TE Vfgh Erkenntnis 2006/3/15 V105/05

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.03.2006
beobachten
merken

Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs3
BGBlG 2004 (Art4 KundmachungsreformG 2004) §4 Abs1 Z2
Medizinischer Masseur- und HeilmasseurG - MMHmG §84 Abs7
Medizinischer Masseur- und Heilmasseur-AusbildungsV, BGBl II 250/2003 - MMHmAV
Erlass der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen vom 09.03.05. GZBMGF-92266/0049-I/B/6/2004

Leitsatz

Aufhebung eines - hinsichtlich der in Prüfung gezogenen Teile - als Verordnung zu qualifizierenden Erlasses über die verbindliche Auslegung des geforderten Qalifikationsnachweises für eine Ausnahme vom Erfordernis der Aufschulung für gewerbliche Masseure mangels Kundmachung im Bundesgesetzblatt

Spruch

Folgende Teile des Erlasses der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen vom 9. März 2005, GZ BMGF-92266/0049-I/B/6/2004, werden als gesetzwidrig aufgehoben:

1. der vorletzte und letzte Satz im achten Absatz ("Seitens der Bezirksverwaltungsbehörden ist die qualifizierte Leistungserbringung in jedem Einzelfall durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu überprüfen. Gemäß §76 Abs1 AVG sind die Kosten dafür von den MasseurInnen zu tragen."),

2. der neunte Absatz ("Es wird angeregt, als Sachverständige die Mitglieder der Abschlussprüfungskommission gemäß §47 Abs1 MMHm-AV heranzuziehen."),

3. der zehnte Absatz ("Im Rahmen des Gutachtens sind Kenntnisse und Fähigkeiten der Lehrinhalte der Anlage 8 - insbesondere die Inhalte der Unterrichtsfächer '9. Massagetechniken zu Heilzwecken' und '3. Pathologie' - als wesentliche Kriterien einer qualifizierten Leistungserbringung zu überprüfen.") sowie

4. die Wortfolge "bzw. die den Anforderungen der Sachverständigen nicht entsprochen haben" im elften Absatz.

Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B561/05 eine auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Der Beschwerdeführer übt das reglementierte Gewerbe der Masseure (§94 Z48 GewO 1994) aus.

1.2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 26. September 2003 untersagte der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich - gestützt auf §46 des Medizinischer Masseur- und Heilmasseurgesetzes - MMHmG, BGBl. I Nr. 169/2002 - dem Beschwerdeführer die freiberufliche Ausübung der Tätigkeit eines Heilmasseurs. Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer weder den nach §46 Abs1 Z1 MMHmG vorgeschriebenen Qualifikationsnachweis erbracht habe noch auf Grund der Übergangsbestimmung des §84 MMHmG unmittelbar berechtigt sei, die Tätigkeit eines Heilmasseurs auszuüben.

1.3. Die zuletzt genannte Bestimmung des §84 MMHmG (idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 66/2003) lautete samt Überschrift:

"Gewerbliche Masseure

§84. (1) Personen, die zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes

1. die Befähigung für das reglementierte Gewerbe der Massage gemäß der Verordnung über den Befähigungsnachweis für das gebundene Gewerbe der Masseure, BGBl. Nr. 618/1993, auf Grund einer erfolgreich abgelegten Prüfung nach dem 1. Oktober 1986 nachgewiesen haben und

2. das reglementierte Gewerbe der Massage (§94 Z48 GewO 1994) tatsächlich und rechtmäßig selbständig über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren ausgeübt haben,

sind berechtigt, bis zum Ablauf des 31. Dezember 2007 eine Aufschulung zum Heilmasseur gemäß diesem Bundesgesetz zu absolvieren.

(2) Personen, die

1. vor dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes das reglementierte Gewerbe der Massage tatsächlich und rechtmäßig selbständig über einen Zeitraum von mindestens sechs Jahren ausgeübt haben und

2. die Befähigung für das reglementierte Gewerbe der Massage ohne Absolvierung einer entsprechenden fachlichen Prüfung rechtmäßig erlangt haben und

3. bis zum Ablauf des vierten dem In-Kraft-Treten folgenden Jahres die Befähigungsprüfung gemäß §2 der Verordnung über den Befähigungsnachweis für das gebundene Gewerbe der Masseure, BGBl. Nr. 618/1993, erfolgreich absolvieren,

sind berechtigt, bis zum Ablauf des 31. Dezember 2007 eine Aufschulung zum Heilmasseur gemäß diesem Bundesgesetz zu absolvieren.

(3) Die Aufschulung gemäß Abs1 und 2 besteht aus

1. einer theoretischen Ausbildung in der Dauer von 360 Stunden und einer praktischen Ausbildung in der Dauer von 80 Stunden sowie

2. der kommissionellen Abschlussprüfung (§54).

(4) Personen, die die kommissionelle Abschlussprüfung gemäß Abs3 Z2 mit Erfolg abgelegt haben, ist ein Zeugnis, in dem jedenfalls die gesetzliche Grundlage für die Antrittsberechtigung, der Prüfungserfolg sowie die Berufsbezeichnung 'Heilmasseur'/'Heilmasseurin' anzuführen sind, auszustellen.

(5) Die Ausbildung und die kommissionelle Abschlussprüfung gemäß Abs3 dürfen zweimal wiederholt werden. Wird die zweite Wiederholungsprüfung nicht erfolgreich absolviert, ist die Absolvierung der verkürzten Ausbildung zum medizinischen Masseur gemäß §26 und in weiterer Folge die Absolvierung des Aufschulungsmoduls zum Heilmasseur zulässig.

(6) Ein Zeugnis gemäß Abs4 gilt als Qualifikationsnachweis gemäß §36 Z4.

(7) Gewerbliche Masseure, deren qualifizierte Leistungserbringung durch direkte Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes nachgewiesen ist, können auch ohne Aufschulung eine Tätigkeit als Heilmasseur ausüben."

Mit Erkenntnis vom 30. September 2004, G21/04 ua., hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "durch direkte Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern" in §84 Abs7 MMHmG als verfassungswidrig auf (vgl. BGBl. I Nr. 141/2004) und begründete dies wie folgt:

"Der Verfassungsgerichtshof hegt an sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Regelung, durch die im Zusammenhang mit neuen gesetzlichen Anforderungen, die an eine Berechtigung zur Ausübung eines bestimmten Berufes gestellt werden, im Übergangsrecht Sonderregelungen für Personen geschaffen werden, von denen der Gesetzgeber mit Grund annehmen kann, dass sie schon bisher über hinreichende, den neuen gesetzlichen Anforderungen im Wesentlichen entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen. Dieser Personenkreis muss jedoch von jenen Personen, die den strengeren Bestimmungen unterliegen, nach sachlichen Kriterien abgegrenzt sein.

Die alleinige Anknüpfung an das Bestehen eines Kassenvertrages bzw. an das Bestehen eines - direkten oder indirekten - Abrechnungsverhältnisses mit einem Sozialversicherungsträger ist dafür kein geeignetes Differenzierungskriterium: Auch wenn das Bestehen solcher Rechtsverhältnisse zu einem Sozialversicherungsträger geeignet wäre, die im vorliegenden Zusammenhang erforderliche Qualifikation nachzuweisen, so ist es sachlich nicht gerechtfertigt, andere Berufsausübende, die gleichwertige Kenntnisse und Berufserfahrungen erworben haben, jedoch keinen Vertrag eines Sozialversicherungsträgers erhalten konnten oder in vergleichbaren Vertragsverhältnissen zu Krankenfürsorgeträgern stehen, durch die Ausschließlichkeit dieses Differenzierungsmerkmals vom Nachweis ihrer Fähigkeiten und damit von der Begünstigung auszuschließen. Es wird daher im Ergebnis nur eine Gruppe aus dem in Betracht kommenden Personenkreis gleicher fachlicher Qualifikation begünstigt, der durch das strittige Differenzierungsmerkmal nicht annähernd vollständig erfasst wird.

Die in Prüfung stehende Bestimmung des §84 Abs7 MMHmG widerspricht daher insoweit sowohl dem (auch die Gesetzgebung bindenden) Gleichheitsgebot als auch dem Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung.

...

... Zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage genügt es ..., die Wortfolge 'durch direkte Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern' in §84 Abs7 MMHmG aufzuheben.

Der Verfassungsgerichtshof ließ sich hiebei von der Überlegung leiten, dass der nach Entfall der aufgehobenen Wortfolge verbleibende Rest des §84 Abs7 MMHmG weder einen völlig veränderten, dem Gesetzgeber nicht mehr zusinnbaren Inhalt annähme noch gänzlich unbestimmt wäre, sondern vielmehr einer Auslegung im Sinne des Gesetzes und damit einer dem Rechtsstaatlichkeitsgebot entsprechenden Vollziehung zugänglich ist:

a) §84 Abs3 MMHmG sieht eine gegenüber dem allgemeinen Ausbildungsweg verkürzte 'Aufschulung' vor, die als Übergangsregelung den in §84 Abs1 und 2 MMHmG genannten Personenkreisen unter den dort jeweils näher umschriebenen Voraussetzungen offen steht. §84 Abs7 MMHmG in der bisherigen Fassung enthielt eine zusätzliche Ausnahme von dem Erfordernis einer 'Aufschulung' unter der Voraussetzung der oben näher beschriebenen Rechtsbeziehungen zu einem Krankenversicherungsträger.

b) Auch in der bereinigten Fassung besteht - im Falle des Nachweises einer entsprechend qualifizierten Leistungserbringung (als Masseur) - eine Ausnahme von der Verpflichtung zur 'Aufschulung'; diese Ausnahme ist jedoch - weiterhin - an das Vorliegen der in §84 Abs1 und Abs2 MMHmG genannten allgemeinen Voraussetzungen geknüpft.

Damit kann aber dem Anliegen des Gesetzes, ein möglichst hohes Qualitätsniveau zu gewährleisten, weiterhin Rechnung getragen werden, und es ist auch die Beurteilung einer 'qualifizierten Leistungserbringung' anhand der dem Gesetz (allenfalls auch unter Heranziehung von Gesetzesmaterialien) zu entnehmenden Wertungen in einer rechtsstaatlich einwandfrei nachvollziehbaren Weise im Einzelfall möglich."

Der an den Beschwerdeführer ergangene Berufungsbescheid des UVS Oberösterreich wurde sodann vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 6. Oktober 2004, B1551/03, mit folgender Begründung aufgehoben:

"Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet.

Nach der bereinigten Rechtslage ist der vorgeschriebene Qualifikationsnachweis - auch - erbracht, wenn die Anforderungen des §84 Abs1 oder Abs2 MMHmG erfüllt sind und eine (die in §84 Abs3 MMHmG vorgesehene 'Aufschulung' entbehrlich machende) 'qualifizierte Leistungserbringung' (§84 Abs7 MMHmG) zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes nachgewiesen ist. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, lässt sich vor Gewährung des Parteiengehörs zur bereinigten Rechtslage nicht abschließend beurteilen. Soweit die belangte Behörde dazu in ihrer Gegenschrift Stellung genommen hat, vermag dies eine auf Grund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens gegebene nachvollziehbare Bescheidbegründung nicht zu ersetzen ... Nach Lage des Falles ist es daher nicht ausgeschlossen, dass die Anwendung der als verfassungswidrig erkannten Gesetzesstelle für die Rechtsposition des Beschwerdeführers nachteilig war."

1.4. Mit Bescheid vom 7. April 2005 gab der UVS Oberösterreich der Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Untersagungsbescheid statt; dieser Bescheid wurde gemäß §66 Abs2 AVG aufgehoben und die Angelegenheit an die Behörde erster Instanz "zur allfälligen Durchführung einer Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides" zurückverwiesen. Der UVS Oberösterreich begründete diese Entscheidung wie folgt:

"Gemäß §84 Abs7 MMHmG i.d.F. BGBl. Nr. I 141/2004 (= Kundmachung der Aufhebung einer Wortfolge in dieser Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof) können gewerbliche Masseure, deren qualifizierte Leistungserbringung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des MMHmG (1. April 2003) - in anderer, inhaltlich adäquater Form (vgl. VfGH-Erkenntnis vom 30. September 2004, G21/04 u.a.) - nachgewiesen ist, auch ohne 'verkürzte' Aufschulung eine Tätigkeit als Heilmasseur ausüben.

Gewerbliche Masseure müssen somit eine Qualifikation nachweisen, die inhaltlich jener entspricht, wie sie die theoretische und praktische Ausbildung nach §84 Abs3 MMHmG vorsieht und durch die §§72 bis 77 i.V.m. Anlage 8 der 'Medizinischer Masseur- und Heilmasseur-Ausbildungsverordnung', BGBl. Nr. II 250/2003 (im Folgenden: MMHmAV), näher spezifiziert ist.

Konkret muss daher der Qualifikationsnachweis einerseits einem theoretischen Lehrinhalt über 'Recht und Ethik' (im Ausmaß von 20 Wochenstunden, vermittelt durch einen Juristen oder eine sonstige fachkompetente Person), über 'Anatomie und Physiologie' (im Ausmaß von 70 Wochenstunden, vermittelt durch einen Arzt), über 'Pathologie' (vermittelt durch einen Facharzt eines einschlägigen Sonderfaches), über 'Hygiene' (im Ausmaß von 20 Wochenstunden, vermittelt durch einen Arzt), über 'Erste Hilfe' (im Ausmaß von 10 Wochenstunden, vermittelt durch einen Arzt), über 'Physik' (im Ausmaß von 30 Wochenstunden, vermittelt durch eine fachkompetente Person), über 'Kommunikation' (im Ausmaß von 10 Wochenstunden, vermittelt durch eine fachkompetente Person), über 'Dokumentation' (im Ausmaß von 20 Wochenstunden, vermittelt durch eine fachkompetente Person) und über 'Massagetechniken zu Heilzwecken' (im Ausmaß von 30 Wochenstunden, vermittelt durch einen Physiotherapeuten, Heilmasseur oder einen Facharzt) sowie andererseits einer praktischen Ausbildung in 'Massagetechniken zu Heilzwecken unter besonderer Berücksichtigung spezieller Krankheitsbilder' (im Ausmaß von 80 Wochenstunden) adäquat sein.

Zum Zweck des Nachweises einer derartigen Qualifikation wurde dem Rechtsmittelwerber die Möglichkeit eingeräumt, dem Oö. Verwaltungssenat geeignete Belege zu übermitteln; dementsprechend hat der Berufungswerber mit Schriftsatz vom 4. Februar 2005 mehrere Unterlagen nachgereicht.

... In der Folge hat auch die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen mittels Erlass vom 9. März 2005, Zl. BMGF-92266/0049-I/B/6/2004, festgestellt, dass als Voraussetzung für eine Anwendung des §84 Abs7 MMHmG zunächst die Absätze 1 und 2 des §84 MMHmG erfüllt sein müssen. Eine qualifizierte Leistungserbringung ist seitens der Behörden in jedem Einzelfall durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu überprüfen, wobei die Kosten dafür von den Genehmigungswerbern zu tragen sind.

Davon ausgehend sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Rechtsmittelwerber explizit eine mündliche Verhandlung beantragt hat und der Oö. Verwaltungssenat über keinen eigenständigen Sachverständigenapparat verfügt und diesbezüglich nicht auf amtliche Sachverständige zurückgreifen kann, ist im gegenständlichen Fall die Durchführung einer solchen durch die Erstbehörde unabdingbar."

Der in der Bescheidbegründung zitierte - an alle Landeshauptmänner adressierte - Erlass der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen vom 9. März 2005 hat auszugsweise folgenden Wortlaut (die in Prüfung gezogenen Teile sind hervorgehoben):

"Sehr geehrte Damen und Herren!

Bezugnehmend auf das aufhebende Erkenntnis des VfGH vom 30. September 2004 betreffend §84 Abs7 MMHmG ... teilt das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen Folgendes mit:

...

§84 Abs7 lautet nunmehr:

'(7) Gewerbliche Masseure, deren qualifizierte Leistungserbringung zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens dieses Bundesgesetzes nachgewiesen ist, können auch ohne Aufschulung eine Tätigkeit als Heilmasseur ausüben.'

Eine Änderung der genannten Bestimmung ist derzeit nicht geplant.

Entsprechend der nunmehr geltenden Rechtslage besteht im Falle des Nachweises einer qualifizierten Leistungserbringung eine Ausnahme von der Verpflichtung zur Aufschulung gemäß §84 Abs3 MMHmG. Diese Ausnahme ist jedoch weiterhin an das Vorliegen der in §84 Abs1 und 2 MMHmG genannten allgemeinen Voraussetzungen geknüpft.

Dies bedeutet, dass als Voraussetzung für die Anwendung des §84 Abs7 MMHmG Abs1 und 2 des §84 MMHmG erfüllt sein müssen. Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist die Anwendung des §84 Abs7 zulässig.

Was die qualifizierte Leistungserbringung gemäß §84 Abs7 MMHmG betrifft, so ist diese von den MasseurInnen nachzuweisen. Seitens der Bezirksverwaltungsbehörden ist die qualifizierte Leistungserbringung in jedem Einzelfall durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu überprüfen. Gemäß §76 Abs1 AVG sind die Kosten dafür von den MasseurInnen zu tragen.

Es wird angeregt, als Sachverständige die Mitglieder der Abschlussprüfungskommission gemäß §47 Abs1 MMHm-AV heranzuziehen.

Im Rahmen des Gutachtens sind Kenntnisse und Fähigkeiten der Lehrinhalte der Anlage 8 - insbesondere die Inhalte der Unterrichtsfächer '9. Massagetechniken zu Heilzwecken' und

'3. Pathologie' - als wesentliche Kriterien einer qualifizierten Leistungserbringung zu überprüfen.

Personen, die die Voraussetzungen des §84 Abs1 und 2 nicht erfüllen bzw. die den Anforderungen der Sachverständigen nicht entsprochen haben, dürfen eine Tätigkeit als HeilmasseurIn nicht ausüben. ...

...

Mit freundlichen Grüßen

Für die Bundesministerin:

..."

2. Bei Behandlung der Beschwerde gegen den vorhin genannten Bescheid des UVS Oberösterreich ist im Verfassungsgerichtshof das Bedenken entstanden, der soeben wiedergegebene Erlass sei (zum Teil) als Verordnung zu werten, als solche aber nicht dem Gesetz entsprechend kundgemacht worden; er hat daher am 12. Oktober 2005 beschlossen, die hervorgehobenen Teile dieses Erlasses einem Verordnungsprüfungsverfahren zu unterziehen.

3. Die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen erstattete eine schriftliche Äußerung; darin stellt sie den Antrag, den in Prüfung gezogenen Erlass nicht aufzuheben. Begründend wird dazu ua. Folgendes ausgeführt:

"Die durch das aufhebende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (G54/04 ua) am 30. September 2004 geschaffene und mit BGBl. I Nr. 141/2004 kundgemachte Regelung des §84 Abs7 MMHmG enthielt nicht mehr die Voraussetzung der direkten Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenversicherungsträgern. Voraussetzung für die Anwendung der Übergangsbestimmung - abgesehen von Abs1 und 2 des §84 MMHmG - war nunmehr bloß der Nachweis der 'qualifizierten Leistungserbringung' durch die gewerblichen Masseure/Masseurinnen.

Im Rahmen der Vollziehung ergab sich in der Folge das Problem des nunmehr zentralen Nachweises der 'qualifizierten Leistungserbringung' durch die gewerblichen Masseure/Masseurinnen zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des MMHmG.

Es galt, aus Gründen der Qualitätssicherung und des Patientenschutzes eine österreichweit möglichst einheitliche Vorgangsweise zur Vollziehung der Bestimmung zu finden. Die Bezirksverwaltungsbehörden wurden daher mit Schreiben vom 9. März 2005, GZ 92266/0049-I/B/612004, über die VfGH-Judikatur, die Voraussetzung der Anwendung des §84 Abs7 MMHmG und die sich mit der Vollziehung dieser Bestimmung zusammenhängenden Fragen umfassend informiert.

Zu der aus Gründen des Patientenschutzes erforderlich erachteten Einholung eines Sachverständigengutachtens wurde klargestellt, dass gemäß §76 Abs1 AVG die Kosten dafür von den Masseuren/Masseurinnen zu tragen sind. Einzuräumen ist, dass die im Informationsschreiben gewählte Formulierung hinsichtlich der Einholung eines Sachverständigengutachtens als Nachweis für die qualifizierte Leistungserbringung ('in jedem Einzelfall') verkürzt ist. Es fehlt die Klarstellung im Text, dass diese Ausführungen selbstredend unbeschadet der im Ermittlungsverfahren geltenden allgemeinen Grundsätze über den Beweis anzuwenden sind und keinerlei Einschränkung der freien Beweiswürdigung gefordert wurde. In diesem Sinne wurde auch angeregt, als Sachverständige die Mitglieder der Abschlussprüfungskommission gemäß §47 MMHm-AV heranzuziehen.

Auf Grund der unterschiedlichen Ausbildung galt es als unerlässlich, dass die unter die Übergangsbestimmung des §84 Abs7 MMHmG fallenden gewerblichen Masseure/Masseurinnen insbesondere die Inhalte der Unterrichtsfächer 'Massagetechniken zu Heilzwecken' und 'Pathologie' der Anlage 8 der Medizinischer Masseur- und Heilmasseurausbildungsverordnung nachzuweisen haben, da diese Ausbildungsinhalte bzw. die Kenntnisse und Fertigkeiten über diese für die Behandlung von kranken Menschen unabdingbar sind.

Dieses zusätzliche Wissen in den genannten Fächern ist unbedingt erforderlich, um eine Gleichwertigkeit der Ausbildungen für Heilmasseure/Heilmasseurinnen herbeizuführen. Dies kann auch der Anlage 8 der Medizinischer Masseur- und Heilmasseurausbildungsverordnung entnommen werden, da die beiden Unterrichtsfächer 'Massagetechniken zu Heilzwecken und Pathologie' insgesamt 260 Stunden der 360 Stunden dauernden Aufschulung gemäß §84 Abs3 MMHmG betragen.

Auf Grund zahlreicher Anfragen der Ämter der Landesregierungen und der Bezirksverwaltungsbehörden, wie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 2004 nunmehr zu vollziehen wäre, sah sich das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen veranlasst, eine entsprechende Information (GZ 9226[6]/0049-I/B/6/2004, vom 9. März 2005) an die Ämter der Landesregierungen zu verfassen. Diese Information wurde weiters in den Mitteilungen der Sanitätsverwaltung, 106. Jahrgang, Heft 4, veröffentlicht.

Die Vollziehung in den letzten Monaten hat gezeigt, dass bei vielen gewerblichen Masseuren/Masseurinnen, die sich einem Sachverständigengutachten unterziehen bzw. bereits eines absolvierten, insbesondere im Fach 'Pathologie' mangelndes Wissen vorhanden ist und daher die Sachverständigengutachten negativ ausfallen bzw. viele gewerbliche Masseure/Masseurinnen ihre Wissensmängel und die dadurch mögliche Gefährdung von Patienten schon vorab erkennen und daher an der Aufschulung für gewerbliche Masseure gemäß §84 Abs3 MMHmG teilnehmen. Dies wurde der zuständigen Abteilung im BMGF im Rahmen von persönlichen Gesprächen bzw. Telefonaten von Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen mehrerer Ämter der Landesregierungen mitgeteilt."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Zweifel an der Zulässigkeit der Anlassbeschwerde oder an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des Erlasses sind nicht entstanden.

2. Der Erlass ist - hinsichtlich der in Prüfung gezogenen Teile - als Verordnung iS des Art139 B-VG zu qualifizieren:

2.1. Er hat schon durch seine Versendung an alle Landeshauptmänner ein solches Maß an Publizität erlangt, dass er Eingang in die Rechtsordnung gefunden hat (vgl. zB VfSlg. 14.154/1995, 15.189/1998, 16.767/2002).

2.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 8647/1979, 11.472/1987, 13.021/1992, 13.632/1993) ist für die Qualität als Verordnung nicht der formelle Adressatenkreis und die äußere Bezeichnung (vgl. zur Verordnungsqualität eines "Leitfadens": VfSlg. 15.189/1998) und auch nicht die Art der Verlautbarung, sondern der Inhalt des Verwaltungsaktes maßgebend.

2.3. Voraussetzung für die Verordnungsqualität eines als "Durchführungsrundschreiben", "Richtlinien" oder auch "Erlass" bezeichneten Verwaltungsaktes ist ua., dass seine Formulierungen imperativ gehalten sind (und sich nicht etwa in einer bloßen Wiederholung des Gesetzestextes erschöpfen), indem sie das Gesetz bindend auslegen (VfSlg. 5905/1969), und für eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen unmittelbar Geltung beanspruchen (dazu zB VfSlg. 4759/1964, 8649/1979, 8807/1980, 9416/1982, 10.170/1984, 10.518/1985, 11.467/1987, 13.021/1992, 13.632/1993).

2.4. Diese Voraussetzungen liegen hier vor:

Mit dem in Prüfung gezogenen Erlass wird die Bestimmung des §84 Abs7 MMHmG (idF der Kundmachung BGBl. I Nr. 141/2004) verbindlich dahin ausgelegt, dass die (für das Absehen vom Erfordernis einer Aufschulung iS des §84 Abs3 MMHmG erforderliche) "qualifizierte Leistungserbringung" iS des §84 Abs7 MMHmG "in jedem Einzelfall" durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (insbesondere aus den Gebieten "Massagetechniken zu Heilzwecken" und "Pathologie") zu überprüfen sei.

Durch diese präzisen Anordnungen - mögen sie auch im Gesetz Deckung finden - wird der hinsichtlich des Beweisverfahrens gegebene Spielraum der Behörde (vgl. §§37, 39 Abs2 und 46 AVG) erheblich eingeschränkt, sodass insoweit eine "neue Gestaltung der Rechtslage" vorliegt (siehe zu diesem Aspekt VfSlg. 17.244/2004 mwN; vgl. auch VfSlg. 15.694/1999).

2.5. Der Erlass ist somit - hinsichtlich seiner in Prüfung gezogenen Teile - als Verordnung eines Bundesministers anzusehen.

3. Die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken treffen daher zu: Als Verordnung wäre der Erlass gemäß §4 Abs1 Z2 des Bundesgesetzes über das Bundesgesetzblatt 2004 (BGBlG), Art4 des Kundmachungsreformgesetzes 2004, BGBl. I Nr. 100/2003, im Bundesgesetzblatt II zu verlautbaren gewesen. Da diese Publikation unterblieben ist, erweist sich der Erlass insoweit als gesetzwidrig kundgemacht.

Da der geprüfte Erlass im Übrigen ohne normativen Gehalt ist, war nicht nach Art139 Abs3 B-VG vorzugehen, sondern es waren nur die in Prüfung gezogenen - untrennbar zusammenhängenden - Teile des Erlasses aufzuheben (vgl. VfSlg. 15.189/1998).

4. Die Kundmachungspflicht der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen gründet in Art139 Abs5 B-VG und §60 Abs2 (iVm §61) VfGG sowie §4 Abs1 Z4 BGBlG.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Gesundheitswesen, Heilmasseure, Gewerberecht, Masseure, Erlaß, Verordnungsbegriff, Verordnung, Kundmachung, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Verwerfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:V105.2005

Dokumentnummer

JFT_09939685_05V00105_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten