestimmtes Land in Art8 EMRK; Angehörige des Beschwerdeführers selber Asylwerber ohne langjährigen gesicherten Aufenthalt; daher keine Verletzung der Familienzusammenführung, auch angesichts des Alters des Asylwerbers.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylgerichtshof, Asylrecht, Bundesverfassung Gesamtänderung,Kollegialbehörde, Verwaltungsgerichtshof Zuständigkeit,\bergangsbestimmung, Kompetenz Bund - Länder, Behördenzuständigkeit,Privat- und Familienleben, Rechte subjektive öffentliche, VfGH /Zuständigkeit, VfGH / Prüfungsmaßstab

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2008:U48.2008

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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