TE Vfgh Erkenntnis 1980/3/5 B400/78

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Veröffentlicht am 05.03.1980
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art11 Abs1 Z4
B-VG Art144 Abs1 / Anhaltung
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
StGG Art8
PersFrSchG §4
VfGG §20 Abs2
VfGG §83 Abs1
VfGG §88
VStG §53 Abs1, §53 Abs4

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG; Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt; Vollzug einer Freiheitsstrafe ist von der in §53 Abs1 VStG 1950 zwingend vorgesehenen Aufforderung zum Antritt der Freiheitsstrafe abhängig; Verletzung der persönlichen Freiheit

Spruch

Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er am 4. Juni 1978 durch Organe des Gendarmeriepostenkommandos Kitzbühel festgenommen und in der Folge etwa zwei Stunden angehalten worden ist, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Das Land Tirol ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit ... S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung (§132 Abs1 WrStV iVm Z1 der Verordnung LGBl. 9/1973) vom 3. Juni 1977, zugestellt am 17. Juni 1977, wurde über den Beschwerdeführer wegen einer am 7. Juni 1975 begangenen Verwaltungsübertretung nach §99 Abs1 litb iVm §5 Abs4 lita StVO 1960 eine Geldstrafe von 5000 S sowie eine Ersatzarreststrafe in der Dauer von einer Woche verhängt: Der Beschwerdeführer hatte sich als Lenker des PKW mit der Kennzeichennummer T ... geweigert, sich von einem Organ der Straßenaufsicht einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt zwecks Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung vorführen zu lassen, obwohl eine vorausgegangene Alkohol-Testprobe positiv verlaufen war und der Verdacht bestand, daß er sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befand.

b) Am 5. Juli 1977 wurde der Beschwerdeführer vom Bezirkspolizeikommissariat Währing der Bundespolizeidirektion Wien zum Erlag der Geldstrafe aufgefordert, hat dieser Aufforderung aber nicht Folge geleistet. In der Folge versuchte das Bezirkspolizeikommissariat Währing den Wohnsitz des Beschwerdeführers zu eruieren und richtete mehrfach Strafvollzugsersuchen an die Bezirksverwaltungsbehörden des vermuteten Wohnortes des Beschwerdeführers, zuletzt am 19. Mai 1978 an die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel mit dem Vermerk: "Bitte in Anbetracht der bevorstehenden Vollstreckungsverjährung Ersatzarreststrafe unbedingt vollziehen! Verjährung 5. Juni 1978!"

Die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel beauftragte sodann am 1. Juni 1978 das Gendarmeriepostenkommando Kitzbühel, den Beschwerdeführer der Bundespolizeidirektion Innsbruck zum Vollzug einer Ersatzarreststrafe vorzuführen, sofern nicht der Nachweis erbracht werden könne, daß der Beschwerdeführer die Geldstrafe bezahlt habe; auf die mit 5. Juni 1978 drohende Vollstreckungsverjährung wurde das Gendarmeriepostenkommando hingewiesen. Mehrere Versuche seitens der Gendarmeriebeamten, den Beschwerdeführer zu erreichen, scheiterten zunächst.

c) Am 4. Juni 1978 wurde der Beschwerdeführer gegen 19 Uhr in einem öffentlichen Bad in Kitzbühel von zwei Gendarmeriebeamten entdeckt und festgenommen. Eine Aufforderung zum Strafantritt war dem Beschwerdeführer weder vorher zugestellt noch bei diesem Anlaß übergeben worden. Nach seiner Festnehmung wurde der Beschwerdeführer zum Gendarmerieposten Kitzbühel gebracht, wo ihm eine Verständigung ausgehändigt wurde, in der es ua. heißt: "Die Einbringlichkeit der Geldstrafe war bisher nicht gegeben. Es muß daher Ihre Vorführung zur Verbüßung der Ersatzarreststrafe bei der Bundespolizeidirektion Innsbruck ... veranlaßt werden."

Nach Erlag des Betrages von 5000 S durch die Mutter des Beschwerdeführers wurde dieser knapp vor 21 Uhr freigelassen.

2. Gegen die Festnehmung und Anhaltung richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit behauptet und beantragt wird, diese Rechtsverletzung festzustellen.

Die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel und die Bundespolizeidirektion Wien haben Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die in Punkt I.1. getroffenen Feststellungen stützen sich auf den Inhalt der Verwaltungsakten; soweit diese unvollständig sind, hat der VfGH die Feststellungen gem. §20 Abs2 VerfGG auf Grundlage der Behauptungen des Beschwerdeführers getroffen.

2. a) Es ist unbestritten, daß die geschilderte Festnehmung und Anhaltung stattgefunden hat. Ein derartiges Vorgehen ist ein in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergehender Verwaltungsakt, der nach Art144 B-VG beim VfGH bekämpfbar ist.

b) Nach §4 des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Hiezu zählt auch die Bestimmung des §53 VStG 1950. Der Beschwerdeführer wäre aber dann durch die Festnehmung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden, wenn die Festnehmung in dieser Gesetzesvorschrift nicht gedeckt wäre.

c) Die Gesetzmäßigkeit des Vollzugs einer Freiheitsstrafe ist zunächst davon abhängig, daß die betreffende Verwaltungsstrafe rechtskräftig verhängt ist. Dies war hier unbestritten der Fall.

Gem. §53 Abs4 VStG 1950 darf eine Ersatzarreststrafe nur dann vollzogen werden, wenn die "Geldstrafe ganz oder zum Teil uneinbringlich oder dies mit Grund anzunehmen" ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde aufgrund der Tatsache, daß sie den Aufenthalt des Beschwerdeführers zum Zweck der Vollstreckung der rechtskräftig verhängten Strafe bis knapp vor Eintritt der Vollstreckungsverjährung trotz vielfacher Bemühung nicht auffinden konnte, zur Annahme berechtigt war, die über den Beschuldigten verhängte Geldstrafe sei mit hoher Wahrscheinlichkeit uneinbringlich, was gem. §53 Abs4 VStG 1950 Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vollziehung einer Ersatzarreststrafe wäre. Wie der VfGH nämlich in ständiger Rechtsprechung erkannt hat (vgl. zB VfSlg. 5529/1967, 6352/1970, 7015/1973, 7371/1974, 8297/1978, B184/79 v. 10. 10. 1979 ua.) ist die Gesetzmäßigkeit des Vollzugs einer Freiheitsstrafe, und zwar auch einer Ersatzarreststrafe, auch davon abhängig, daß die in §53 Abs1 VStG 1950 zwingend vorgesehene Aufforderung zum Antritt der Freiheitsstrafe ergangen ist.

Eine solche Aufforderung ist dem Beschwerdeführer aber nicht zugestellt worden. Lediglich eine Verständigung über die Anordnung der Vorführung wurde dem Beschwerdeführer am Gendarmerieposten überreicht.

d) Die Festnehmung und Anhaltung des Beschwerdeführers war daher in §53 VStG 1950 nicht gedeckt. Der Beschwerdeführer wurde deshalb in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.

3. Die Entscheidung konnte gem. §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden, da die Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des VfGH bereits genügend klargestellt sind.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist als belangte Behörde nicht die beauftragende, sondern die beauftragte Behörde, also jene anzusehen, die dem Beschwerdeführer gegenüber handelnd aufgetreten ist (vgl. VfSlg. 3449/1958, 6352/1970), in concreto daher die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel. Da diese bei der Vollziehung der Verwaltungsstrafe nach der StVO 1960 in ihrer Funktion als Landesverwaltungsorgan (Art11 Abs1 Z4 B-VG) gehandelt hat, war das Land Tirol zum Kostenersatz zu verpflichten (vgl. VfSlg. 8297/1978).

Schlagworte

VfGH / Kosten, VfGH / Vorverfahren, VfGH / Sachentscheidung Allg, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Festnehmung, Anhaltung, Vollzug Strafe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B400.1978

Dokumentnummer

JFT_10199695_78B00400_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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