TE Vfgh Erkenntnis 1980/6/26 B327/77

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Veröffentlicht am 26.06.1980
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art11 Abs1 Z4
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art5
StGG Art8
StVO 1960 §5 Abs4, §5 Abs6
StVO 1960 §99 Abs1 litb, §99 Abs1 litc
VStG §3 Abs1
VStG §5 Abs2

Leitsatz

StVO 1960; mit §99 Abs1 litc ist ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht nicht begründet worden; keine Bedenken gegen den Einleitungssatz des §99 Abs1; kein Entzug des gesetzlichen Richters; bewußte Verweigerung der Blutabnahme; keine denkunmögliche Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des §5 Abs6; keine Verletzung der persönlichen Freiheit

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Oö. Landesregierung vom 13. Juli 1977, VerkR-7391/1-1977-II, wurde über den Beschwerdeführer wegen einer Verwaltungsübertretung nach §5 Abs6 StVO 1960 gem. §99 Abs1 litc StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von 10000 S (Ersatzarreststrafe in der Dauer von vier Wochen) verhängt. Dieser Bescheid ist vom Amt der Oberösterreichischen (Oö.) Landesregierung für die Oö. Landesregierung (Fertigungsklausel: Für die Oö. Landesregierung: Im Auftrage: Unterschrift eines Beamten) ausgefertigt worden.

Dem Beschwerdeführer wurde zur Last gelegt, die Abnahme einer Blutprobe zum Zwecke der Blutalkoholbestimmung verweigert zu haben, obwohl er in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand einen Verkehrsunfall verursacht habe, bei dem zwei Personen erheblich verletzt worden seien.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid "in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein, nämlich Artikel 5 des Staatsgrundgesetzes, Artikel 8 des Staatsgrundgesetzes sowie Artikel 87 Absatz 2 des Bundesverfassungsgesetzes" (richtig wohl Art83 Abs2 B-VG). Er stellt den Antrag, den Bescheid kostenpflichtig aufzuheben. Für den Fall der Abweisung wird die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verhängung von Verwaltungsstrafen über den Beschwerdeführer stützt sich auf §99 Abs1 litc StVO 1960 iVm §5 Abs6 StVO 1960.

a) Der (wegen des Zusammenhanges für die inhaltliche Beurteilung des Abs6 wiedergegebene) Wortlaut der Abs1 bis 7a des §5 StVO 1960 lautet:

"§5. Besondere Sicherungsmaßnahmen gegen Beeinträchtigung durch Alkohol

(1) Wer sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befindet, darf ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 Promille und darüber gilt der Zustand einer Person als von Alkohol beeinträchtigt.

(2) Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht sind berechtigt, die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen, wenn vermutet werden kann, daß sich diese Personen in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden. Die Untersuchung ist mit geeigneten Geräten vorzunehmen.

(3) Die Organe der Straßenaufsicht sind berechtigt, Personen, die sich offenbar in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden (Abs1), an der Lenkung oder Inbetriebnahme eines Fahrzeuges zu hindern. Zu diesem Zweck sind, falls erforderlich, je nach Lage des Falles und Art des Fahrzeuges Zwangsmaßnahmen, wie etwa Abnahme der Fahrzeugschlüssel, Absperren oder Einstellen des Fahrzeuges u. dgl., anzuwenden. Solche Zwangsmaßnahmen sind unverzüglich aufzuheben, wenn bei der Person, gegen die sie angewendet worden sind, der durch Alkohol beeinträchtigte Zustand nicht mehr gegeben und ihr auch nicht ein zum Lenken des betreffenden Fahrzeuges allenfalls nötiger Führerschein nach den kraftfahrrechtlichen Vorschriften abgenommen ist oder wenn eine andere Person, bei der keine Hinderungsgründe gegeben sind, beabsichtigt, das Fahrzeug in Betrieb zu nehmen und zu lenken.

(4) Die Organe der Straßenaufsicht sind weiters berechtigt, einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt zwecks Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung vorzuführen:

a) Personen, bei denen eine Untersuchung nach Abs2 den Verdacht der Beeinträchtigung durch Alkohol ergeben hat, es sei denn, daß sie das Fahrzeug noch nicht in Betrieb genommen und in Kenntnis des Untersuchungsergebnisses von der Inbetriebnahme Abstand genommen haben,

b) Personen, die ein Fahrzeug lenken oder in Betrieb nehmen, oder zu lenken oder in Betrieb zu nehmen versuchen und sich offenbar in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befinden, wenn eine Untersuchung nach Abs2 nicht möglich ist,

c) Lenker von Fahrzeugen oder Fußgänger, die verdächtig sind, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand einen Verkehrsunfall verursacht zu haben.

(5) Wer einem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden Arzt zwecks Feststellung des Grades der Alkoholeinwirkung vorgeführt worden ist (Abs4), hat sich dieser Untersuchung zu unterziehen.

(6) (Verfassungsbestimmung.) Steht der Vorgeführte im Verdacht, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand einen Verkehrsunfall verursacht zu haben, bei dem eine Person getötet oder erheblich verletzt worden ist, so hat die Untersuchung, wenn dies erforderlich und ärztlich unbedenklich ist, eine Blutabnahme zu umfassen.

(7) Ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt hat eine Blutabnahme zum Zwecke der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes auch vorzunehmen, wenn sie ein Vorgeführter verlangt oder ihr zustimmt, oder wenn sonst eine Person, die im Verdacht steht, eine Verwaltungsübertretung gemäß §99 Abs1 lita begangen zu haben, oder ein Fußgänger, der im Verdacht steht, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand einen Verkehrsunfall verursacht zu haben, eine solche Blutabnahme verlangt.

(7a) Zum Zwecke einer Blutabnahme sind die Organe der Straßenaufsicht berechtigt, die im Abs4 genannten Personen erforderlichenfalls auch einem diensthabenden Arzt einer öffentlichen Krankenanstalt vorzuführen. Dieser hat in den Fällen der Abs6 und 7 eine Blutabnahme zum Zwecke der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes vorzunehmen."

b) §99 Abs1 StVO 1960 lautet:

"§99 Strafbestimmungen

(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 5000 S bis 30000 S, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von einer bis sechs Wochen, zu bestrafen,

(a) wer in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt,

(b) wer sich bei Vorliegen der in §5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen oder sich einem Arzt vorführen zu lassen oder sich bei Vorliegen der bezeichneten Voraussetzungen nicht der ärztlichen Untersuchung unterzieht,

(c) (Verfassungsbestimmung) wer sich bei Vorliegen der im §5 Abs6 bezeichneten Voraussetzungen weigert, sich Blut abnehmen zulassen."

2. In der Beschwerde wird ausgeführt, daß zweifelsfrei "sämtliche Überlegungen um das Problem der Zulassung der zwangsweisen Abnahme von Blut zum Zwecke der Alkoholprobe jenes der Grundrechte bzw. der Vereinbarkeit einer solchen Maßnahme mit der geltenden Verfassungsrechtsordnung" berühren.

Auf dieses Vorbringen braucht insoweit nicht eingegangen zu werden, als beim Beschwerdeführer eine Blutabnahme nicht vorgenommen wurde (vgl. VfSlg. 5295/1966). Über ihn wurde mit dem angefochtenen Bescheid, der allein Gegenstand der Beschwerde ist, gem. §99 Abs1 litc StVO 1960 eine Verwaltungsstrafe verhängt. Diese Bestimmung bildet, soweit darin der strafbare Tatbestand umschrieben ist, die im Verfassungsrang stehende Rechtsgrundlage für die Verhängung einer Strafe. Das Vorliegen der für die Verhängung einer Strafe erforderlichen übrigen Voraussetzungen ist nach den hiefür geltenden einfachgesetzlichen Vorschriften (so hinsichtlich der Zurechnungsfähigkeit und der Schuld nach dem VStG 1950, hinsichtlich der Höhe der Strafe nach dem einfachgesetzlichen Einleitungssatz des §99 Abs1 StVO 1960) zu beurteilen.

Durch die Verfassungsbestimmung des §99 Abs1 litc StVO 1960 ist ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, nur bei Vorliegen des in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen Tatbestandes bestraft zu werden, nicht begründet worden.

Es ist auch nicht erkennbar, daß der Verfassungsgesetzgeber mit der Erlassung dieser Verfassungsbestimmung die Schaffung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes beabsichtigt hätte (vgl. Bericht des Handelsausschusses über die Regierungsvorlage zum Straßenpolizeigesetz 1959 - später StVO 1960 - 240 BlgNR XI. GP s. auch VwGH 25. 5. 1964 Z 1839/62).

3. Eine Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides kommt, soweit sich dieser auf §99 Abs1 litc StVO 1960 iVm §5 Abs6 StVO 1960 stützt, im Hinblick auf den Verfassungsrang dieser Vorschriften nicht in Betracht.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit der eine Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides bildenden einfachgesetzlichen Vorschriften, insb. der einfachgesetzlichen Festsetzung der Strafhöhe im Einleitungssatz des §99 Abs1 und der bei seiner Erlassung angewendeten Vorschriften des VStG 1950 sind vom Beschwerdeführer Bedenken nicht vorgebracht worden. Im Verfahren vor dem VfGH sind solche nicht entstanden.

Aus der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides folgt, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden sein kann.

4. Der Beschwerdeführer behauptet, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, weil der angefochtene Bescheid ein solcher der mittelbaren Bundesverwaltung sei und daher vom Landeshauptmann von OÖ, nicht jedoch von der Oö. Landesregierung zu erlassen gewesen wäre.

Die Straßenpolizei ist nach Art11 Abs1 Z4 B-VG eine Angelegenheit, in der die Gesetzgebung Bundessache, die Vollziehung Landessache ist. Das Verwaltungsstrafrecht steht wegen seiner akzessorischen Natur mit der Grundmaterie "Straßenpolizei" in engem Zusammenhang. Wegen dieses Zusammenhanges gilt die für die Verwaltungsmaterie "Straßenpolizei" geltende Kompetenzregelung nach Art11 B-VG auch für die Verwaltungsmaterie "Verwaltungsstrafrecht in den Angelegenheiten der Straßenpolizei" (vgl. VfSlg. 8343/1978). Dieser Kompetenzlage entsprechen die Regelungen in der StVO 1960. Die Oö. Landesregierung war demnach zur Erlassung des angefochtenen Bescheides zuständig.

Der Beschwerdeführer ist im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden.

5. Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums könnte der Beschwerdeführer bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides, derzufolge der darin enthaltenen Vorschreibung einer Geldstrafe in das Eigentum eingreift, nur durch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung verletzt worden sein (VfGH 18. 10. 1979 B179/77). Dies wäre dann der Fall, wenn die belangte Behörde mit einer einer Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehlerhaftigkeit den angefochtenen Bescheid erlassen hätte.

a) Im Beschwerdevorbringen wird nicht bestritten, daß der Beschwerdeführer verdächtig war, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand einen Verkehrsunfall verursacht zu haben. Er bestreitet, die an ihn im Krankenhaus vom diensthabenden Arzt gerichtete Aufforderung, sich Blut abnehmen zu lassen, bewußt verweigert zu haben. Zusammenfassend wird behauptet, daß der Beschwerdeführer zufolge der beim Unfall erlittenen Verletzungen nicht fähig gewesen sei, die Frage des Arztes über die Durchführung einer Blutabnahme zu verstehen, um darauf eine klare und deutliche Antwort geben zu können. Zum Nachweis dieser Unfähigkeit habe der Beschwerdeführer ein im gerichtlichen Strafverfahren erstattetes Sachverständigengutachten der Behörde vorgelegt. In diesem Gutachten seien seine Verletzungen als "dispositionshemmend" bezeichnet worden. Dieses Gutachten sei aber von der belangten Behörde nicht verwertet worden. Ebensowenig seien die im Zuge des Ermittlungsverfahrens vom Beschwerdeführer gestellten Beweisanträge auf Einholung weiterer Gutachten - insb. eines Gutachtens eines Sachverständigen auf dem Gebiete der Neurologie/Psychologie - beachtet worden.

b) Mit diesem Vorbringen wird geltend gemacht, daß sich der Beschwerdeführer nicht strafbar gemacht habe, weil er zur Zeit der Tat unfähig gewesen sei, das Unerlaubte einer Weigerung, sich Blut abnehmen zu lassen, einzusehen (§3 Abs1 VStG).

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides als Beweisergebnis festgehalten, daß der Beschwerdeführer "im Zustande der Zurechnungsfähigkeit über Aufforderung durch einen Arzt die Blutabnahme zwecks Feststellung der Alkoholbeeinträchtigung bewußt verweigert" hat. Zu diesem Ergebnis ist sie aufgrund des erstinstanzlichen und des von ihr ergänzten Ermittlungsverfahrens gelangt, in dem sie einerseits mehrfach zeugenschaftliche Aussagen der behandelnden und von den einschreitenden Gendarmerieorganen um die Vornahme der Blutabnahme ersuchten Ärztin, von der der Beschwerdeführer um die Zustimmung zur Blutabnahme gefragt wurde, eingeholt hat; andererseits hat sie zur Frage, ob dem Beschwerdeführer nach der Einlieferung in das Krankenhaus und vor der Operation irgendwelche Medikamente verabreicht worden seien, die seine Wahrnehmungsfähigkeit hätten beeinträchtigen können, ein Gutachten eines Amtssachverständigen eingeholt. Sie hat auch dargelegt, daß das vom Beschwerdeführer angeführte, im gerichtlichen Strafverfahren erstattete Gutachten für eine Entlastung des Beschwerdeführers deswegen nicht herangezogen werden könne, weil es von der nicht zutreffenden Voraussetzung ausgegangen sei, daß die Blutabnahme erst Stunden nach der - unter Narkose vorgenommenen - Operation stattgefunden habe.

Die belangte Behörde konnte bei dieser Beweislage denkmöglich zum Ergebnis gelangen, daß der Beschwerdeführer die Blutabnahme bewußt verweigert hatte und sich auch der Bedeutung dieser Weigerung bewußt war.

c) Nach dem weiteren Vorbringen in der Beschwerde bezweifelt der Beschwerdeführer, ob durch den von ihm verursachten Unfall eine Person erheblich verletzt worden sei.

Hiezu ist darauf hinzuweisen, daß die belangte Behörde aufgrund eingeholter Gutachten zur Auffassung gelangt ist, daß erhebliche Verletzungen von Personen durch den vom Beschwerdeführer verschuldeten Verkehrsunfall vorliegen. Sie hat damit diese Feststellung jedenfalls nicht in denkunmöglicher Gesetzesanwendung getroffen.

d) Darüber hinaus wird vorgebracht, daß dem Beschwerdeführer die erhebliche Verletzung der am Verkehrsunfall beteiligten Personen nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Eine wesentliche Voraussetzung zur Verwirklichung des Deliktes nach §5 Abs6 StVO 1960 sei die Kenntnis des Betreffenden von sämtlichen in dieser Gesetzesstelle angeführten Tatbestandsmerkmalen. Die in diesem Zusammenhang von der Behörde vertretene Ansicht, es sei nicht erforderlich, daß der zu Untersuchende vom Vorliegen einer erheblichen Verletzung oder Tötung Kenntnis habe, könne nicht geteilt werden. Bei Richtigkeit dieser Rechtsmeinung hätte der zu Untersuchende überhaupt keine Möglichkeit, festzustellen bzw. darüber zu befinden, ob er verpflichtet sei, sich Blut abnehmen zu lassen oder nicht.

Es ist jedenfalls davon auszugehen, daß insb. Lenkern von Kraftfahrzeugen die Verwaltungsvorschriften über die Regelung des Bestandes der Verpflichtung, sich Blut abnehmen zu lassen, und der Folgen einer Weigerung, dieser Verpflichtung nachzukommen, bekannt sein müssen, sodaß Unkenntnis dieser Vorschriften (§5 Abs2 VStG 1950) nicht als unverschuldet angesehen werden kann (vgl. VwGH 7. 3. 1977 Z 2143/76). Schon daraus ergibt sich, daß für eine nach §5 Abs4 StVO 1960 vorgeführte Person ein Verlangen auf Duldung der Blutabnahme einen jedenfalls erkennbaren Hinweis auf das Vorliegen der hiefür erforderlichen Voraussetzungen darstellt. Dazu kommt, daß es sich bei der Übertretung der Vorschrift des §5 Abs6 StVO 1960 um ein Ungehorsamsdelikt handelt. In einem solchen Fall wäre es zufolge §5 Abs1 letzter Satz VStG 1950 Sache des Täters, zu beweisen, daß ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich gewesen wäre.

Der VfGH muß der Ansicht der belangten Behörde, wonach es nicht erforderlich sei, daß der zu Untersuchende Kenntnis vom Vorliegen einer erheblichen Verletzung oder Tötung einer am Verkehrsunfall beteiligten Person habe, entgegentreten; das ändert aber nichts daran, daß das Vorgehen der belangten Behörde denkmöglich war.

Im Hinblick auf den festgestellten Ablauf des Vorganges bei dem Verkehrsunfall, den der Beschwerdeführer in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand verursacht zu haben verdächtig war, ist jedenfalls vertretbarerweise die Annahme auszuschließen, daß ihm die erhebliche Verletzung anderer am Unfall beteiligter Personen überhaupt nicht zum Bewußtsein gekommen ist. Es ist daher die Annahme der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer Kenntnis vom Vorliegen der Voraussetzungen des §5 Abs6 StVO 1960 hatte, nicht denkunmöglich. Ob diese Annahme auch richtig ist und ob die belangte Behörde ein zur Begründung der Richtigkeit dieser Annahme hinreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat, hat der VfGH nicht zu prüfen. Hiezu ist der VwGH zuständig.

Zusammenfassend ergibt sich, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid wegen einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums nicht verletzt worden ist.

6. In das durch Art8 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der persönlichen Freiheit des Beschwerdeführers könnte durch den angefochtenen Bescheid nur insoweit eingegriffen worden sein, als damit über ihn eine Ersatzarreststrafe verhängt worden ist (vgl. VfSlg. 7679/1975). Dieser Eingriff wäre bei der verfassungsgesetzlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides nur dann verfassungswidrig, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte (vgl. VfSlg. 8295/1978).

Daß dies nicht zutrifft, ergibt sich aus den Ausführungen unter Z5.

Im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht verletzt worden.

7. Die Verletzung eines sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ist vom Beschwerdeführer nicht behauptet worden und im Verfahren vor dem VfGH nicht hervorgekommen.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Schlagworte

Straßenpolizei, Alkoholisierung, Blutabnahme, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Sachentscheidung, Rechte verfassungsgesetzlich gewährleistete, Verwaltungsstrafrecht, Kompetenz Bund - Länder, Kompetenz Bund - Länder Verwaltungsstrafrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1980:B327.1977

Dokumentnummer

JFT_10199374_77B00327_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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