TE Vfgh Erkenntnis 1980/2/29 B362/76

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Veröffentlicht am 29.02.1980
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Index

44 Zivildienst
44/01 Zivildienst

Norm

StGG Art14
ZivildienstG §2 Abs1
ZivildienstG §6 Abs2

Leitsatz

Zivildienstgesetz; §2 Abs1 gewährleistet verfassungsgesetzlich ein Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung; keine Verletzung dieses Rechtes

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer beantragte unter Bezugnahme auf §2 Abs1 des Zivildienstgesetzes, BGBl. 187/1974 (im folgenden: ZDG), die Befreiung von der Wehrpflicht. Er brachte in seinem schriftlichen Antrag im wesentlichen vor, er wolle Menschen helfen und nicht lernen, sie zu vernichten. Es habe niemand das Recht, über ein anderes Menschenleben zu entscheiden oder es zu töten. Er lehne es ab, gegen Menschen Waffengewalt anzuwenden oder dies zu unterstützen.

2. Die Zivildienstkommission beim Bundesministerium für Inneres (im folgenden: ZDK) führte sodann Erhebungen über die Person des Beschwerdeführers durch. Sie ergaben, daß der Beschwerdeführer in den Jahren 1973 und 1974 zwei Verurteilungen wegen des Verbrechens des Diebstahls erlitten hat sowie eine Vorstrafe wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem KFG aufweist. Nach dem Bericht des zuständigen Gendarmeriepostenkommandos sind Vorfälle über ein gewalttätiges Verhalten des Beschwerdeführers nicht bekannt, er sei in dieser Hinsicht einwandfrei; der Beschwerdeführer gehe jedoch keiner geregelten Arbeit nach und verteile nur fallweise Werbematerial.

In der mündlichen Verhandlung vor der ZDK, Senat 3, brachte der Beschwerdeführer weiters vor, daß er auf keinen Fall Gewalt gegen andere anwenden könne. Auch wenn der Staat den Wehrdienst fordere, könne ihm das niemand vorschreiben; für ihn gebe es keinen Feind. Er sei zu seiner Haltung von selbst gekommen, er habe viele Invalide gesehen, und das habe ihn geschockt. Er sei Hilfsarbeiter, jedoch derzeit ohne Beschäftigung; er habe seine letzte Beschäftigung in einer Lackfabrik aus körperlichen Gründen aufgeben müssen. Im März 1976 habe er eine Beschäftigung aufgegeben, weil es ihm zuviel gewesen sei, immer nach Linz fahren zu müssen, da er bereits um 5 Uhr habe aufstehen müssen.

Richtig sei, daß er zweimal wegen Diebstahls verurteilt worden sei; einmal habe er einen Vergaser abmontiert, und ein anderes Mal habe er eine Handtasche gestohlen; er habe aber eingesehen, daß dies ein "Blödsinn" gewesen sei.

3. Mit Bescheid vom 25. Juni 1976 wies die ZDK, Senat 3, den Antrag des Beschwerdeführers ab. Sie begründete ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf die §§2 Abs1 und 6 Abs1 ZDG folgendermaßen: Der Beschwerdeführer habe im schriftlichen Antrag in eher dürftiger Form die Behauptung aufgestellt, die Anwendung von Waffengewalt abzulehnen, weil er Menschen helfen wolle und niemand das Recht habe, über andere Menschenleben zu entscheiden. Gem. §6 Abs2 ZDG habe der Antragsteller die vorgebrachten Gewissensgründe glaubhaft zu machen, und es habe die ZDK bei der Würdigung dieser Gründe insb. auf das bisherige Verhalten des Antragstellers Bedacht zu nehmen.

Nach den durchgeführten Erhebungen und nach dem persönlichen Eindruck, den der Beschwerdeführer in der Kommissionsverhandlung vermittelt habe, sei eine derartige Glaubhaftmachung nicht erfolgt. Das Vorbringen vor der Kommission sei - selbst unter Berücksichtigung einer Schulbildung von nur neun Klassen Volksschule - äußerst stockend gewesen und habe wenig überzeugend gewirkt. Dazu komme, daß der Beschwerdeführer - von einer geringen Verwaltungsstrafe abgesehen - bereits zweimal wegen des Verbrechens des Diebstahls abgeurteilt worden sei, worin sich manifestiere, daß er dazu tendiere, die Wertordnung innerhalb einer menschlichen Gemeinschaft als gering zu achten, somit ethische Grundsätze, zu denen auch die Achtung fremden Eigentums gehöre, leicht aufzugeben. Auch aus dieser Sicht erscheine eine behauptete, auf einer ethischen Grundhaltung beruhende Ablehnung der Anwendung von Waffengewalt nicht glaubhaft gemacht. Angesichts der Wiederholung strafbarer Handlungen scheine auch die Behauptung einer inneren Umkehr nicht hinreichend glaubhaft.

4. Gegen diesen Bescheid der ZDK richtet sich die vorliegende Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung der Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG sowie des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Glaubens- und Gewissensfreiheit behauptet. Er begehrt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides oder eine Entscheidung des VfGH dahin, daß er vom Wehrdienst befreit werde.

II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die vom Beschwerdeführer bezogene Verfassungsbestimmung des §2 Abs1 ZDG besagt, daß Wehrpflichtige iS des Wehrgesetzes, BGBl. 181/1955, auf ihren Antrag von der Wehrpflicht zu befreien sind, wenn sie es - von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen - aus schwerwiegenden, glaubhaften Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen andere Menschen anzuwenden und daher bei Leistung des Wehrdienstes in schwere Gewissensnot geraten würden. Der VfGH hat in der mit dem Erk. VfSlg. 8033/1977 eingeleiteten ständigen Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, daß diese Vorschrift das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Befreiung von der Wehrpflicht zwecks Zivildienstleistung beinhaltet. Eine Verletzung dieses Rechtes liegt vor, wenn die Behörde die in der wiedergegebenen Gesetzesstelle umschriebenen materiellrechtlichen Voraussetzungen der Wehrpflichtbefreiung unrichtig beurteilt hat, und weiters - im Hinblick darauf, daß die für den Nachweis der Voraussetzungen maßgebliche Vorgangsweise der Glaubhaftmachung (Bescheinigung) in den Schutzumfang des Rechtes einbezogen ist - dann, wenn der Behörde wesentliche Verstöße in diesem verfahrensrechtlichen Bereich unterlaufen sind oder wenn sie dem Antragsteller überhaupt die Möglichkeit genommen hat, das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.

Die belangte Behörde war gem. §6 Abs2 ZDG verpflichtet, bei der Würdigung der vom antragstellenden Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe insb. auf sein bisheriges Verhalten Bedacht zu nehmen; es kann ihr also nicht entgegengetreten werden, wenn sie die gerichtlichen Vorstrafen des Beschwerdeführers berücksichtigt hat. Die von ihr aus dem Vorleben des Beschwerdeführers abgeleitete Auffassung, er neige dazu, die Wertordnung innerhalb einer menschlichen Gemeinschaft gering zu achten, ist nun keineswegs unschlüssig; der belangten ZDK ist - wenn überhaupt - jedenfalls kein wesentlicher Fehler im Bereich der Würdigung von Beweis-(Bescheinigungs-)Mitteln, also im verfahrensrechtlichen Bereich, unterlaufen, wenn sie (schon) aufgrund dieser Überlegungen die vom Beschwerdeführer behauptete ethische Grundhaltung als nicht glaubhaft angesehen hat.

Da bereits aus diesen Erwägungen folgt, daß eine Verletzung des durch §2 Abs1 ZDG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nicht stattgefunden hat, ist die Beantwortung der Frage entbehrlich, ob die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe als solche geeignet gewesen wären, die materiellen Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle zu verwirklichen.

2. Auch die Geltendmachung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Glaubens- und Gewissensfreiheit kann dem Beschwerdeführer nicht zum Erfolg verhelfen. Er bringt nämlich in der Beschwerde, die im wesentlichen eine Darstellung des Verwaltungsgeschehens beinhaltet, nichts vor, was auf eine Verletzung dieses Rechtes hinweist; nach der Aktenlage des Verwaltungsverfahrens besteht gleichfalls kein Anhaltspunkt für eine solche Rechtsverletzung.

3. Da das Beschwerdeverfahren schließlich auch weder die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes noch eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm ergeben hat, ist die Beschwerde abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich auch eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, daß das Beschwerdebegehren - offenbar bloß hilfsweise - auf die Fälle einer Entscheidung nach Art einer abändernden Rechtsmittelentscheidung abzielt.

Schlagworte

Zivildienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B362.1976

Dokumentnummer

JFT_10199771_76B00362_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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