TE Vfgh Erkenntnis 1980/3/14 B169/78, G20/78

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Veröffentlicht am 14.03.1980
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Allg
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art7 Abs1 / Staatsangehörigkeit
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
MRK Art14
AVG §58 Abs1
StbG 1965 §9
StbG 1965 §41 Abs1
StbG 1965 §43 Abs3
StV Wien 1955 Art6

Leitsatz

Staatsbürgerschaftsgesetz 1965; Individualantrag auf teilweise Aufhebung des §9; kein Entzug des gesetzlichen Richters; Gleichheitsrecht nur österreichischen Staatsbürgern gewährleistet

Spruch

Die von H. P. erhobene Beschwerde wird abgewiesen.

Die von M. P. erhobene Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der von M. P. eingebrachte Gesetzesprüfungsantrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1.a) H. und M. P. haben am 16. April 1977 vor dem Standesamt Villach die Ehe geschlossen. Der Erstbeschwerdeführer H. P. war damals nicht österreichischer Staatsbürger, sondern Staatsangehöriger der Bundesrepublik Deutschland; daran hat sich den Aktenunterlagen zufolge bisher nichts geändert. Die Zweitbeschwerdeführerin und Antragstellerin M. P. besaß damals und besitzt auch heute noch die österreichische Staatsbürgerschaft.

b) Am 21. November 1977 gab H. P. unter Hinweis auf die erfolgte Eheschließung die Erklärung ab, der Republik Österreich als getreuer Staatsbürger angehören zu wollen. Die Eingabe schließt mit den Worten: "Ich bitte um wohlwollende Erledigung meines Ansuchens."

Der Magistrat der Stadt Villach hat diese Eingabe als Erklärung nach §9 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965, BGBl. 250 (StbG), aufgefaßt und mit Bescheid vom 24. November 1977 den "schriftlichen Antrag vom 21. November 1977 ... wegen Nichtzutreffens der gesetzlichen Voraussetzungen zurückgewiesen".

Dagegen hat H. P. mit der Begründung Berufung erhoben, daß §9 StbG dem Gleichheitsgebot widerspreche.

Die Ktn. Landesregierung hat mit Bescheid vom 9. Jänner 1978 dieser Berufung keine Folge gegeben und dies damit begründet, daß nach §9 StbG ausdrücklich nur "eine Fremde", also nur eine Person weiblichen Geschlechts, die rechtliche Möglichkeit habe, die österreichische Staatsbürgerschaft durch Abgabe einer Erklärung zu erwerben, wenn die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind.

2. a) Gegen diesen Bescheid erheben H. P. und seine Ehegattin M. P. die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH. Darin wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung (§9 StbG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, allenfalls die Abtretung der Beschwerde an den VwGH begehrt.

b) M. P. stellt überdies den auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag "die Abs1 und 4 des §9 StbG 1965, allenfalls nur die Worte 'eine Fremde', 'getreue Staatsbürgerin', in Z1 'ihr Ehegatte' und in Z3 'sie' und 'Fremde' im §9 Abs1 StbG 1965, BGBl. 250/1965, sowie die Worte 'eine Fremde' und 'sie' im §9 Abs4 leg. cit. als verfassungswidrig aufzuheben".

II. Der VfGH hat erwogen:

A. Zum Individualantrag nach Art140 B-VG:

1. M. P. begründet ihre Legitimation zur Erhebung des auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Individualantrages im wesentlichen damit, daß §9 StbG einen Eingriff in ihre Privatrechtssphäre darstelle, der ihre rechtlich geschützten Interessen aktuell beeinträchtige. Sie habe ein eminentes Interesse daran, daß ihr Gatte die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben könne; er finde als Ausländer in Österreich keinen Arbeitsplatz, obgleich er arbeitsfähig und arbeitswillig sei. Der ihr gem. §94 ABGB zukommende Unterhaltsanspruch lasse sich tatsächlich nur dann verwirklichen, wenn ihr Gatte einer Beschäftigung nachgehen könne, was wiederum die österreichische Staatsbürgerschaft zur Voraussetzung habe.

2. Wie der VfGH in ständiger Judikatur - beginnend mit Beschluß VfSlg. 8009/1977 - dargetan hat, ist grundlegende Voraussetzung der Legitimation zur Stellung eines Individualantrages nach Art140 Abs1 B-VG, daß die angefochtene Gesetzesstelle die Rechtssphäre des Antragstellers berührt, daß die Vorschrift in seine Rechtssphäre eingreift und diese - im Falle der Verfassungswidrigkeit - verletzt. Derjenige, für den das Gesetz bloß faktische Wirkungen zeitigt, ist zur Anfechtung nicht berechtigt.

Die Antragstellerin ist österreichische Staatsbürgerin. §9 StbG (Wortlaut s. u. II.B.1.) wendet sich seinem Inhalt nach nur an Fremde, also nicht an die Antragstellerin. Die von ihr behaupteten Wirkungen - nur auf diese kommt es bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Individualantrages an - der angefochtenen Gesetzesstelle können daher niemals ihre Rechtssphäre betreffen. Die von ihr ins Treffen geführten Wirkungen sind ausschließlich faktischer Natur.

3. Der von M. P. eingebrachte Individualantrag war daher mangels Antragslegitimation zurückzuweisen.

B. Zu den Beschwerden nach Art144 B-VG:

1. §9 Abs1 StbG lautet:

"Eine Fremde erwirbt durch die Erklärung, der Republik als getreue Staatsbürgerin angehören zu wollen, die Staatsbürgerschaft, wenn

1. ihr Ehegatte die Staatsbürgerschaft besitzt;

2. die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist und

3. sie nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach §33 Fremde ist."

Nach §9 Abs2 ist die Erklärung in schriftlicher Form abzugeben.

§9 Abs3 lautet:

"Liegen die Voraussetzungen der Abs1 und 2 vor, so hat die Behörde (§41) den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu bescheinigen."

Dem §9 Abs4 zufolge hat der österreichische Standesbeamte eine Fremde, die vor ihm die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger eingeht, vor oder bei Eheschließung über die Bestimmungen der Abs1 und 3 zu belehren.

2. Die belangte Behörde hat der vom Beschwerdeführer H. P. gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Villach erhobenen Berufung keine Folge gegeben und damit eine Entscheidung getroffen, die denselben Inhalt wie der erstinstanzliche Bescheid hat.

Im Bescheid des Magistrates der Stadt Villach wird zwar der Antrag des Beschwerdeführers H. P. "zurückgewiesen". Der im Bescheidspruch enthaltene Hinweis, daß dies "wegen Nichtzutreffens der gesetzlichen Voraussetzungen" erfolge, läßt erkennen, daß die Behörde sich nur im Ausdruck vergriffen und tatsächlich eine Sachentscheidung getroffen hat. Mit dem Bescheid wird sohin ausgedrückt, daß das Begehren des Beschwerdeführers H. P. auf Ausstellung einer Bescheinigung über den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nach §9 StbG abgewiesen wird.

3. Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß bei diesem Inhalt des angefochtenen Bescheides dieser ausschließlich die Rechtsstellung des Beschwerdeführers H. P., nicht aber auch jene seiner Ehegattin M. P. berührt. Diese ist daher nicht legitimiert, gegen den angefochtenen Bescheid der Ktn. Landesregierung Beschwerde an den VfGH zu erheben.

Ihre Beschwerde war daher zurückzuweisen.

Der Antrag, ihre Beschwerde dem VwGH abzutreten, war abzuweisen, da eine solche Abtretung gem. Art144 Abs2 B-VG nur für den Fall vorgesehen ist, daß der VfGH in der Sache selbst in dem Sinn entscheidet, daß durch den angefochtenen Bescheid ein Recht iS des Abs1 nicht verletzt wurde, nicht aber auch für den Fall, daß die Zurückweisung der Beschwerde aus formalrechtlichen Gründen erfolgt.

4. a) Die von H. P. erhobene Beschwerde ist, da alle Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

b) Die belangte Behörde hat im Instanzenzug den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Bescheinigung über den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft abgewiesen (s. o. II.B.2). Sie hat also eine Sachentscheidung getroffen. Hiezu war sie zuständig (vgl. §43 Abs3 iVm §41 Abs1 StbG).

Der Beschwerdeführer ist also nicht in dem von ihm geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

c) Der Beschwerdeführer bringt auch vor, im Gleichheitsrecht verletzt worden zu sein, und zwar dadurch, daß die den angefochtenen Bescheid vornehmlich tragende Bestimmung des §9 StbG gleichheitswidrig sei.

Das durch Art7 B-VG und Art2 StGG gewährleistete Recht der Gleichheit ist nur österreichischen Staatsbürgern, nicht aber auch Ausländern gewährleistet (vgl. zB VfSlg. 7893/1976). Art14 MRK und Art6 des Staatsvertrages von Wien haben den Kreis der Personen, denen in Österreich das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz zusteht, nicht erweitert (vgl. zB VfSlg. 7307/1974, 7581/1975).

Da der Beschwerdeführer H. P. nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, ist es sohin ausgeschlossen, daß er durch den angefochtenen Bescheid im Gleichheitsrecht verletzt worden ist.

Dies gilt auch für den gegen die Verfassungsmäßigkeit der den Bescheid tragenden Bestimmung (§9 StbG) gerichteten Vorwurf. Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 7448/1974 ausgeführt, daß für eine Gesetzesbestimmung, die voraussetzungsgemäß nur Ausländer betrifft, der Gleichheitsgrundsatz keine Geltung hat. Der VfGH sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

§9 StbG wendet sich nur an Ausländer.

d) Da das Verfahren weder die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes noch die Verletzung in einem Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm ergeben hat, war die von H. P. erhobene Beschwerde abzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Legitimation, Staatsangehörigkeit, Ausländer, Staatsbürgerschaftsrecht, Bescheid Spruch, Auslegung eines Bescheides

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B169.1978

Dokumentnummer

JFT_10199686_78B00169_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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